Die Wahrheit über Nanotechnologie

Seite 5: Die Wahrheit über Nanotechnologie

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Es ist ausdrücklich erwünscht, dass die beteiligten Firmen und Gruppen ihre Ausrüstung auch anderen zur Verfügung stellen. "Die Geräte sollen schließlich ihren Zweck erfüllen. Wir Professoren müssen uns von der Denke verabschieden, dass einem die Ausstattung bis zur Emeritierung allein gehört", sagt Fuchs. Dazu kommt die für Nanotechnik typische Interdisziplinarität, die hier greifen könne, weil nicht alle über einen Campus verstreut seien: "Die Biochemiker hatten schließlich die interessanteren Moleküle, die Physiker hatten das Kraftmikroskop." Andreas Schäfer von NanoAnalytics, dem von Fuchs mitgegründeten Start-up, bestätigt dies: "Unsere Kooperationspartner sind nur ein Stockwerk entfernt." Die Baukosten von 7,5 Millionen Euro teilten sich das Land Nordrhein-Westfalen, die Stadt und die Universität Münster. Sie richteten im Unterschied zu herkömmlichen Instituten aber keine Stellen ein. Die Start-ups müssen ihr Kapital selbst mitbringen. Eine Zweigstelle der Life Science Agency übernimmt für das CeNTech die Begutachtung der Geschäftspläne sowie die Patentbewertung. Das BMBF will sich nun auf die eingangs erwähnten Leitinnovationen konzentrieren. "Die entscheidende Frage lautet: Was kann die Nanotechnik für die wichtigen Industrien in Deutschland leisten?", fragt Ministerialstratege Rieke. "Nano- Mobil ist ein gutes Beispiel dafür. Hier soll nicht pauschal die Autoindustrie gefördert werden. Vielmehr geht es darum, das Potenzial der Nanotechnik als Technologie- und Wachstumstreiber zu nutzen, insbesondere in den Lead-Market-Branchen und der mittelständisch geprägten Zulieferindustrie." Bei der Umsetzung von Forschungsresultaten in Produkte müsse man sich nämlich auch vorhandende Vertriebsstrukturen zu Nutze machen.

Das Rennen in die Nano-Economy ist eröffnet. Anders als früher starten die USA, Europa und Japan diesmal auf der gleichen Position. "Bei den Grundlagen brauchen wir uns nicht zu verstecken", sagt Roland Wiesendanger vom Kompetenzzentrum Nanoanalytik. Dem stimmt Josh Wolfe vom "Forbes/Wolfe Nanotech Report" zu: "Es ist das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass die USA keine deutliche Führung in einem neuen Technikfeld haben." Man solle sich auch nicht vom Umfang der Nanoförderung durch die US-Regierung blenden lassen. "Gemessen am deutschen Bruttosozialprodukt, das nur ein Fünftel des amerikanischen beträgt, ist die Förderung der Bundesregierung höher. Das ist schon beeindruckend."

Ralf Zastrau von Nanogate warnt allerdings davor, sich zu früh auf die Schulter zu klopfen. "Unser altes Problem hierzulande ist, Forschungsergebnisse in Produkte und Markterfolge umzusetzen. Bei den Amerikanern sehe ich schon wieder die aggressive Ausrichtung auf konkrete Produkte und damit letztlich auf Arbeitsplätze in der Industrie, obwohl sie technisch diesmal nicht unbedingt führend sind." In den USA begleiten bereits mehrere professionell aufgezogene Online-Magazine und Newsletter, die sich auf Nanotechnik- Berichterstattung spezialisiert haben, die Entwicklung. Wer im deutschsprachigen Teil des Internets nach Neuigkeiten aus dem Feld sucht, muss sich bislang mit einer einzigen Spezialseite begnügen -- das Thema ist noch nicht angekommen. Auch die Kompetenzzentren oder das BMBF haben noch keine Informationsoffensive gestartet. Dabei ist allen Beteiligten klar, dass ein Debakel wie bei der Gen- und Biotechnik unbedingt verhindert werden muss.

Die Debatte im vergangenen Jahr um die möglichen Gesundheitsrisiken der Kleinstteilchen, die in der chemischen Nanotechnologie eingesetzt werden, war für die Nanoszene ein Warnschuss. "Die Aufklärung über Chancen und Risiken ist das A und O", sagt BMBF-Stratege Rieke. "Die Debatte muss für alle zugänglich und transparent geführt werden." Dass eine solche in Gang kommt, will das Ministerium unter anderem mit weiteren Studien zu den Folgen der Nanotechnologie unterstützen. Die werden schon bald deutlicher zu erkennen sein und zeigen, dass es sich nicht um einen Hype ausgehungerter Venture- Kapitalisten handelt. Sicher: Die eine Nanotech-Industrie wird es nicht geben. Aber genauso wie sehr verschiedene Forschungsfelder die Entwicklung gemeinsam vorantreiben, werden etliche ganz unterschiedliche Branchen mehr und mehr Nanotechnik in bestehende Produkte integrieren. Dazu kommen neue Anwendungen wie nanomedizinische Therapien oder Sensoren, die in der herkömmlichen Technik keine Vorläufer haben -- und womöglich irgendwann eine Killerapplikation, die uns zunächst verblüfft und schnell nicht mehr wegzudenken ist. Auch wenn die Nano-Economy keine Revolution, sondern eine Evolution sein wird: Ohne Pioniergeist und wegweisende Entscheidungen kommt sie nicht.

In diesem Jahr könnte sich bereits entscheiden, ob wir irgendwann im Stau auf Heckscheiben mit "Nano? Nein danke"-Aufklebern starren werden und ob die USA doch noch einsam in die Nano-Economy davonziehen können. Die deutsche Nano-Community hat alle Möglichkeiten, dass es nicht so kommt. Sie muss sie nur umsetzen.

(Aus Technology Review Nr. 5/2004) (sma)