Die unfreiwilligen Kriminellen hinter den "Pig Butchering"-Scams
Ein neuer Film und ein neues Buch sollen das öffentliche Bewusstsein dafür schärfen, wie Krypto-Betrüger mit Menschenhändlern kooperieren.
- Veronika Szentpetery-Kessler
Der Begriff "Pig Butchering"-Scam hat etwas Unheimliches an sich. Ausgedacht haben ihn sich Krypto-Betrüger, um den langwierigen, komplizierten Prozess des Vertrauensaufbaus mit der Aufzucht eines Schweins für die Schlachtung zu vergleichen. Die Scammer, hinter denen oftmals internationale Banden stecken, erstellen gefälschte Profile auf Social-Media- oder Dating-Websites, um mit den Opfern in Kontakt zu treten, virtuelle und oft romantische Beziehungen aufzubauen und die Opfer schließlich dazu zu bewegen, ihr Vermögen zu übertragen. Mit dieser Taktik wurden Opfern auf LinkedIn und anderen Plattformen bereits Millionen von Dollar gestohlen, wie MIT Technology Review letztes Jahr berichtete.
Um ein Gefühl für die Größenordnung zu bekommen: Binance, eine der größten Kryptobörsen, meldete im August, dass die Zahl der dem Unternehmen gemeldeten Pig-Butchering-Betrugsfälle von 2022 bis 2023 um 100,5 Prozent sprunghaft angestiegen ist, obwohl in diesem Jahr noch einige Monate übrig sind.
Die Betrugsfälle haben allerdings oft einen schlimmen Hintergrund: Die Betrüger sind oft selbst Opfer eines beängstigenden Trends im Menschenhandel, wie ein neues Buch auf Englisch, ein Film auf Chinesisch und eine Reihe von Medienberichten in beiden Sprachen nun beleuchten.
Der chinesische Film "No More Bets", der unerwartet zu einem Kassenschlager wurde, handelt von zwei Chinesen, die mit dem Versprechen auf gut bezahlte Jobs nach Myanmar gelockt werden. Dort werden sie gefangen genommen und gezwungen, zu Betrügern zu werden, obwohl – Achtung, Spoiler-Alarm – es ihnen schließlich gelingt, zu entkommen. Doch viele ihrer Mitstreiter werden missbraucht, vergewaltigt oder sogar getötet, als sie das Gleiche versuchen. Der Film lief in den USA am 31. August an, ein deutscher Kinostart stand bei Erscheinen dieses Artikels noch nicht fest.
Fiktive Handlung, echter Hintergrund
Die Handlung ist zwar fiktiv, basiert aber auf Dutzenden von Interviews, die das Filmteam mit echten Opfern geführt hat und von denen einige am Ende des Films gezeigt werden. Viele Kleinbetrüger wurden tatsächlich gezwungen, Straftaten zu begehen. Sie verlassen ihre Heimat in der Hoffnung auf eine feste Anstellung, aber sobald sie sich in einem fremden Land befinden – in der Regel Myanmar, Kambodscha oder die Philippinen – werden sie gefangen gehalten und können nicht mehr ausreisen.
"No more bets" hat seit seiner Chinapremiere am 8. August fast 470 Millionen Dollar an den Kinokassen eingespielt und gehört damit zu den zehn umsatzstärksten Filmen des Jahres, obwohl er bisher kaum außerhalb von Chinas gezeigt wurde. Der Film hat auch den Diskurs in den sozialen Medien in China dominiert und mehr als ein Dutzend "Trending Topics" auf Weibo und anderen Plattformen ausgelöst.
Gleichzeitig haben investigative Berichte chinesischer Journalisten die Glaubwürdigkeit der Handlung des Films untermauert. In einem Podcast, der Anfang August veröffentlicht wurde, erzählte ein chinesisch-malaysisches Opfer dem im Exil lebenden chinesischen Enthüllungsjournalisten Wang Zhian von seiner Erfahrung: wie er von Arbeitsvermittlern belogen und gezwungen worden sei, auf den Philippinen ein Betrüger zu werden. Dort stammten 80 Prozent seiner Kollegen vom chinesischen Festland, der Rest aus Taiwan und Malaysia.
Viele von ihnen kamen aus ländlichen Gegenden und haben nur eine geringe Schulbildung. Doch wie eine andere chinesische Publikation kürzlich berichtete, suchen Betrügergruppen zunehmend nach hochgebildeten Menschen, da sie mehr chinesische Studenten im Ausland oder sogar englischsprachige Bevölkerungsgruppen ins Visier nehmen.
Enorme Welle globaler Betrügereien
Den Chinesen sind Telekommunikations- und Online-Betruge nicht fremd, aber die jüngste Welle der Aufmerksamkeit hat ihnen bewusst gemacht, wie globalisiert diese Betrügereien geworden sind. Sie hat auch den Ruf der südostasiatischen Länder geschädigt, die nun um chinesische Touristen kämpfen müssen.
Wenn man dieser Tage "Myanmar" in Douyin, der chinesischen Version von TikTok, eingibt, stehen alle Autovervollständigungen im Zusammenhang mit den Pig-Butchering-Betrügereien, wie die "selbst erzählte Geschichte von jemandem, der aus Myanmar geflohen ist". Es gibt immer noch Videos, die bei Touristen für Myanmar werben, aber die Kommentarabschnitte sind voll von Zuschauern, die unterstellen, dass die burmesischen Videoersteller für die Menschenhändlergruppen arbeiten. Myanmar hat kürzlich sogar versucht, mit einer chinesischen Provinz zusammenzuarbeiten, um den Tourismus zu fördern, und die meisten Reaktionen in den sozialen Medien waren negativ.
Gefangen in "Chinatown"
In den USA erscheint im nächsten Monat mit "Number Go Up" ein neues Buch über Kryptowährungen von Bloomberg-Reporter Zeke Faux. Er reiste nach Sihanoukville im Südwesten Kambodschas, von wo aus kriminelle Banden Betrügereien organisieren. Die Stadt war einst eine wohlhabende Kasinostadt für chinesische Geschäftsleute (Glücksspiel ist in China verboten). Doch nachdem die kambodschanische Regierung gegen das Glücksspiel vorging und die Pandemie den internationalen Reiseverkehr erschwerte, verwandelten die Glücksspielbanden ihre Kasinos in Online-Betrugsunternehmen.
Faux besuchte ein riesiges Gelände namens "Chinatown", in dem die Opfer von Betrügern gefangen und durch Metalltore von der Außenwelt abgeschottet sind. Nachbarn erzählten Faux von häufigen Selbstmorden: "Es ist ein Wunder, wenn nicht mindestens zweimal pro Woche ein Krankenwagen kommt." Ein Opfer erzählte ihm, dass er ein Telefon in seinem Rektum verstecken musste, um mit jemandem draußen Kontakt aufzunehmen und zu entkommen.
Aber Geschichten über erfolgreiche Fluchten sind selten. Obwohl die chinesische Regierung Mitte August ankündigte, verstärkt mit südostasiatischen Ländern zusammenzuarbeiten, um gegen diese kriminellen Aktivitäten vorzugehen, bleibt abzuwarten, wie erfolgreich diese Bemühungen sein werden. Im Fall von Kambodscha wurden die internationalen Strafverfolgungsmaßnahmen bisher durch angebliche Korruption vor Ort behindert, wie eine aktuelle Untersuchung der "New York Times" ergab.
Es gibt viele Faktoren, die es schwierig machen, diese Betrüger zur Rechenschaft zu ziehen: ihre Verwendung von Kryptowährungen, die schwache staatliche Kontrolle in den Regionen, in denen sie operieren, und die ständig wechselnden Taktiken und Plattformen der Kriminellen. Aber die Tatsache, dass sowohl die Berichterstattung als auch die Popkultur beginnen, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wo und wie diese kriminellen Gruppen operieren, könnte ein guter erster Schritt in Richtung Gerechtigkeit sein.
(vsz)