Schule digital: Digitalisierung der Bildung – am Scheideweg

Seite 3: Bedingungen des digitalen Fernunterrichts

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All diese Unwägbarkeiten verhinderten ein Nachdenken darüber, was digitalen Fernunterricht eigentlich ausmacht. Was fällt weg, wenn die Präsenzphase nicht mehr für eine Miteinander an Ort und Stelle sorgt? Und wie muss man darauf reagieren. Obwohl ich der Auffassung war, dass meine Oberstufenschülerinnen und -schüler mit ihren Blogs gut aufgestellt waren, veränderte sich auch hier die Situation.

Die Blogs, Anfang dieses und seit Jahren jeden Schuljahres als digitale Erweiterung der Arbeit im Deutschunterricht gedacht, wurden zu einer Art digitalem Portfolio umfunktioniert. Nicht die eigene, freie Arbeit an selbst gewählten Themen fand nun hier statt, sondern die Arbeit an curricularen Inhalten.

Das macht die Arbeit mit Blogs nicht weniger gewinnbringend: Die Schülerinnen und Schüler können nach Peer-to-Peer-Feedback ihre Artikel überarbeiten, ihre Texte können potenziell von einer breiten Masse aufgerufen werden; sie nehmen, wenn man das etwas überschwänglich sagen darf, am Diskurs Teil. Aber solange die Inhalte bleiben, wie sie sind, bleiben auch die Aufgaben und deren Beantwortung über Blogs nicht mehr als dasselbe in leicht abgewandeltem Gewand.

Deutlich schwieriger stellte sich heraus, was digitaler Fernunterricht eigentlich für die traditionell in den Unterricht gehörenden Phasen bedeutete. Kann ein "Einstieg" stattfinden? Wie werden die Ergebnisse gesammelt? Wie werden sie besprochen? Und wie kann man die so wichtige Rückmeldung geben, die ja erst eine Diagnose des Könnens erlaubt? Die Fragen wurden unterschiedliche beantwortet und viele Lehrende mussten etwas tun, das sie seit dem Studium nicht mehr getan hatten: Experimentieren. Und genau damit taten sich einige sehr schwer.

Es kommt nicht von ungefähr, dass bei den zahlreichen Diskussionen, die über "die Digitalisierung" geführt werden, das Mindset an erster Stelle steht. Die Angst davor, den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen oder Schülerinnen und Schüler zu enttäuschen oder sich vor ihnen zu blamieren, sorgte lange Zeit dafür, dass viele erst gar nicht begonnen hatten, sich mit dem Digitalen in der Bildung zu befassen. Das wirkte sich in der Phase der Krise auf das Verständnis davon aus, wie digitaler Fernunterricht überhaupt funktionieren kann.

Grundsätzlich müssen wir schon hier festhalten: Digitales Fernlernen unter den Bedingungen der Corona-Krise ist nicht dasselbe wie ein zeitgemäßes oder eben reflektiertes Lernen in einer Kultur der Digitalität. Denn bei der zweiten Variante ist die Präsenz ja nicht redundant, im Gegenteil: Das Digitale ist ein Medium unter anderen, Leitmedium zwar, aber eben gleichsam Gegenstand, Träger und Mittel der Reflexion.

Das digitale Fernlernen, der Notfallunterricht, wie er in den sozialen Medien auch genannt wurde und wird, ist zunächst der Versuch einer Übertragung, die dann scheitert, wenn dieselben Rahmenbedingungen angenommen werden. Das gilt beispielsweise für den Faktor Zeit: Lehrerinnen und Lehrer versuchten zunächst den Umfang der Aufgaben auf die Präsenzzeit zu übertragen, die weggefallen ist. Dass in einem Präsenzunterricht (gewollte) Redundanzen auftreten – die Organisation, der Input, der Witz am Rande, die Nachfrage – wurde da oftmals nicht berücksichtigt. Kein Kind der Welt lernt im Unterricht eineinhalb Stunden am Stück alleine. Doch viele sollten das plötzlich zu Hause tun. Für jedes einzelne Fach.

Einhergehend damit war und ist das fehlende Bewusstsein für die Zeit, in der Schülerinnen und Schüler überhaupt an einem Rechner lernen konnten. In der Schule ist der Ort und die Zeit des Lernens vorgegeben. Aber das lässt sich nicht immer übertragen: Angenommen, die Technik ist überhaupt vorhanden, was nicht immer der Fall war, waren die Eltern oftmals selbst im Home-Office. Das bedeutete einen zusätzlichen Druck mit jeder Deadline.

Und schließlich die infrastrukturelle Technik selbst, von der die meisten Lehrerinnen und Lehrer nicht wussten und immer noch nicht wissen, ob man sie überhaupt einsetzen darf. Die erste Stufe eines funktionierenden Fernunterrichts wäre also eine weitestgehend homogene Nutzung einer datenschutzkonformen Plattform und eine weitestgehend abgestimmte Handlung, also: Wann werden wie viele Aufgaben von welcher Art eingestellt und wann müssen diese zurückgegeben werden? Diese Fragen blieben oftmals ungeklärt, so dass der vielbeschworene Kompetenzerwerb der Schülerinnen auch darin lag, sich in dem Wust verschiedener Systeme und Anforderungen zurecht zu finden.