Schule digital: Digitalisierung der Bildung – am Scheideweg

Seite 4: Funktionierende Systeme und ein kleiner Traum

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Innerhalb dieser für sehr viele Menschen anstrengenden Zeit vibrierte die digitale Community rund um Hashtags wie #twitterlehrerzimmer. Seit Jahren waren hier die verschiedensten Impulse besprochen und ausgetauscht, kritisiert, verworfen und neu aufgelegt worden – aber weitestgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit (und noch viel wichtiger: Von den Lehrerzimmern dieses Landes). Die vielbeschworene "Krise als Chance" konnte nun an der Aufnahme der zahlreichen Impulse bemerkt werden, die direkt aus dem Konnektiv in die Systeme des Fernunterrichts gelangt sind: Linklisten, Tutorials, Blogbeiträge, Wikis – alle möglichen Unterstützungsangebote wurden nun bereitgestellt und weiterverarbeitet, wobei das Problem einer einheitlichen Lösung weiterbestand. Es zeigte sich aber, dass verschiedene Probleme nach und nach gelöst wurden. Zumindest wenn die Grundlagen vorhanden waren.

Zum einen die Frage danach, wie die Technik überhaupt genutzt werden sollte. Es etablierten sich verschiedene Systeme. Eines davon beispielsweise die Bereitstellung einer Wochenübersicht mittels der digitalen Pinnwand Padlet. Die Schülerinnen konnten nun sehen, was sie bis zu welchem Termin zu erledigen hatten und von den Aufgaben direkt zum Klassen- oder Themenpadlet wechseln. Andere Schulen arbeiteten mit Microsoft Teams oder mit Moodle, mit Itslearning oder mit Mebis. Der Föderalismus zeigte aber: Das, was in dem einen Bundesland erlaubt ist, ist im anderen problematisch bis illegal. Eine solche schwierige Praxis ist nicht gerade zuträglich für die Haltung zögerlicher Kollegien.

Es bleibt aber festzuhalten: Die wenigsten Bundesländer schafften es, klare Leitlinien zu formulieren. Es gab sogar solche, die digitalen Fernunterricht untersagten. Es blieben nur postalische Zustellungen oder eben die sprichwörtlichen Coronaferien.

Obwohl politisch nun Gelder bereitgestellt werden, die über das hinausgehen, was im Digitalpakt 2019 sowieso angedacht war (und auch Möglichkeiten bestehen, diese anders zu investieren, beispielsweise in Technik für benachteiligte Schülerinnen und Schüler), wurde es verpasst, den Schulen auch offiziell die Möglichkeit zu geben, Konzepte zu entwickeln.

Bei all der berechtigten Kritik an Lehrerinnen und Lehrern, die schon vor Corona nicht gerade als Technik-Nerds bekannt waren, muss konstatiert werden: Wenn das Digitale in Schulen nicht als Zusatzbelastung, sondern als Erweiterung der Möglichkeiten und notwendige Umgebung für ein zeitgemäßes Lernen betrachtet werden muss, dann darf es eben auch keine Zusatzbelastung sein. Das ist es aber dann, wenn die Datensicherheit nicht gegeben ist, Dienstrechner nicht zur Verfügung gestellt werden, Plattformen nicht administriert werden und didaktische Konzepte nur mit erheblichem Engagement zu erreichen sind. Zeit, Geld und ein verbindlicher Rahmen bleiben auch in Zeiten der Corona-Krise der heilige Gral.

In einem kurzen Papier zum Notfallunterricht hat der Schweizer Informatiker Beat Döbeli-Honegger darauf aufmerksam gemacht, dass der digitale Fernunterricht, wie er in der letzten Zeit durchgeführt worden ist, sich nicht als Diskussionsgrundlage für einen zeitgemäßen Unterricht in der Kultur der Digitalität eignet. In der Tat kann man in eine Falle laufen: In seinem Buch "Mehr als 0 und 1" spricht Döbeli-Honegger vom Lernen "mit, über und trotz Medien". Wenn ein offenes Mindset vorhanden und die Fehlerkultur ausgeprägt war, konnte Lernen über Medien durchgeführt werden.

Natürlich gab es auch jene Lehrerinnen und Lehrer, die die Medien selbst in einer Art und Weise in den Fernunterricht einbezogen haben, in dem das Medium mehr als ein Werkzeug war, sondern eben eine Umgebung, in der das Lernen selbst sich verändert. Ein solches Lernen, das Kollaboration, Kommunikation und kreatives und kritisches Denken einbezieht, ist aber kein Selbstläufer. Und wir bedenken die schon angesprochene doppelte Herausforderung der Initiation über Medien mit Medien.

Jetzt schon sind die vielen Stimmen zu hören, die zurück zu einer angeblichen Normalität wollen, zurück an die Tafel quasi. Und man kann es jenen, die die technischen und didaktischen Möglichkeiten nicht hatten auch nicht verübeln: Wenn die Corona-Krise tatsächlich jenes Brennglas und jener Verstärker ist, als die sie immer wieder bezeichnet wird, dann werden und wurden eben nicht nur die positiven, sondern auch die negativen Rahmenbedingungen verstärkt. Das frustriert und weitet den digitalen Graben zwischen den Institutionen und ihren Teilnehmenden.

Wenn aber, und das ist der entscheidende Punkt, der digitale Fernunterricht in der Krise mit dem digital erweiterten Lernen, dem "reflektierten Lernen im digitalen Wandel" verwechselt wird, dann kann dies zu einer Ablehnung führen, die wir uns als Gesellschaft nicht leisten können. Denn das bedeutet, dass das Lernen "über" Medien, ihre Wirkungen, ihre Funktion, ihre Möglichkeiten, Herausforderungen und gesellschaftliche Implikationen, weiterhin in den Schulen keine Rolle spielen wird. Und es bedeutet, dass das Digitale einmal mehr von der Frage abgekoppelt wird, wie wir in Zukunft Lernen gestalten wollen.

Aber genau das ist die zentrale Frage: Wie wollen wir im 21. Jahrhundert miteinander lernen? Dass keiner auf diese Frage geantwortet hätte: Alle bleiben zu Hause und jeder überlegt sich in drei Tagen ein Konzept, steht außer Frage.