Europas Netzplan

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Jahrelang hatten sich vor allem die großen Energieversorger gegen einen solchen Umbau gewehrt – nun wollen sie sich offenbar an die Spitze der Entwicklung setzen. Folgerichtig beklagen sie, dass der Netzausbau wegen verzögernder Bürgereinsprüche gegen Freilandleitungen nicht schnell genug vorangeht. Und die Leitungsbauer stimmen ein: ABB-Vorstand Jochen Kreusel, Vorsitzender der Energietechnischen Gesellschaft im Verband der Elektrotechnik (VDE), etwa verweist mahnend auf die rund 800 zusätzlichen Leitungskilometer, die von der Deutschen Energieagentur (dena) in einer Studie zum Status der Energieversorgung in Deutschland bereits 2005 gefordert wurden. Vor allem der Nord-Süd-Transport von der windreichen Küste zu den Verbrauchszentren im Binnenland soll so verbessert wer-den. "Aber die Projekte sind allesamt hinter dem Zeitplan", klagt Kreusel.

Die Kosten für den Ausbau des Netzes sind beträchtlich. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) beziffert sie allein für Deutschland auf 40 Milliarden Euro bis 2020. Europaweit rechnen Experten bis 2030 sogar mit bis zu 750 Milliarden Euro. Über 40000 neue Leitungskilometer bilden einen gigantischen Markt, den sich vor allem die Platzhirsche unter den Netzbauern, ABB und Siemens, aufteilen werden. Zusätzlich bedarf es leistungsfähiger Speicher sowie schnell und flexibel einsetzbarer Gaskraftwerke, um schwankende Stromlieferungen ausgleichen zu können. Sie sorgen für die sogenannte Regelleistung, mit der sich Einspeisung und Verbrauch einander anpassen lassen. Bisher stehen in Deutschland lediglich 7000 Megawatt Regelleistung zur Verfügung, bis 2030 sollen aber allein vor der deutschen Küste bis zu 5000 Windkraftanlagen mit 25000 Megawatt Leistung installiert werden.

Neben Gaskraftwerken sollen bei schwankendem Naturstromangebot vor allem Pumpspeicher-Kraftwerke für eine stabile Energieversorgung sorgen. So sind allein in Österreich Pumpspeicher mit 5000 Megawatt Leistung in Planung, auch in der Schweiz werden die Kapazitäten entsprechend ausgebaut. Eingekoppelt in ein europäisches Stromnetz, könnten diese Pumpspeicher wie eine Batterie wirken und so Versorgungsengpässe ausgleichen. "Dazu kommen die zahlreichen Speicher in Skandinavien, die heute schon 121 Terawattstunden im Jahr bereitstellen", sagt Kurt Rohrig. Das entspricht etwa einem Viertel des Strombedarfs Deutschlands. Im Unterschied zum begrenzten Ausbaupotenzial in den Alpenländern sieht Rohrig in Skandinavien noch mehr Möglichkeiten, die sich jedoch heute noch nicht genau beziffern lassen.

"Wir brauchen aber sehr viel mehr Speicher", sagt Klaus Kleinekorte von der RWE-Netztochter Amprion. Intensiv wird daher an Druckluftspeichern in unterirdischen Kavernen geforscht. Das Prinzip: Bei einem Stromüberschuss wird Luft in den Untergrund gepresst und komprimiert. In Spitzenlastzeiten kann sie auf Turbinen geblasen werden, um mit dem so erzeugten Strom drohende Versorgungslücken zu stopfen. So soll beispielsweise "Adele", ein Projekt von RWE, General Electric und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), ab 2013 bis zu 200 Megawatt Leistung liefern.

Das reicht, um etwa fünf Stunden lang den Stillstand von 40 modernen Windrädern zu kompensieren. Obwohl das zukünftige Stromnetz nicht ohne neue Fernleitungen und Speicherkapazität auskommen wird, beschränkt sich die öffentliche Diskussion – angetrieben von Politik, Wirtschaft und Umweltverbänden – bislang oftmals nur auf die Intelligenz eines "Smart Grids". Aber digitale Stromzähler in jedem Haushalt, clever zu virtuellen Kraftwerken gekoppelte dezentrale Wind-, Solar- und Biogasanlagen oder gar par- kende Elektromobile als Kurzzeitstromspeicher knüpfen nur über Nieder- und Mittelspannung an die regionalen Verteilnetze an. Sie werden – auf Teilregionen beschränkt – Stromverbrauch und Stromerzeugung zwar berechenbarer machen, doch für den großen Wurf hin zum europäischen Strommarkt taugen sie allein nicht.

Populär ist auch die Hoffnung, dass Millionen von Elektromobilen mit ihren Batterien, angeschlossen an das Stromnetz, die Speicherlücke stopfen. Eine Million dieser Fahrzeuge sollen nach Absicht der Bundesregierung 2020 auf bundesdeutschen Straßen rollen und während ihrer Standzeiten von über 90 Prozent als Zwischenspeicher für ungenutzte Stromspitzen im Netz dienen. Dieser Strom kann in Phasen mit hohem Bedarf ans Netz zurückgegeben werden, natürlich gegen klingende Münze für den Fahrzeughalter. "Aber die Fahrer werden nicht begeistert sein, wenn irgendein Stromvampir die Batterien leer saugen kann", sagt Günther Brauner von der Technischen Universität Wien.