Europas Netzplan

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Damit die Besitzer immer genug Strom für spontane Fahrten haben, könnten sie maximal zehn Prozent der Ladung ans Netz liefern. Mit dieser Annahme rechnete Brauner das reale Speicherpotenzial der Elektroautos hoch. Sein Ergebnis: Drei Millionen E-Mobile können gerade mal so viel Strom speichern wie ein einziges, weitaus günstigeres Pumpspeicherkraftwerk. Wegen der benötigten, teuren Infrastruktur mit Tausenden Stromzapfstellen sieht er vorerst keine Zukunft für den "Stromspeicher E-Mobil". "Vehicle-to-Grid-Technologie ist nur kompliziert, und wir brauchen sie eigentlich nicht", versichert Brauner.

Um die Versorgungssicherheit zu garantieren, sind direkte Investitionen in das Stromnetz sehr viel wirkungsvoller. Die Europäische Kommission fördert mit 2,3 Milliarden Euro 43 Infrastrukturprojekte, darunter zwölf für das Stromnetz der Zukunft. Mit dabei sind ein HGÜ-Erdkabel zwischen Schweinfurt und Halle an der Saale, Unterseekabel zwischen Sizilien und dem italienischen Festland sowie Verbindungen zwischen Spanien, Portugal und Frankreich.

Die Netzbetreiber aber wünschen sich mehr Planungssicherheit, um ihre Investitionen gewinnbringend zu platzieren. "Wir brauchen eine europäische Netzplanung", sagt ABB-Vorstand Kreusel. Im Dezember 2008 fanden sich 42 Unternehmen aus 34 Ländern rasch zu einem gemeinsamen europäischen Verband zusammen, der nun in Sachen Netzausbau Tempo machen soll. Die ENTSO-E (European Network of Transmission System Operators for Electricity) legte binnen eines einzigen Jahres einen detaillierten Ausbauplan für das Stromnetz Europas vor.

Danach verteilen sich die 42.100 neuen Leitungskilometer, die in den kommenden zehn Jahren gebaut werden sollen, schwerpunktmäßig auf Nord-Süd-Verbindungen in Deutschland, Leitungen zwischen Spanien und Frankreich quer über die Pyrenäen sowie Netzverstärkungen in Skandinavien und rund um die Nordsee zum Anschluss der entstehenden Offshore-Windparks. "Mit dem Zusammenspiel von erneuerbaren Energien und dem liberalisierten Markt ist der Nutzen neuer Leitungen viel größer als noch vor zehn Jahren", sagt Konstantin Staschus, Generalsekretär der ENTSO-E. Wären da nicht die Bürgereinsprüche: Da niemand gern eine Hochspannungsleitung über seinem Haus haben möchte, werden die Beschwerden wohl nicht abnehmen.

"Der ENTSO-E-Zehnjahresplan war nötig", sagt auch Fraunhofer-Forscher Rohrig. Dennoch sieht er den auf den ersten Blick zukunftsweisenden Plan skeptisch, weil "die Gefahr besteht, dass der Netzausbau die Bedürfnisse der Windenergie und anderer regenerativer Einspeiser nicht ausreichend berücksichtigt". Zudem sei "erhöhte Wachsamkeit" angebracht, da die ENTSO-E neben den Bauplänen auch gleich die Regeln für den Betrieb des Netzes, die sogenannten Netzcodes, neu formuliere: In diesen Netzcodes wird verbindlich festgelegt, wie und wann ein Netzbetreiber einspeisende Kraftwerke – vom Atommeiler bis zum Windpark – abregeln darf, um Spannung und Frequenz im Stromnetz stabil zu halten. Im Klartext: Die Netzbetreiber könnten dann darüber entscheiden, ob der Strom bei Überangebot von einem Atomkraftwerk oder von einem Windpark produziert wird. Völlig selbstherrlich will jedoch auch die ENTSO-E nicht agieren. Ihrem Aufruf, sich zu dem Zehnjahresplan kritisch zu äußern, sind nach eigenen Angaben 20 Betroffene aus dem Feld der Stromerzeuger und Stromkunden gefolgt – die eingereichten Vorschläge würden nun geprüft, heißt es von der ENTSO-E.

Eigentlich könnte die Europäische Kommission sogar ganz froh darüber sein, dass sich die Netzbetreiber mit dem Zehnjahresplan endlich handfeste Gedanken über den Stromnetzausbau machen, ballt sich bei ihnen doch das notwendige Wissen der Elektroingenieure. Der Plan liefert konkrete Ideen, die in die European Electricity Grid Initiative (EEGI) – dem Nachfolger der 2006 gestarteten SmartGrid-Plattform der Europäischen Kommission – einfließen werden. Und mit der EEGI wird der Entwurf des europäischen Stromnetzes zu einem zentralen Teil des Strategieplans für Energietechnologie der EU.

Um einen Netzbetrieb zugunsten einzelner Kraftwerksbetreiber zu verhindern, will sie den Energieversorgern bis März 2011 jedoch die unabhängige europäische Regulierungsbehörde ACER (Agency for the Cooperation of Energy Regulators) zur Seite stellen. Mit Sitz in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana wird sie personell wohl aus Vertretern der entsprechenden nationalen Behörden, in Deutschland der Bundesnetzagentur, bestehen.