E-Rezept: Arzneimitteltherapiesicherheit in Gefahr?​

Das Ziel, mit dem E-Rezept die Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbessern, wurde bisher verfehlt. Auch die Verantwortlichkeiten sind unklar. Eine Analyse.

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Arzt mit Fragezeichen in der Hand

Beim Einlöseweg über die elektronische Gesundheitskarte sehen Versicherte nicht unbedingt, welche Medikamente ihnen verschrieben wurden.

(Bild: sdecoret/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Dr. Stefan Schwenzer
Inhaltsverzeichnis

Die Notwendigkeit der Digitalisierung im Gesundheitswesen – insbesondere im Bereich der Arzneimittelversorgung – wird gerne mit einer Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit begründet. Aber ist das wirklich so? Derzeit mehren sich die Hinweise, dass ein wesentlicher Baustein der Digitalstrategie des BMG, die verpflichtende Einführung des E-Rezepts, ein Rückschritt beim Thema Arzneimittelsicherheit sein könnte. Durch die Einführung des Einlösewegs über die elektronische Gesundheitskarte entstehen neue Unsicherheiten.

EIne Analyse von Stefan Schwenzer

Dr. Stefan Schwenzer ist seit 2016 Inhaber der Kosmos Apotheke in Bremen und hat fünf Jahre beim Medizin-Softwarehersteller ID Information und Dokumentation Berlin im Bereich Pharma als Produktmanager und Teamleiter gearbeitet.

Zu den beiden ursprünglich geplanten Einlösewegen zählen die E-Rezept-App der Gematik GmbH und der QR-Code-ähnliche Token-Ausdruck. In beiden Fällen haben Patienten schon vor dem Einlösen in der Apotheke die volle Transparenz über die Ihnen verordneten Arzneimittel. Das ist unter dem Aspekt der Arzneimitteltherapiesicherheit wichtig, denn Patienten oder deren Angehörige sind in vielen Fällen die erste Instanz bei Rückfragen zur ärztlichen Verordnung: Sind alle benötigten Arzneimittel verordnet? Stimmen Dosierung und Darreichungsform mit denen überein, die mit dem Arzt besprochen wurden?

Nicht zuletzt helfen der Ausdruck oder die Darstellung in der App dabei, sich an die ärztlich verordnete Therapie zu erinnern, sie zu verstehen und unterstützen somit die Therapietreue. Bei der Gestaltung des neuen A5-Ausdrucksformates für das E-Rezept wurde daher explizit auch die Patientenverständlichkeit berücksichtigt.

Doch der Ausdruck des Tokens wurde im Rahmen einer "Testphase" von der Ärzteschaft mit dem Verweis auf Aufwand und Papierverbrauch abgelehnt. Um die politisch gewollte schnellstmögliche Einführung des E-Rezepts nicht zu gefährden, wurde daher zügig der dritte Einlöseweg über die eGK gestrickt, der Patienten bis zur Einlösung in der Apotheke unwissend lässt. Unstrittig ist, dass damit die Arzneimitteltherapiesicherheit zumindest nicht verbessert wurde.

Ein weiteres Problem: Die Konsistenz der Arzneimittelinformation ist nicht durch geeignete Qualifizierung aller Komponenten im Medikationsprozess mit dem E-Rezept abgesichert. Während im Krankenhausbereich Softwarelösungen für Medikationsprozesse in der Regel als Medizinprodukte getestet und zertifiziert werden, wurde eine ausreichende Testung und Zertifizierung beim gesamten Medikationsprozess rund um das E-Rezept vernachlässigt. So warnte die Apothekerkammer Sachsen-Anhalt vor kurzem vor falschen Präparateanzeigen, wie die Deutsche Apothekerzeitung berichtet hatte. Dieses für Patienten potenziell lebensgefährdende Problem wird aber von der Gematik mit Verweis auf den jeweiligen Hersteller-Support abgetan.

Wäre das E-Rezept ein Medizinprodukt, müssten sofort eine ausführliche Prüfung und gegebenenfalls Fehlerkorrektur oder sogar Rückruf erfolgen. Auch wenn die Probleme bei der Anzeige Einzelfälle sein mögen, deren Ursache in unterschiedlichen Komponenten des gesamten Prozesses liegt, ist letztendlich derjenige für die Gesamtsicherheit verantwortlich, der diesen Prozess vorgibt und verbindlich einführt – hier also die Gematik und das Bundesgesundheitsministerium.

Bestimmte, auch lebenswichtige Arzneimittel werden von Patienten sehr zeitnah benötigt – etwa Asthmasprays, Insuline, Antibiotika. Eine fehlende oder verzögerte Versorgung stellt ein hohes Risiko für die Arzneimitteltherapie dar. Im Rahmen der Einführung des E-Rezepts wurde aber vernachlässigt, die Versorgungsprozesse zu testen oder über entsprechende Spezifikationen abzusichern. Die Gematik musste laut Deutscher Apothekerzeitung zuletzt einräumen, dass es keinerlei Vorgaben für Praxisverwaltungssysteme gibt, E-Rezepte unmittelbar nach der Signatur durch den Arzt in die Telematikinfrastruktur – das Gesundheitsnetz – zu laden. Es bleibt also – neben der Organisation der Abläufe in der Arztpraxis – auch dem Gutdünken der jeweiligen Praxisverwaltungssteller überlassen, wann lebenswichtige Verordnungen den Patienten zur Verfügung stehen.

Die Versorgungssicherheit und somit auch die Arzneimitteltherapiesicherheit wird dadurch eher geschwächt. Resultat sind Fälle, die wir in der Praxis leider schon öfter erlebt haben: Patienten, die am Freitagnachmittag mit ihrer elektronischen Gesundheitskarte ein Rezept für ein wichtiges Medikament – zum Beispiel ein dringend benötigtes Insulin – einlösen wollen, müssen vertröstet werden, weil eben jenes Rezept noch nicht signiert oder hochgeladen wurde. Da unklar ist, ob das Rezept noch ankommt oder nicht, die ausstellende Praxis aber schon nicht mehr erreicht werden kann, müssen solche Patienten von uns an den ärztlichen Notdienst verwiesen werden.

Das politisch gesteckte Ziel, mit Einführung des E-Rezeptes die Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbessern, wurde bisher verfehlt. Eine mögliche Ursache: Das E-Rezept wurde nicht primär unter dem Aspekt der Arzneimitteltherapiesicherheit, sondern aus der Perspektive eines reinen Logistikprozesses konzipiert. Dabei wurde übersehen, wie wichtig die Einbeziehung aller Beteiligten – auch der Patienten – und aller Prozesse ist.

Sinnbildlich dafür: Prozesse der Arzneimittelversorgung in Pflegeheimen, im ambulanten Pflegedienst und von immobilen Patienten ganz allgemein wurden offenbar anfangs überhaupt nicht mitgedacht und müssen nun durch Nachbesserungen holprig integriert werden. Dabei wurde sogar ernsthaft vorgeschlagen, dass Pflegedienste und Apotheken die Gesundheitskarten der zu versorgenden Patienten einsammeln, um Zugriff auf das E-Rezept zu haben. Allerdings ist die eGK ja auch als Medium für den Notfalldatensatz vorgesehen. Tritt der Notfall ein, sollte die Karte beim Patienten sein und nicht in irgendeiner Apotheke oder beim Pflegedienst.

Die angesprochenen Probleme hätten möglicherweise vermieden werden können, wenn man sich bei der Einführung – wie ursprünglich vorgesehen – die Zeit für eine gründliche Testung aller Prozesse in einer umschriebenen Testregion genommen hätte. Der politische Wille, die Digitalisierung im Gesundheitswesen schnellstmöglich voranzutreiben, war stärker. Die Folge: derzeit ist die gesamte Bundesrepublik eine Testregion für das E-Rezept.

(mack)