IT-Recht: Wie der Digital Services Act ohne deutsches Begleitgesetz startet

Seite 3: Pflichten für Anbieter

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Das bevorstehende Durchsetzungsvakuum in Deutschland betrifft nicht nur den künftigen Koordinator für die digitalen Dienste: Für bestimmte Vorschriften, die eigentlich eher Datenschutzrecht betreffen, soll laut DDG-Entwurf etwa der Bundesbeauftragte für den Datenschutz (BfDI) zuständig sein. "Solange es keine gesetzliche Grundlage gibt, können wir keine Aufsicht führen. Diese müsste uns erst zugewiesen werden", sagt eine Sprecherin der Bonner Bundesdatenschutzaufsicht.

Unternehmen können sie bei der Umsetzung des DSA aber keineswegs Zeit lassen, denn sie müssen bei Verstößen trotzdem mit Sanktionen rechnen. Längst nicht für alle behördlichen Zuständigkeiten rund um den DSA ist das deutsche DDG vonnöten. So können etwa die Medienanstalten der Länder schon auf Basis ihrer bisherigen Möglichkeiten ab dem 17. Februar 2024 Anordnungen nach Art. 9 DSA auf den Weg bringen: Finden sie vermeintlich rechtswidrige Inhalte, können sie Betreiber in der EU dazu verpflichten, dagegen vorzugehen.

"Im Ergebnis bedeutet der DSA vor allem die Eröffnung weiterer Verfahrenswege für die Aufsicht in Kooperation mit den anderen DSCs oder national zuständigen Behörden sowie der Europäischen Kommission", erläutert Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW (LFM NRW) und Europabeauftragter der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM). Das kann etwa Anordnungen zur Entfernung von medienrechtlich unzulässigen Inhalten meinen. So hatten die Landesmedienanstalten nach dem Angriff der Hamas auf Israel bereits im Oktober 2023 Hunderte von Inhalten an die EU-Kommission gemeldet, bei denen es sich aus ihrer Sicht um Rechtsverstöße auf den besonders großen Plattformen handelte, die bereits vom DSA erfasst waren.

Tobias Schmid, der Direktor der Landesmedienanstalt NRW, kooperiert bereits mit der EU-Kommission. Seine Behörde meldet Rechtsverstöße in großen sozialen Medien, die unter den DSA fallen.

(Bild: Landesanstalt für Medien NRW)

Und auch andere Behörden und Gerichte können gemäß Art. 9 DSA Anordnungen aussprechen. Der Rechtswissenschaftler Jürgen Kühling von der Universität Regensburg erläutert, worauf Unternehmen bereits heute besonders achten sollten: "Während bloße Vermittlungsdienste nur bestimmten Transparenzpflichten unterliegen oder einen gesetzlichen Vertreter bestimmen müssen, müssen Hosting-Diensteanbieter sowie Onlineplattformen und Suchmaschinen Melde- und Beschwerdeverfahren einrichten, um gegen rechtswidrige Inhalte vorzugehen."

Hier kommt es auch auf die im DSA festgelegten Details an. So muss die nach DSA verpflichtende Kontaktstelle in einer Amtssprache des Mitgliedstaates ansprechbar sein, in dem der Anbieter sitzt – sowie in einer Sprache, die "von möglichst vielen Unionsbürgerinnen und Unionsbürger verstanden wird". Diese Kontaktstelle für Nutzer darf nicht vollautomatisiert agieren und muss leicht erreichbar und nutzbar sein.

Hat ein Anbieter seinen Sitz außerhalb der EU und keine Niederlassung in einem EU-Staat, muss er einen Vertreter für alle DSA-Belange benennen, die für Verstöße mit in der Haftung stehen. Das betrifft etwa kleinere US-Anbieter, aber auch Schweizer, türkische oder ukrainische Unternehmen, die ihre Dienste auch in der EU anbieten.

Eine weitere Pflicht betrifft ebenfalls alle Anbieter: Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) müssen künftig über einige Funktionen transparenter informieren und leicht zu verstehen sein. Insbesondere bei Marktplätzen und Plattformen dürfen Nutzer deutliche Verbesserungen erwarten. Auf die Dienste kommt an dieser Stelle jetzt Arbeit zu, sofern sie die DSA-Vorgaben bislang noch nicht umgesetzt haben.

So hat der Nachfolger von eBay Kleinanzeigen bereits bekannt gegeben, welche Regeln er ab dem 17. Februar 2024 anwenden wird. Der Unterschied zwischen den AGB-Versionen erkennt man schnell. So erläutert Kleinanzeigen nun wesentlich genauer, wie Suchergebnisse zustande kommen: In der Standardsortierung stehen die neuesten Anzeigen oben, eine Ortseingabe beschränkt die Ergebnisse auf diesen Ort oder Radius. Kleinanzeigen erläutert auch, wie die alternative Sortierung nach Relevanz funktioniert. Die AGB enthalten überdies Angaben dazu, wie viele Konten Nutzer anlegen dürfen und wie der Anbieter beim Verdacht auf rechtswidrige Inhalte agiert.

Man wolle Nutzer künftig transparenter informieren, versichert Kleinanzeigen-Pressesprecher Pierre du Bois: "Wir werden noch deutlicher auf Widerspruchsmöglichkeiten sowie die außergerichtliche Streitbeilegung hinweisen." Das gilt wohl insbesondere für das Beschwerdemanagementsystem, das den DSA-Vorgaben gemäß umgebaut werden muss. Werden Inhalte oder Nutzer von einer Plattform gesperrt, können Betroffene dagegen nämlich binnen sechs Monaten vorgehen. Solch ein Beschwerdesystem müssen ab dem 17. Februar 2024 alle Plattformen vorweisen, die nach EU-Definition keine Klein- oder Kleinstunternehmen sind.

Der DSA enthält anders als das NetzDG keinen Katalog mit Straftatbeständen. Dies wäre auch kaum machbar, weil jeder der 27 Mitgliedsstaaten unterschiedliche Strafgesetze hat. Gemeldete, möglicherweise illegale Inhalte müssen die Betreiber nach der Rechtslage prüfen, die in dem Land des Verursachers gilt. Hierzulande geht es um Urheberrechtsverstöße genauso wie um Volksverhetzung, Produktfälschungen oder die Billigung von Straftaten. Dafür müssen alle Hosting-Dienste und Plattformen einen Meldeweg bereitstellen, und zwar in der Nähe der verdächtigen Nutzerbeiträge, Fotos und Videos.

Anbieter müssen die eingehenden Meldungen zeitnah prüfen. Dazu nutzen die großen Plattformen bereits seit einigen Jahren KI-Werkzeuge, die zumindest vorsortieren, in vielen Fällen auch automatisiert entscheiden. Laut DSA darf dies nicht dazu führen, dass automatisch Inhalte verschwinden. Dies können die Anbieter auch nicht in den AGBs überstimmen: "Gemäß Artikel 14 Absatz 4 DSA müssen insbesondere die Grundrechte der Nutzer berücksichtigt werden, wodurch die Diensteanbieter ihre ‚Hausregeln‛ nicht willkürlich bestimmen können", erläutert Rechtsprofessor Jürgen Kühling.

Mittlerweile bietet auch der Kurznachrichtendienst X seinen Nutzern ein leicht zugängliches Meldeformular gemäß den DSA-Vorgaben in Landessprache an.

Streit ist vorprogrammiert, etwa, wenn sich Satiriker, Medien oder die Wissenschaft auf ihre Freiheit berufen. DSA und DDG sollen Willkür einen Riegel vorschieben: Umfasste Anbieter müssen prüfen, ob eine Meldung berechtigt ist und ob ein Inhalt tatsächlich keine juristische Rechtfertigung für seine öffentliche Existenz hat. Dies verstärkt den Trend, komplexe Rechtsfragen im Eilverfahren durch private Dienstleister zu beurteilen. Viele Anbieter haben vor allem ein Interesse: den Aufwand gering zu halten.