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IT-Recht: Wie der Digital Services Act ohne deutsches Begleitgesetz startet

| Falk Steiner

Beschwerden und Anträge dürften sich nach dem 17. Februar 2024 vervielfachen. Aufgrund von Kompetenzgerangel sind die deutschen Gesetzesanpassungen nicht fertig

Der Digital Services Act (DSA) wirkt ab 17. Februar 2024, und er regelt die Grundpflichten von Onlineanbietern neu: Hosting-Dienste und Onlineplattformen müssen nun leicht zugängliche Melde- und Abhilfeverfahren für die Meldung potenziell rechtswidriger Inhalte bereitstellen. Der DSA sieht zwar keine konkreten Fristen vor, Beschwerden sollen aber "zeitnah" bearbeitet und entschieden werden. Neue Transparenzpflichten treffen sämtliche Anbieter. Sie müssen sie regelmäßig mehr oder weniger ausführliche Berichte über die Moderation von Inhalten und andere Dinge veröffentlichen.

Vom Vermittlungsdienst über Hoster bis hin zu sozialen Netzwerken und Onlinemarktplätzen bleibt keine Kategorie verschont. In den vergangenen Monaten standen vor allem die größten Unternehmen wie Meta, Amazon, Google, X und TikTok im Fokus [1]. Für diese derzeit 19 herausgehobenen Anbieter gelten besonders scharfe Pflichten bereits seit August 2023. Jetzt müssen die kleineren Anbieter nachziehen und den DSA-Pflichtenkatalog beachten. Das werden auch die Nutzer mehr und mehr bemerken, etwa, wenn neue Meldebuttons auftauchen, verwirrende Führung auf Bedienoberflächen verschwindet oder Geschäftsbedingungen verständlicher formuliert werden.

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Für die Regulierung hat sich die EU-Kommission ein Stufensystem ausgedacht: Der DSA sieht einige grundlegende Pflichten vor, die für alle "Dienste der Informationsgesellschaft" nach EU-Definition gelten. Dies sind alle sogenannten "Vermittlungsdienste". Darunter fallen etwa Kommunikationsnetzbetreiber, Content-Delivery-Netzwerke, DNS-Dienste, VPN-Anbieter und Sprachtelefoniedienste. Für Cloudbetreiber, Webhoster oder Filesharing-Plattformen gelten zusätzliche Spezialvorschriften. Schärfere Pflichten gelten für die Onlineplattformen und Marktplätze, die Dritten Angebote von Waren oder Dienstleistungen ermöglichen.

c't kompakt
  • Der Digital Services Act (DSA) wird am 17. Februar für alle Onlinedienste wirksam. Sie müssen beispielsweise Meldewege und Beschwerdestellen einrichten, Transparenzpflichten erfüllen und Kontaktmöglichkeiten bieten.
  • Das deutsche Umsetzungsgesetz für den Digital Services Act (DSA) wird "Digitale-Dienste-Gesetz" (DDG) heißen und wohl frühestens Ende März in Kraft treten.
  • Erst wenn das DDG gilt, kann die deutsche DSA-Aufsicht, die bei der Bundesnetzagentur angesiedelt sein wird, ihre Aufgaben wahrnehmen.
  • Auf den Bund und die Unternehmen kommen neue Kosten und bürokratischer Aufwand zu.

Die Pflichten der EU-Verordnung gelten ab dem 17. Februar 2024, auch wenn der deutsche Gesetzgeber mal wieder hinterherhinkt. Die Bundesregierung hatte vor allem zwei Fragen zu klären, als der DSA im November 2022 verabschiedet worden war: Welche Behörde würde das innerstaatliche Aufsichtsregime übernehmen? Und: Wie sollte die Kooperation mit den anderen DSA-Durchsetzungsbehörden laufen? Außerdem galt es, die deutschen Gesetze an die DSA-Erfordernisse anzupassen, um Widersprüche aufzulösen.

Verantwortlich für all die Gesetzesänderungen ist das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV). Fast ein Jahr nach der ersten Ankündigung folgte am 22. Dezember 2023 der erste Aufschlag: Nach der Kabinettsabstimmung brachte die Ampelkoalition ihren Entwurf zum "Digitale-Dienste-Gesetz" (DDG) getauften Änderungspaket auf den Weg.

Am 18. Januar hat der Bundestag den Entwurf in erster Lesung beraten und anschließend in den federführenden Ausschuss für Digitales überwiesen. Das DDG soll nun schnellstmöglich durch die Institutionen laufen, denn ohne das Gesetz dürfen die Behörden nicht loslegen. Die Betreiber aber müssen sich dennoch ab dem 17. Februar 2024 an die DSA-Regeln halten. Abgeordnete rechnen derzeit damit, dass das deutsche Begleitgesetz zum DSA noch Änderungen erfährt und frühestens im April in Kraft tritt. Einen nötigen Vertreter stellt die Bundesnetzagentur dennoch bereits zum Wirksamwerden.

Der DSA regelt einige Bereiche, die in der föderalen Bundesrepublik unterschiedliche Zuständigkeiten berühren. Teile des Telekommunikationsgesetzes (TKG) sind betroffen, das Telemediengesetz (TMG) sogar vollständig. Andere DSA-Vorschriften tangieren das Datenschutzrecht, wieder andere die Inhalteregulierung, also das Medienrecht, den Jugendmedienschutz und den Jugendschutz. Medienrecht und Jugendmedienschutz liegen in Deutschland eigentlich ausschließlich in der Zuständigkeit der Bundesländer.

Hinzu kommt das schwierige Erbe des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), für dessen Anwendung bislang das Bundesamt für Justiz verantwortlich war. Und für die Strafverfolgung sind eigentlich die Länderpolizeien zuständig. Allerdings darf der Bundesgesetzgeber keine Länderbehörden beauftragen. Juristen nennen dies Mischverwaltungsverbot.

Gestritten wurde daher monatelang darüber, wer in Deutschland federführend für welche DSA-Bereiche zuständig sein soll: Inhaltliche Kompetenz und formale Kompetenz, also Zuständigkeit, standen einander kaum vereinbar gegenüber. Federführend wird, so sieht es der Vorschlag des Bundeskabinetts nun vor, eine unabhängige Stelle bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) sein.

Bundesdigitalminister Volker Wissing (FDP) zeigte sich denn auch im Dezember 2023 stolz darauf, was sein Haus geleistet habe: "Bei der Bundesnetzagentur schaffen wir eine starke Plattformaufsicht, um die neuen Verpflichtungen für Online-Dienste auch in Deutschland konsequent durchzusetzen. Damit nehmen wir die Plattformbetreiber stärker in die Pflicht, rechtswidrige Inhalte zu bekämpfen." Man modernisiere den Rechtsrahmen für digitale Dienste in Deutschland und regele Buß- und Zwangsgelder für Verstöße gegen den DSA.

Diese Modernisierung lässt sich der Bund laut Begründung zum DDG-Entwurf einiges kosten. Demnach schafft er in der BNetzA dafür rund 100 neue Stellen, was jährlich mit etwa zehn Millionen Euro zu Buche schlägt. Wie viel finanzieller Mehraufwand in der Wirtschaft entsteht, mag das Ministerium im Entwurf nicht angeben, "da sich die Verpflichtungen nicht aus dem Bundesrecht, sondern unmittelbar aus europäischen Regelungen ergeben".

An anderer Stelle prognostiziert das Digitalministerium dem Bund weitere Kosten: Das DDG wird die Anbieter dazu verpflichten, mit Strafverfolgungsbehörden zusammenzuarbeiten. Bei bestimmten Verdachtsfällen müssen die Anbieter Inhalte nun inklusive verfügbarer Metadaten unverzüglich ans Bundeskriminalamt (BKA) weiterleiten.

Dafür soll das BKA mehr Personal erhalten. Es gilt, die neue "Digitale Eingangsstelle" zu besetzen, wofür allein 400 BKA-Mitarbeiter vorgesehen sind. Dort sollen die Meldungen auflaufen. Das BKA erwarte deshalb "einen deutlichen Anstieg jährlicher Kosten um rund 44 Millionen Euro und einmalige Kosten von rund 21 Millionen Euro".

Der Gesetzgeber rechnet laut DDG-Entwurfsbegründung mit einem Anstieg von bisher 6000 auf 720.000 Verdachtsmeldungen jährlich, die anschließend an die zuständigen Behörden weitergegeben werden – im Regelfall sind das die Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften der Bundesländer.

Die hohe erwartete Zahl ist erstaunlich, denn die Meldepflicht in Art. 18 DSA betrifft nur den Verdacht einer "Straftat, die eine Gefahr für das Leben oder die Sicherheit einer Person oder von Personen darstellt". Die Vorschrift ist damit deutlich enger gefasst als der Katalog von Straftatverdachtsmeldungen, die bislang nach dem NetzDG an das BKA gehen mussten.

Die Verzögerungen beim DDG verursachen Stress bei den Unternehmen. Erst wenn das deutsche Gesetz in Kraft sei, gebe es Rechtsklarheit, bemängelt Oliver Süme, Vorstand beim Verband der Internetwirtschaft eco: Man müsse abwarten, "wie das Digitale-Dienste-Gesetz in Deutschland am Ende des parlamentarischen Verfahrens tatsächlich ausgestaltet ist und dann auch in der praktischen Anwendung inklusive der Ausgestaltung der Aufsicht gehandhabt wird". Ähnlich sieht das der IT-Verband Bitkom: "Es fehlen an einigen Stellen noch Konkretisierungen", sagt Lina Wöstmann, Bereichsleiterin Medienpolitik und Plattformen.

Das DDG stellt aber nicht nur für die Unternehmen das Fundament, sondern auch für die Aufsichtsbehörden. Federführend wird wie oben erwähnt eine unabhängige Stelle bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) sein. Sie soll die Rolle des vom DSA zwingend vorgesehenen nationalen Koordinators für Digitale Dienste (Digital Service Coordinator, DSC) übernehmen.

Die Bundesnetzagentur hatte Ende Januar noch einen Platzhalter, wo bald eine Beschwerdestelle entstehen soll.,

Die Bundesnetzagentur hatte Ende Januar noch einen Platzhalter, wo bald eine Beschwerdestelle entstehen soll.

Das bedeutet: Die BNetzA beaufsichtigt dann nicht nur Unternehmen mit Sitz in Deutschland. Sie unterstützt auch bei Verfahren anderer Aufsichtsbehörden im EU-Ausland und hilft, den DSA gegenüber den größten Anbietern durchzusetzen, die die EU-Kommission beaufsichtigt. Möglich ist sogar, dass sie mit zuständigen Behörden Einsätze koordiniert, um eine Durchsuchung bei einem Anbieter vorzubereiten. Der DSA sieht derartige Amtshilfeverfahren ausdrücklich vor.

Bei alledem soll die Behördenstelle weitgehend unabhängig agieren: Weil sie auch für die Regulierung von Plattforminhalten zuständig ist, darf sie keiner Regierungsweisung unterworfen sein. Auch die wichtige Rolle als deutsches Mitglied im neuen "Gremium für Digitale Dienste" auf EU-Ebene soll die Leitung dieser BNetzA-Stelle dann wahrnehmen. Dieser DSA-Rat stellt einen wesentlichen Baustein im Regulierungsgefüge dar, etwa wenn es um die Frage von Zwangsmaßnahmen gegen die größten Betreiber geht – ohne ihn können weder Bußgeldverfahren noch Anordnungen ergehen.

Der BNetzA soll außerdem die wichtige Funktion als zentrale Meldestelle zukommen: Wenn Nutzer nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen, wenn sie einen Regelverstoß vermuten, können sie immer zur BNetzA. Doch solange das DDG nicht verabschiedet ist, darf sie all die neuen Kompetenzen noch nicht wahrnehmen, erläutert ein Sprecher der Agentur: "In Aufgabenbereichen, für die keine Zuständigkeit besteht, können Behörden keine förmlichen Entscheidungen wie etwa den Erlass von Verwaltungsakten oder eine Verhängung von Bußgeldern treffen."

Das bevorstehende Durchsetzungsvakuum in Deutschland betrifft nicht nur den künftigen Koordinator für die digitalen Dienste: Für bestimmte Vorschriften, die eigentlich eher Datenschutzrecht betreffen, soll laut DDG-Entwurf etwa der Bundesbeauftragte für den Datenschutz (BfDI) zuständig sein. "Solange es keine gesetzliche Grundlage gibt, können wir keine Aufsicht führen. Diese müsste uns erst zugewiesen werden", sagt eine Sprecherin der Bonner Bundesdatenschutzaufsicht.

Unternehmen können sie bei der Umsetzung des DSA aber keineswegs Zeit lassen, denn sie müssen bei Verstößen trotzdem mit Sanktionen rechnen. Längst nicht für alle behördlichen Zuständigkeiten rund um den DSA ist das deutsche DDG vonnöten. So können etwa die Medienanstalten der Länder schon auf Basis ihrer bisherigen Möglichkeiten ab dem 17. Februar 2024 Anordnungen nach Art. 9 DSA auf den Weg bringen: Finden sie vermeintlich rechtswidrige Inhalte, können sie Betreiber in der EU dazu verpflichten, dagegen vorzugehen.

"Im Ergebnis bedeutet der DSA vor allem die Eröffnung weiterer Verfahrenswege für die Aufsicht in Kooperation mit den anderen DSCs oder national zuständigen Behörden sowie der Europäischen Kommission", erläutert Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW (LFM NRW) und Europabeauftragter der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM). Das kann etwa Anordnungen zur Entfernung von medienrechtlich unzulässigen Inhalten meinen. So hatten die Landesmedienanstalten nach dem Angriff der Hamas auf Israel bereits im Oktober 2023 Hunderte von Inhalten an die EU-Kommission gemeldet, bei denen es sich aus ihrer Sicht um Rechtsverstöße auf den besonders großen Plattformen handelte, die bereits vom DSA erfasst waren.

Tobias Schmid, der Direktor der Landesmedienanstalt NRW, kooperiert bereits mit der EU-Kommission. Seine Behörde meldet Rechtsverstöße in großen sozialen Medien, die unter den DSA fallen., Landesanstalt für Medien NRW

Tobias Schmid, der Direktor der Landesmedienanstalt NRW, kooperiert bereits mit der EU-Kommission. Seine Behörde meldet Rechtsverstöße in großen sozialen Medien, die unter den DSA fallen.

(Bild: Landesanstalt für Medien NRW)

Und auch andere Behörden und Gerichte können gemäß Art. 9 DSA Anordnungen aussprechen. Der Rechtswissenschaftler Jürgen Kühling von der Universität Regensburg erläutert, worauf Unternehmen bereits heute besonders achten sollten: "Während bloße Vermittlungsdienste nur bestimmten Transparenzpflichten unterliegen oder einen gesetzlichen Vertreter bestimmen müssen, müssen Hosting-Diensteanbieter sowie Onlineplattformen und Suchmaschinen Melde- und Beschwerdeverfahren einrichten, um gegen rechtswidrige Inhalte vorzugehen."

Hier kommt es auch auf die im DSA festgelegten Details an. So muss die nach DSA verpflichtende Kontaktstelle in einer Amtssprache des Mitgliedstaates ansprechbar sein, in dem der Anbieter sitzt – sowie in einer Sprache, die "von möglichst vielen Unionsbürgerinnen und Unionsbürger verstanden wird". Diese Kontaktstelle für Nutzer darf nicht vollautomatisiert agieren und muss leicht erreichbar und nutzbar sein.

Hat ein Anbieter seinen Sitz außerhalb der EU und keine Niederlassung in einem EU-Staat, muss er einen Vertreter für alle DSA-Belange benennen, die für Verstöße mit in der Haftung stehen. Das betrifft etwa kleinere US-Anbieter, aber auch Schweizer, türkische oder ukrainische Unternehmen, die ihre Dienste auch in der EU anbieten.

Eine weitere Pflicht betrifft ebenfalls alle Anbieter: Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) müssen künftig über einige Funktionen transparenter informieren und leicht zu verstehen sein. Insbesondere bei Marktplätzen und Plattformen dürfen Nutzer deutliche Verbesserungen erwarten. Auf die Dienste kommt an dieser Stelle jetzt Arbeit zu, sofern sie die DSA-Vorgaben bislang noch nicht umgesetzt haben.

So hat der Nachfolger von eBay Kleinanzeigen bereits bekannt gegeben, welche Regeln er ab dem 17. Februar 2024 anwenden wird. Der Unterschied zwischen den AGB-Versionen erkennt man schnell. So erläutert Kleinanzeigen nun wesentlich genauer, wie Suchergebnisse zustande kommen: In der Standardsortierung stehen die neuesten Anzeigen oben, eine Ortseingabe beschränkt die Ergebnisse auf diesen Ort oder Radius. Kleinanzeigen erläutert auch, wie die alternative Sortierung nach Relevanz funktioniert. Die AGB enthalten überdies Angaben dazu, wie viele Konten Nutzer anlegen dürfen und wie der Anbieter beim Verdacht auf rechtswidrige Inhalte agiert.

Man wolle Nutzer künftig transparenter informieren, versichert Kleinanzeigen-Pressesprecher Pierre du Bois: "Wir werden noch deutlicher auf Widerspruchsmöglichkeiten sowie die außergerichtliche Streitbeilegung hinweisen." Das gilt wohl insbesondere für das Beschwerdemanagementsystem, das den DSA-Vorgaben gemäß umgebaut werden muss. Werden Inhalte oder Nutzer von einer Plattform gesperrt, können Betroffene dagegen nämlich binnen sechs Monaten vorgehen. Solch ein Beschwerdesystem müssen ab dem 17. Februar 2024 alle Plattformen vorweisen, die nach EU-Definition keine Klein- oder Kleinstunternehmen sind.

Der DSA enthält anders als das NetzDG keinen Katalog mit Straftatbeständen. Dies wäre auch kaum machbar, weil jeder der 27 Mitgliedsstaaten unterschiedliche Strafgesetze hat. Gemeldete, möglicherweise illegale Inhalte müssen die Betreiber nach der Rechtslage prüfen, die in dem Land des Verursachers gilt. Hierzulande geht es um Urheberrechtsverstöße genauso wie um Volksverhetzung, Produktfälschungen oder die Billigung von Straftaten. Dafür müssen alle Hosting-Dienste und Plattformen einen Meldeweg bereitstellen, und zwar in der Nähe der verdächtigen Nutzerbeiträge, Fotos und Videos.

Anbieter müssen die eingehenden Meldungen zeitnah prüfen. Dazu nutzen die großen Plattformen bereits seit einigen Jahren KI-Werkzeuge, die zumindest vorsortieren, in vielen Fällen auch automatisiert entscheiden. Laut DSA darf dies nicht dazu führen, dass automatisch Inhalte verschwinden. Dies können die Anbieter auch nicht in den AGBs überstimmen: "Gemäß Artikel 14 Absatz 4 DSA müssen insbesondere die Grundrechte der Nutzer berücksichtigt werden, wodurch die Diensteanbieter ihre ‚Hausregeln‛ nicht willkürlich bestimmen können", erläutert Rechtsprofessor Jürgen Kühling.

Mittlerweile bietet auch der Kurznachrichtendienst X seinen Nutzern ein leicht zugängliches Meldeformular gemäß den DSA-Vorgaben in Landessprache an.,

Mittlerweile bietet auch der Kurznachrichtendienst X seinen Nutzern ein leicht zugängliches Meldeformular gemäß den DSA-Vorgaben in Landessprache an.

Streit ist vorprogrammiert, etwa, wenn sich Satiriker, Medien oder die Wissenschaft auf ihre Freiheit berufen. DSA und DDG sollen Willkür einen Riegel vorschieben: Umfasste Anbieter müssen prüfen, ob eine Meldung berechtigt ist und ob ein Inhalt tatsächlich keine juristische Rechtfertigung für seine öffentliche Existenz hat. Dies verstärkt den Trend, komplexe Rechtsfragen im Eilverfahren durch private Dienstleister zu beurteilen. Viele Anbieter haben vor allem ein Interesse: den Aufwand gering zu halten.

Viele Unternehmen haben sich noch nicht mit dem DSA auseinandergesetzt und könnten bald ihr blaues Wunder erleben. Bei einigen, die es bereits angegangen sind, herrscht derzeit Verunsicherung vor: Wo sollte man sich im Regelungssystem einsortieren, welche Pflichten gelten denn dann, welche nicht?

DSA und DDG sehen auch besondere Pflichten für Marktplätze vor, also Vermittlungsplattformen für Produkte oder Dienstleistungen. Was die allerdings umfassen, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen: "Viele kleinere kuratierte Plattformen werden die neuen Regeln aus Gründen der Rechtssicherheit wohl anwenden, obwohl sie nach dem Sinn und Zweck des DSA eigentlich nicht in den Anwendungsbereich fallen sollten", erwartet der Handelsverband Deutschland (HDE).

Onlineshops, die nur eigene Verkaufsgeschäfte abwickeln, würden nicht unter den DSA fallen, meint der Verband – auch dann nicht, wenn sie Nutzerrezensionen ermöglichen. Ein HDE-Sprecher erläutert: "Dies gilt nach unserer Auffassung auch dann, wenn sie Daten Dritter im Zusammenhang mit geschalteter Werbung oder einer Kommentarfunktion öffentlich verbreiten, da es sich in diesem Fall um eine Nebenfunktion handelt."

"Nebenfunktionen" sieht der Gesetzestext als maßgebliches Kriterium vor: Sofern es sich "nur um eine unbedeutende und untrennbar mit einem anderen Dienst verbundene reine Nebenfunktion oder um eine unbedeutende Funktion des Hauptdienstes handelt", soll aus einem Hosting-Dienst keine Onlineplattform werden, heißt es im Erwägungsgrund 13 des DSA.

Ob etwas eine reine Nebenfunktion ist, richtet sich vor allem nach der technischen Implementierung. Demnach fallen etwa Kommentarspalten unter Artikeln von Medien-Websites aus der Regulierung heraus. Und da liegt die Krux: Hängt an dem Account, mit dem die Nutzer ihre Kommentare absetzen, etwa auch die Aboverwaltung, könnte sich die Lage juristisch bereits anders darstellen.

Summa summarum: Rund um den DSA wird derzeit emsig geschraubt und geflanscht. Bis sich die Lage eingeruckelt hat, dürfte es noch Monate oder gar Jahre dauern.


(hob [12])


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