Leben ohne Ende?

Seite 2: Altern muss nicht zwangsläufig voranschreiten

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"Unsere Studie zeigt, dass Altern nicht zwangsläufig in eine Richtung voranschreiten muss. Der Prozess ist vielmehr formbar und kann bei sorgfältiger Regulierung wahrscheinlich umgekehrt werden", sagt Studienleiter Belmonte. Aber auch zwei Signalwege, die mit dem Altern zusammenhängen, haben Forscher entdeckt: Insulin/IGF-1 spielt für das Wachstum und den Stoffwechsel eine wichtige Rolle, während Target for Rapamycin (kurz TOR) neben Wachstum und anderen Prozessen auch die Vermehrung von Zellen reguliert. Wenn wir die biologische Uhr weit genug verlangsamen können, so die Überlegung, ließe sich der Beginn des Alterns und der damit einhergehenden Krankheiten herauszögern. Die Biochemikerin Cynthia Kenyon, die heute bei Calico die Abteilung für Altersforschung leitet, fand etwa heraus, wie eine einzelne Mutation die Lebenserwartung von Würmern verdoppeln kann.

Sie begann bereits 1993 an der University of California in San Francisco zu erforschen, warum Tiere unterschiedlich lange leben und wie die Lebensspanne genetisch festgelegt sein könnte. Für ihre Experimente wählte sie den Rundwurm Caenorhabditis elegans (C. elegans). Bei dem häufig für genetische Experimente eingesetzten Wurm, der nur zwei bis drei Monate alt wird, lassen sich Veränderungen der Lebenserwartung leicht messen. Obendrein hatte eine frühere Studie eine mutierte Variante entdeckt, die ungewöhnlich lange lebte. Kenyons Gruppe veränderte die Gene von C. elegans zunächst nach einem zufälligen Muster, um zu sehen, ob eine der Mutationen die Tiere länger leben lässt.

Tatsächlich verdoppelte die Beschädigung eines einzelnen Gens namens daf-2 ihre Lebensdauer. Sie schienen zudem langsamer zu altern. Die mutierten Würmer alterten in zwei Tagen so stark wie die unveränderten schon in einem. Die Ergebnisse ließen sich auch bei anderen Tieren beobachten. Veränderten die Forscher dasselbe Gen bei Fliegen und Mäusen, lebten auch sie länger. Interessanterweise beeinflusst das Daf-2-Gen bei den Würmern einen Hormonrezeptor, der dem menschlichen Rezeptor für Insulin und dem Wachstumsfaktor IGF-1 stark ähnelt.

Menschen, die 100 Jahre und älter werden, tragen mit größerer Wahrscheinlichkeit Mutationen in sich, die die Aktivität dieses IGF-1-Rezeptors senken. Ähnliche Untersuchungen bei Hefezellen deckten auf, dass eine genetische Hemmung des TOR-Signalwegs, die ihn weniger kommunizieren lässt, ebenfalls zu einer längeren Lebenszeit führt. Zusammengenommen legen die Forschungsergebnisse nahe, dass die Hemmung der beiden Signalwege das Altern verlangsamen könnte.

Allerdings haben die Experimente einen Haken: Sie beruhen auf genetischen Veränderungen, was mit einer Reihe ethischer und praktischer Probleme einhergeht. Deshalb konzentriert sich ein Großteil der Anti-Aging-Wissenschaft auf Maßnahmen, mit denen sich entweder der TOR- oder der IGF-1-Signalweg ohne Erbgutmodifikationen steuern lässt. Eine dieser Möglichkeiten ist ziemlich radikal. Sie beruht auf dem Medikament Rapamycin, das die Immunabwehr unterdrückt und nach Transplantationen eine Abstoßungsreaktion verhindert. Es verlängerte die Lebenserwartung bei Nagern um 14 Prozent.

Aber die Forscher haben auch harmlosere Wege entdeckt – selbst wenn einer davon all jenen missfallen dürfte, die gern essen: Studien zufolge lebten Mäuse, die 65 Prozent weniger Futter erhielten, bis zu 60 Prozent länger. Nicht ganz so wirkungsvoll, aber eventuell praxisnäher, ist eine niedrige tägliche Aspirin-Dosis. Sie ließ Würmer um 23 Prozent länger leben. Auch Vitamin D ist im Rennen. Die Substanz verlängerte die Lebenszeit von Würmern um 31 Prozent. Selbst die erst gehypten, dann fast schon verfemten Sirtuine sind wieder im Spiel. Bekannt geworden sind sie über den Rotwein-Bestandteil Resveratrol. Er gilt als Sirtuin-Aktivator, und in Tierversuchen zeigte sich, dass seine Gabe Hefezellen um 70 Prozent und Fische um 59 Prozent länger leben ließ. Daraufhin erhöhten sich die jährlichen Umsätze mit Resveratrol-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln auf 30 Millionen Dollar.

Aber es existiert ein zweiter schwerwiegender Haken bei diesen Ergebnissen: Sämtliche Studien beruhen auf Tierversuchen, zum Teil sogar auf sehr primitiven Würmern. Was die Ergebnisse für den Menschen bedeuten, ist daher noch lange nicht klar.

Ein gutes Beispiel dafür ist Resveratrol, das neben Rotwein auch in Schokolade, Erdnüssen und Beeren vorkommt. Eine Gruppe um Richard Semba von der Johns Hopkins University ging dem vermeintlich lebensverlängernden Effekt auf den Grund. Sie rekrutierten 783 Teilnehmer, die 65 Jahre und älter waren und in zwei italienischen Dörfern in der Weingegend des Chianti lebten. Kontrolliert wurden in den zwischen 1998 und 2009 durchgeführten Untersuchungen, wie viel Resveratrol die Probanden zu sich genommen hatten. 2014 veröffentlichten die Forscher ihre ernüchternden Resultate im Fachjournal "JAMA".

Teilnehmer mit einem höheren Resveratrolwert lebten keineswegs länger. Darüber hinaus könnte die Substanz sogar Krebs auslösen, auch wenn die Ergebnisse hierzu nicht eindeutig sind. "Wurde Versuchstieren Resveratrol verabreicht, gab es sowohl positive, neutrale als auch negative Resultate, abhängig von der Art der Verabreichung, der Dosis, dem Tumormodell, der Spezies und einer Reihe weiterer Faktoren", schreiben die Autoren in einem 2014 erschienenen Artikel.