Leben ohne Ende?

Seite 3: Die Hoffnung nicht aufgeben

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David Sinclair, einer der Urväter der Sirtuin-Forschung, gibt die Hoffnung dennoch nicht auf. Mit neuen Studien untermauert der Genetiker von der Harvard University seine Ansicht, dass die Enzyme tatsächlich an Alterungsprozessen beteiligt sind. Voriges Jahr veröffentlichte er gemeinsam mit Michael Bonkowski in der Fachzeitschrift "Nature Reviews Molecular Cell Biology" eine Studie, bei der sie in Mäusen alle sieben Sirtuine aktiviert hatten. Bei den Tieren verbesserten sich Organfunktion und physische Ausdauer.

Ihre Lebenszeit verlängerte sich, und die Anfälligkeit für Krankheiten sank. Der Trick gelang durch sogenannte Nikotinamid-Adenin-Dinukleotide (NAD). 2017 zeigte die Sinclair-Gruppe dann, dass Mäuse, bei denen der NAD-Spiegel erhöht wurde, schlanker waren und mehr Energie hatten. Derzeit startet Sinclair erste Studien mit Menschen. Ziel der Therapie ist ein höheres NAD-Level in den Zellen, das durch die Gabe von Nicotinamid-Mononucleotide (NMN), einer Vorstufe des Stoffes, erreicht werden soll.

Mit anderen erfolgversprechenden Medikamenten laufen die ersten Untersuchungen am Menschen bereits. Bemerkenswert ist vor allem Metformin, ein Medikament für die Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2, auch Erwachsenendiabetes genannt. Einer Studie aus England zufolge leben mit Metformin therapierte Patienten acht Jahre länger und damit sogar länger als eine gesunde Vergleichsgruppe. Ende 2015 bewilligte die US-Gesundheitsbehörde FDA daher die klinische Studie TAME ("Targeting Aging with Metformin"). Darin soll der Verjüngungseffekt von Metformin beim Menschen untersucht werden. "Wir wollen zeigen, dass ein Herauszögern des Alterns der beste Weg ist, Krankheiten aufzuhalten", sagte Nir Barzilai vom Albert Einstein College of Medicine in New York, einer der beteiligten Forscher, dem Fachjournal "Nature".

Ob am Ende jedoch eine einzige Wunderpille steht, bezweifelt Brian Kennedy vom Buck Institute for Research on Aging. Er forscht seit 20 Jahren auf dem Gebiet und glaubt eher an eine ganzheitliche, effektive Behandlungskombination, die das Altern beendet oder zumindest zu einem Schleichen verlangsamt. Hierfür sieht er allerdings viele Gründe für Hoffnung. "Vor zehn Jahren hätten wir große Schwierigkeiten gehabt, viel mehr als Bewegung und eine bestimmte Ernährung zu empfehlen", sagt er. "Jetzt haben wir 10 bis 15 Maßnahmen, die wirksam sein könnten."

Trotzdem werden durchschlagende Erfolge wohl noch eine Weile auf sich warten lassen. Ein Problem der Alterungsexperimente ist, dass Menschen so lange leben. Sorgfältige Studien könnten deshalb mehrere Generationen von Forschern erfordern.

Eher denkbar ist aber, dass der entscheidende Durchbruch ganz ausbleiben wird. Forscher vom Albert Einstein College of Medicine in New York haben sich im vorigen Oktober im Fachjournal "Nature" über die menschliche Lebensspanne geäußert. "Wir wollten sehen, welche Verbesserungen bei der menschlichen Langlebigkeit gemacht werden, oder in diesem Fall eher nicht gemacht werden", sagt Studienleiter Brandon Milholland.

Auf der Basis existierender Daten postulierten sie, die maximale Lebenserwartung liege bei 115 Jahren. Obwohl die meisten Menschen älter als 70 Jahre alt werden, bleibt die Zahl derer, die bis jenseits der 100 leben, vergleichsweise gering. Die Ursache sehen die Forscher in den regulierenden Rahmenbedingungen des genetischen Codes. Er gebe Eckdaten wie Entwicklung, Geburt, Wachstum und Reproduktion vor und beinhalte zugleich schon die Mängel, die letztlich zum Tod führten. Der Mensch bleibe somit an seine natürlichen Grenzen gebunden. Man könne auch kein Hochhaus auf dem Fundament eines Bauernhauses errichten. Laut Milholland ist es zwar nicht unmöglich, älter als 115 Jahre alt zu werden. Aber die Wahrscheinlichkeit, ein Alter von 125 Jahren zu erreichen, liegt dem Forscher zufolge bei 1 zu 10000.

Das mag auf den ersten Blick der Historie widersprechen. Die Lebenserwartung in den USA ist seit dem frühen 20. Jahrhundert von 47 Jahren heute auf 78,7 Jahre gestiegen. In Deutschland erreichten die Männer, die zwischen 1871 und 1881 geboren wurden, laut Angaben des Statistischen Bundesamtes durchschnittlich ein Alter von 35,6 Jahren, und die Frauen wurden rund 38,4 Jahre alt. Für jene zwischen 2010 und 2012 Geborenen hat sich auch hierzulande die Lebenserwartung quasi verdoppelt: 77,7 Jahre alt sollen die Männer werden, die Frauen sogar 82,8 Jahre alt. Da liegt die Vermutung nahe, dass die menschliche Lebenszeit dehnbar ist. Allerdings wäre das die falsche Schlussfolgerung. Denn die gestiegene Lebenserwartung ist ein Durchschnittswert. Sie lässt sich zum Großteil mit dem Rückgang der Kindersterblichkeit erklären.

Wer es ins Erwachsenenalter schaffte, konnte mit gutem Grund auch früher schon erwarten, 40, 50 oder sogar 60 Jahre alt zu werden. Außerdem fand die Medizin immer bessere Heilmittel gegen Krankheiten, die zuvor 30- oder 40-Jährige dahingerafft hatten. Das maximale Alter hingegen ist nur unwesentlich gestiegen. Einige der US-Präsidenten etwa wurden sehr alt. John Adams (1735–1826) wurde 90. Benjamin Franklin (1706–1790), einer der USA-Gründerväter, 84. Die bisherige Rekordhalterin ist die Französin Jeanne Louise Calment, die 1875 geboren wurde und erst im Alter von 122 Jahren verstarb.

Die heutige Anti-Aging-Lobby spricht allerdings nicht einfach nur von einer Verdopplung der Lebensspanne, sondern von einer uneingeschränkten Erweiterung: Also länger zu leben als die 4000 Jahre alt werdenden Schwarzen Korallen, die 2000 Jahre alten Schwämme oder das Pferd Old Billy, das 62 wurde. Bislang vermochte es keine Methode, Organismen unbegrenzt am Leben zu halten, und es sind auch keine Beispiele aus der Natur dafür bekannt.

Die einzige biologisch gesehen unsterbliche Kreatur, die wir kennen, ist Krebs. Der allerdings neigt dazu, seinen Wirt umzubringen. Vielleicht sollte die Forschung daher aufhören, das Leben rein quantitativ zu beurteilen. Erstrebenswerter wäre ein vielleicht etwas längeres, dafür aber vor allem besseres und gesünderes Leben.

(inwu)