Missing Link: 50 Jahre Radikalenerlass

Seite 3: "Die Deutschen ordnen alles. Mit Sicherheit."

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George Orwell hätte an dieser Form der Sprach-Narkotisierung seine Freude gehabt. Die hatte zumindest der Karikaturist, der dazu eine Sandburg namens "Burg Burgfrieden" zeichnete, auf der ein geifernder Deutscher seine Sippe beim Burgbau antreibt, während Franzosen und Italiener mit Brot und Wein am Strand auf schlichten Decken zusehen, was die Deutschen da treiben. Überschrieben ist das Ganze mit "Die Deutschen ordnen alles. Mit Sicherheit." Die skurrile Ferienaufklärung erschien 1978 fünf Wochen lang vor den Sommerferien in Illustrierten wie dem Spiegel und dem Stern.

Die Deutschen ordnen alles. Mit Sicherheit.

(Bild: Dokument aus: Stern 34/1978)

Zu dieser Zeit hatte Willy Brandt längst eingesehen, dass der Radikalenerlass ein kapitaler Fehler war. 1976 nannte er das Vorgehen einen "Irrtum", während sein engster Zuarbeiter Horst Ehmke von einem "politischen Missurteil" sprach. Im Wahljahr 1976 machte hingegen die CDU mit dem Slogan Wahlkampf: "Wir werden nicht zulassen, daß Kommunisten unsere Kinder zu Kommunisten erziehen."

Später zogen weitere Sozialdemokraten nach und nannten den Erlass einen politischen Exorzismus oder gaben den "Kerlen in der Verwaltung" die Schuld, die Regelanfrage beim Verfassungsschutz exzessiv zu nutzen. Als einziges prominentes SPD-Mitglied verteidigte der "linke" SPD-Politiker Peter Glotz den Radikalenerlass. Er habe "durchaus das erreicht, was er erreichen sollte: der Zustrom zu kommunistischen Parteien wurde sichtbar verringert." Das Aufkommen der Alternativbewegung und der Grünen zog Glotz nicht ins Kalkül.

Der Erlass war nicht nur Bundes-, sondern Ländersache, und die Länder legten ihn sehr unterschiedlich aus. Die meisten Berufsverbote gab es im SPD-geführten Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg unter Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU), einem ehemaligen NSDAP-Mitglied und Richter. Die wenigsten im Saarland, das 1985 als erstes Bundesland die Regelanfrage abschaffte. Die auf Bundesländer aufgeschlüsselten Zahlen stammen vom III. Russell-Tribunal, das sich 1978 und 1979 unter Vorsitz des Herzegowiners Vladimir Dedijer mit dem Radikalenerlass beschäftigte. Dedijer selbst fiel unter das System der "politischen Erwünschtheit" im sozialistischen Jugoslawien und hatte in Belgrad ein Lehrverbot.

Das Tribunal stellte in seinem Schlussgutachten fest, dass durch die Praxis der Berufsverbote die UN-Deklaration der Menschenrechte und die deutsche Verfassung verletzt wurden: "Sie wurden verletzt nicht nur durch die Berufsverbote – und das sind Tausende von Fällen –, sondern bereits das gesamte Verfahren stellt eine Menschenrechtsverletzung dar. Zehntausende sind davon betroffen." Zu einem ähnlichen Urteil kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 1995. Er verhandelte den Fall der Jevener Lehrerin Dorothea Vogt, die als DKP-Mitglied aus dem Staatsdienst entfernt wurde. Das Gericht stellte fest, dass das Land Niedersachsen "unverhältnismäßig" gehandelt habe. Das Urteil führte dazu, dass Vogt eine Wiedergutmachungszahlung erhielt, auch wenn Juristen bezweifelten, dass es sich um einen Sieg der Menschenrechte handelte, wie viele Zeitungen schrieben.

Bereits das III. Russell-Tribunal forderte neben der Aufhebung des Radikalenerlasses eine Entschuldigung der Bundesregierung für die Menschenrechtsverletzung. Zum 50. Jahrestag des Extremistenbeschlusses gibt es eine Reihe empfehlenswerter Dokumentationen, etwa die der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Auch die ARD berichtete in einer Dokumentation über die Jagd auf die Verfassungsfeinde. In der Dokumentation kommt der bereits erwähnte Journalist Prantl zu Wort, der seit einem Jahr eine Entschuldigung der Politik fordert und dabei auf die neue Bundesregierung setzt: "Es bricht dem Staat keine Zacken aus der Krone, wenn er erklärt, dass die millionenfachen, generalmisstrauischen Überprüfungen der Siebziger- und Achtzigerjahre falsch waren. Es bricht dem Staat auch kein Zacken aus der Krone, wenn er in geeigneten Fällen Schadensersatz leistet."

(bme)