Schale, Dotter, Eiweiß: Wie ein Start-up das komplette Ei ohne Huhn entwickelt

Das Start-up Neggst Foods arbeitet am veganen Ei-Ersatz zum Aufschlagen, Verquirlen und Kochen. Einziger Knackpunkt bisher – ausgerechnet die Schale.

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Einmal Spiegelei, ohne dass Hühner dafür leiden mussten, bitte.

(Bild: Neggst Foods)

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Tortillas mit grüner Tomatensoße und Spiegelei: Das Gericht zählte lange zu den Lieblingsspeisen von Verónica García-Arteaga. Doch seit sich die Lebensmitteltechnologin aus Mexiko vegetarisch ernährt, ist die Zutat "Spiegelei" ein Problem. Oder vielmehr: Sie war es. Denn Garcia-Arteaga hat am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising eine vegane Alternative entwickelt, die sie über das Berliner Start-up Neggst Foods noch Ende des Jahres in die Supermarktregale bringen möchte. "Wir wollen Genuss und Gewissen in Einklang bringen und zum Tier- und Umweltschutz beitragen", sagt die Wissenschaftlerin.

Das vegane Ei sieht aus wie das Vorbild aus dem Huhn. Es hat ein Eigelb, glibberiges Eiweiß und eine helle Schale. Für ein Spiegelei kann es in der Pfanne aufgeschlagen, für einen Kuchen verquirlt oder schlicht zum Klassiker "Frühstücksei" gekocht werden. Die Hauptzutaten stammen vom Acker.

"Das Eigelb enthält Pflanzenproteine, beispielsweise aus Erbsen oder Ackerbohnen, Süßkartoffeln, Karottenextrakt, Beta-Carotin, hochwertige Omega-3-Fettsäuren und Kalzium", sagt García-Arteaga. Ein komplexes Wechselspiel weiterer Zutaten sorgt dafür, dass sich daraus nicht nur ein kugelförmiger Dotter, sondern auch eine Art Membran als Dotterhaut bildet. Zu diesen Ingredienzien zählen sogenannte Hydrokolloide, die aus Algen hergestellt werden und auch in der Molekulargastronomie zum Einsatz kommen, etwa für die Kügelchen im Bubble Tea.

Im Eiklar wiederum stecken wasserreiche Hydrogele aus Polysacchariden, also Vielfachzuckern, und Proteine, die sich leicht zu einem Gel vernetzen. Die Mischung wird beim Kochen fest und weiß – wie der Glibber aus dem echten Hühnerei. Und für den typischen Eier-Geschmack sorgt eine Prise Schwefel, den das Start-up über ein schwarzes Salz namens Kala-Namak einbringt. "Wir halten die Liste der Inhaltstoffe so einfach wie möglich: pflanzenbasierte Zutaten ohne Konservierungsstoffe, ohne künstliche Aromastoffe und ohne künstliche Farbstoffe", betont García-Arteaga.

Die Wissenschaftlerin und Mitgründerin von Neggst Foods, Verónica García-Arteaga.

(Bild: Neggst Foods)

Die Schale schließlich besteht aus einem Biokunststoff, der von Bakterien produziert wird, und aus dem natürlichen Salz Kalziumkarbonat. Das Salz ist ein wichtiger Rohstoff für die Zementproduktion, sorgt hier aber dafür, dass das vegane Ei zerbricht wie ein echtes, wenn es auf den Boden fällt. Und wie das natürliche Vorbild lässt sich auch die Fake-Eierschale, da unter Umweltbedingungen abbaubar, einfach mit dem Biomüll entsorgen. Dennoch gibt es Unterschiede. "Während die natürliche Eierschale sicherstellt, dass das heranwachsende Küken ausreichend mit Luft versorgt wird, und deshalb porös ist, gilt es hier, das Lebensmittel Ei vor Luft, Keimen und vor dem Austrocknen zu schützen", sagt der Fraunhofer-Forscher Siegfried Fürtauer.

In Deutschland isst jeder Mensch im Schnitt fast 340 Eier im Jahr. Und Gründe, diesen Konsum zu drosseln, gibt es durchaus: Tierische Produkte haben in der Regel einen größeren Fußabdruck an Treibhausgasen als pflanzliche. Und immer dort, wo viele Tiere auf engem Raum gehalten werden, steigt nicht nur der Einsatz von Medikamenten, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich Krankheitserreger bilden, die für Menschen gefährlich werden können.

Hinzu kommt: In deutschen Ställen werden mehr als 40 Millionen Legehennen gehalten und das oft unter – vorsichtig formuliert – moralisch-ethisch fragwürdigen Bedingungen. "Alle Haltungssysteme, die aktuell verbreitet sind, weisen gravierende Schwächen auf", heißt es etwa in einer Publikation des Braunschweiger Thünen-Instituts. Der Blick auf den Eierkarton suggeriere, dass die Tiere in Boden- oder Freilandhaltung "entspannt umherspazierten". Doch die Enge in vielen Ställen führe dazu, dass sowohl in der Boden- als auch in der Freilandhaltung jede zweite Legehenne Knochenbrüche aufweise.

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Zu noch dramatischeren Ergebnissen kommt 2021 eine dänische Studie im Fachblatt "PLOS ONE". Die Forschenden fanden je nach Haltungsform bei mehr als 80 Prozent Frakturen des sogenannten Brustbeinkamms. Röntgenuntersuchungen der Universität Bern zufolge könnten sogar mehr als 95 Prozent der Legehennen von Knochenverletzungen betroffen sein. Die Schweizer Forschenden vermuten als Grund, dass die hochgezüchteten Hennen fast täglich ein Ei legen und das Kalzium für die Eierschalen dabei dem Körper entzogen wird. So könnten die Knochen schlicht porös werden. Ebenfalls denkbar sei, dass die Hennen zu jung mit der Eierproduktion begännen und das Knochenmaterial dadurch leide.

Angesichts solchen Tierleids verwundert es kaum, dass nicht nur das Start-up Neggst, nach tierfreundlichem Ei-Alternativen suchen. Greenforce in München beispielsweise setzt dabei auf ein Pulver aus deutschen Ackerbohnen, das Berliner Start-up Perfeggt auf eine Flüssigkeit mit Erbsenprotein. Ein veganes, gekochtes Stangenei will die Firma Veganz noch im Frühjahr auf den Markt bringen Ein ebensolches namens "NoPokPok" ist bereits im Handel, die Marke gehört allerdings einem Wurstfabrikanten. Wirtschaftliche Interessen spielen eben auch eine Rolle, schließlich geht es bei veganen Ersatzprodukten um einen Milliardenmarkt. Auch an Neggst sind Industrieunternehmen beteiligt, darunter Zentis und Ehrmann.

Nicht immer braucht es ein aufwändig gefertigtes Produkt, um ein Ei zu ersetzen. Beim veganen Backen ist zum Beispiel Apfelmark eine Alternative oder schlicht Mineralwasser. Auch Tofu taugt als Ei-Ersatz, etwa als Rührei oder in Desserts, und Kircherbsenwasser für Eischnee. Selbst den Spiegelei-Look kann laut einem Rezept aus dem Internet aus einfachen, veganen Zutaten – unter anderem Reismehl, das schwefelhaltige Kala-Namak-Salz und Kürbispüree – auch in der eigenen Küche hergestellt werden. Ob das geschmacklich als Ei durchgeht, muss wohl jeder selber testen.

Look and Feel des Original: Der Ei-Ersatz von Neggst lässt sich auch als Spiegelei zubereiten.

(Bild: Neggst Foods)

Bei Neggst Foods in Berlin ist man vom Aroma des eigenen veganen Ei-Ersatzes jedenfalls überzeugt. Eine erste Blindverkostung soll erfolgreich verlaufen sein. Vor allem in verarbeiteter Form als Muffins und Quiche konnten 85 Prozent der Testesser das nachgeahmte vom Original-Ei nicht unterscheiden.

Für eine industrielle Produktion bleiben gleichwohl Herausforderungen. Offen ist zum Beispiel noch, wie veganes Eigelb und Eiklar so in die Schale injiziert werden können, dass auch die gewünschte Grenzfläche zwischen den beiden entsteht. Dafür haben die Forschenden zwei Möglichkeiten bereits getestet. Zum einen haben sie die Innereien nach einem ausgetüftelten Protokoll durch ein Loch in die Schale gefüllt. Dies funktioniere bereits so gut, dass eine Maschine dafür schon in Auftrag gegeben worden sei, sagt García-Arteaga. Alternativ könne man die Schale zweiteilig fertigen, darin das Eigelb verschließen und anschließen durch ein Loch das Eiweiß spritzen.

Eine andere Hürde, die das Start-up noch nehmen möchte, ist die Haltbarkeit der veganen Eier. Zwar lassen sich diese mittlerweile bei recht niedrigen Temperaturen pasteurisieren, ohne dass sie am Ende gar gekocht sind, und bleiben im Kühlschrank rund acht Wochen lang frisch, "Wir wollen aber erreichen, dass wir gar keine Kühlung mehr brauchen", sagt die Unternehmerin.

Erste Eier sollen Ende 2023 auf den Markt kommen. Eidotter und Eiklar im Glas, ohne Schale, verkauft das Start-up bereits an Restaurants. Der Preis liege nur wenige Cent höher als jener für ein Bio-Ei. "Für das vegane Ei mit Schale streben wir einen ähnlichen Preis an", sagt die Start-up-Gründerin. Anfangs könne er wegen der zusätzlichen Investitionen auch ein wenig höher liegen. "Aber je mehr wir produzieren, desto preisgünstiger wird das Ganze." Ob und wann das vegane Ei zum Standard wird, als Backzutat, fürs Frühstücksei und oder für das Spiegelei auf Tortilla und Tomatensoße, bleibt abzuwarten.

(jle)