"Smartphones werden sich nicht halten"

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TR: Smartphones können heutzutage all das, und wir tragen sie ständig bei uns. Sind sie nicht bereits das perfekte Wearable?

Starner: Das stimmt. Auf eine Art sind Smartphones genau die Wearables, die wir schaffen wollten.

TR: Nanu, vor zwei Jahren sagten Sie mir noch, das Smartphone werde sich bald überholt haben. Haben Sie sich eines Besseren belehren lassen?

Starner: Nein, ich bleibe dabei: Das Smartphone benötigt zu viel Aufmerksamkeit und wird sich deshalb nicht auf Dauer halten. Sie bekommen eine Nachricht, müssen es aus der Tasche holen, es entsperren, die Nachricht aufrufen – und dann vielleicht feststellen, dass sie unwichtig war.

Das sind wertvolle Sekunden, in denen Sie etwas verpassen, in denen Sie unaufmerksam sind. Dabei sind Zeit und Aufmerksamkeit unsere wertvollsten Ressourcen. Die Menschen werden es irgendwann zu schätzen wissen, wenn ihnen Nachrichten beiläufig auf einem Kopfdisplay präsentiert werden, ohne dass sie ihr aktuelles Tun, ihr Gespräch unterbrechen müssen.

TR: Ich finde es eine befremdliche Vorstellung, wenn jemand unbemerkt seine Nachrichten liest, während er mit mir spricht – oder jedenfalls so tut.

Starner: Es geht nicht darum, dass er nebenbei Mails beantwortet. Aber dass er sieht, ob etwas so wichtig ist, dass er Ihr Gespräch vielleicht zu Recht unterbricht. Intelligente Technologie könnte in Zukunft sogar unterscheiden zwischen wichtigen und unwichtigen Nachrichten. Wenn Sie gerade einen Termin haben, werden unwichtige Nachrichten und Anrufe umgeleitet. Heutzutage unterbricht jede unwichtige Nachricht, jeder Anruf das Gespräch – zumindest wenn Ihr Gesprächspartner kurz das Smartphone checkt.

TR: Nebenher Dinge zu tun, im Extremfall zu fotografieren oder zu filmen, scheint den Menschen aber unheimlich zu sein. Das zeigt doch nicht zuletzt die "Glassholes"-Debatte.

Starner: Es gibt eine gesellschaftliche Konvention, dass man niemanden heimlich filmt. Warum sollte sich das ändern? Abgesehen davon kann man zumindest mit der Google-Brille nicht heimlich filmen, da sie über Sprachbefehle gesteuert wird.

TR: Aber zeigt nicht das Scheitern von Google Glass im Konsumentenbereich, dass Kopfdisplays nichts für den Massenmarkt sind?

Starner: Diese Frage impliziert gleich mehrere falsche Annahmen. Google Glass war bisher ein Experiment und kein Verbraucherprodukt. Die Brille wurde an bestimmte Menschen verkauft, um zu sehen, wie sie sie benutzen und daraus zu lernen. Und sie ist alles andere als gescheitert: Sie ist jetzt von der Forschungs- auf die Produktseite von Google gekommen. Das ist ein Erfolg.

TR: Die Probanden, die ich gesprochen habe, fanden letztlich jedoch keine Anwendung so richtig praktisch. Als was für ein Produkt wird die nächste Version auf den Markt kommen?

Starner: Dazu darf ich im Moment nichts sagen. Aber sehen Sie, neben den vielen Artikeln, die Glass für gescheitert erklären, gibt es auch solche, die auf die Zukunft spezieller Anwendungsfälle hinweisen, beispielsweise in der Industrie oder der Medizin.

TR: Wird die nächste Google-Brille also kein Verbraucherprodukt?

Starner: Es gibt viele Spekulationen dazu, aber ich kann diese nicht kommentieren. Ich kann als Forscher nur allgemein über die Zukunft von Wearables sprechen.

TR: Also anders gefragt: Wann und für welche Zwecke werden sich smarte Brillen im Allgemeinen und Kopfdisplays im Speziellen Ihrer Meinung nach durchsetzen?

Starner: Das ist eine Frage der Mode.

TR: Nur der Mode?

Starner: Ja. Kopfdisplays nutzen uns in jedem Fall. Sie reduzieren die Zeit zwischen der Information und der Aktion. In ersten Bereichen setzen sie sich schon durch. Beispielsweise im Versandhandel. Noch benutzen die Mitarbeiter dort Anweisungen auf Papier, mit den Infos, was sie einpacken sollen. Eine Untersuchung hat gezeigt, dass sie mit smarten Brillen wesentlich schneller packen und weniger Fehler machen.

TR: Und Sie meinen, eines Tages wird es schick sein, im Alltag Kopfdisplays zu tragen?

Starner: Zumindest wird es alltäglich werden. Und die Mode beginnt ja schon, sich zu wandeln. Leute tragen Helmkameras und filmen ihre abenteuerlichen Sportaktivitäten. Da ist es schon ganz normal. Spätestens wenn wir am Strand smarte Brillen tragen, sind die ebenso allgegenwärtig wie die Smartphones heute. Und dann geht es mit dem Smartphone bergab. (bsc)