"Smartphones werden sich nicht halten"

Die Apple Watch ist auf dem Markt. Thad Starner weiß, was da auf uns zukommt. Er trägt seit mehr als 20 Jahren einen Computer am Körper. Ohne ihn fühlt er sich unselbstständig. Und das wird uns allen eines Tages auch so gehen, prophezeit er.

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Von
  • Eva Wolfangel
Inhaltsverzeichnis

Die Apple Watch ist auf dem Markt. Thad Starner weiß, was da auf uns zukommt. Er trägt seit mehr als 20 Jahren einen Computer am Körper. Ohne ihn fühlt er sich unselbstständig. Und das wird uns allen eines Tages auch so gehen, prophezeit er.

Ein Mann, der nach zwei Jahren noch jedes Wort eines Gesprächs weiß, ist entweder genial, sehr verliebt – oder ein Cyborg. Thad Starner ist letzteres. Der Pionier für Wearable Computing trägt seit 22 Jahren einen Computer am Körper, so selbstverständlich wie andere ihre Kleider. "Der Computer ist ein Teil von mir geworden, eine Erweiterung", sagt der Professor vom Georgia Institute of Technology. Mit seinem System hat er einst seine Dissertation beim Spazierengehen geschrieben, später bereitete er seine Vorlesungen auf dem Büro-Sofa liegend vor. "Wenn Studenten hereinkamen, dachten sie immer, ich schlafe", erinnert er sich.

Früher musste er dafür einen Kasten an der Hüfte tragen, dazu eine klobige Displaybrille und einen sogenannten Twiddler in der Hosentasche, eine Tastatur, die er blind bedienen kann. Im Sommer 2013 sieht man ihm den Cyborg nicht an. In Hemd und Jeans sieht er eher aus wie ein Banker am Casual Friday. Die Google Glass auf seiner Nase wirkt im Vergleich zu seinem alten System fast stylisch. Nur den Twiddler hat er noch, ohne den kann er nicht. Starner sitzt mir im Café gegenüber, erzählt, lacht und wendet den Blick kein einziges Mal ab. Er ist aufmerksam, höflich und wirkt sehr präsent. Bis er beiläufig erwähnt, dass er das Gespräch protokolliert. Das mache er immer, so könne er beim nächsten Treffen direkt anknüpfen und wisse obendrein mit einem Klick, wer ihm gegenübersitze, ob jener Kinder habe und was sonst noch interessant sein könnte. Was sei daran verwerflich? Politiker hätten doch auch Assistenten, die ihnen ständig etwas einflüstern. Und, mal ehrlich, dieses Hantieren mit Zettel und Stift – er zeigt auf mich – sei doch ziemlich umständlich. Ich fühle mich unpassend unerweitert.

Und tatsächlich: Als wir uns 2015 erneut sprechen, weiß er noch jedes Wort von damals. Das macht Starner einerseits zum angenehmen Gesprächspartner: keine Wiederholungen, ein dichtes Gespräch, zumal er mit einer unglaublichen Geschwindigkeit spricht. Andererseits macht ihn das auch ein wenig unheimlich. Wer weiß, was er noch im Hintergrund recherchiert? Ich habe jenes berühmte Video von 1997 vor Augen, als Starner – damals noch mit langen Haaren und Vollbart – im Fernsehsender CBS behauptet, jede Frage beantworten zu können. Der Moderator fragte ihn nach Baseballstatistiken, ein Thema, von dem Starner keine Ahnung hat. Er überspielte das, während er unbemerkt im Internet recherchierte, und ratterte dann die Ergebnisse herunter. Starner wollte damit die Menschen vom Wearable Computing überzeugen – allerdings lange bevor eine sinnvolle Anwendung dafür existierte: 1997 war selbst das Internet für viele noch ein Exotenmedium.

Das begann sich jedoch zu ändern, als zwei Bekannte ihm von ihrer Idee erzählten: Die Internetsuche könne effizienter sein, wenn die Ergebnisse individuell gerankt werden. Starner ermuntert sie: Gerade mit dem kleinen Display vor Augen wäre es toll, wenn schon die ersten Suchergebnisse Treffer seien. "Damals kannte die beiden noch keiner", sagt Starner und grinst: "Das waren Larry Page und Sergey Brin." Viele Jahre später kommen die beiden erneut auf ihn zu: Ob er bei der Entwicklung einer intelligenten Brille helfen wolle? Es ist sein Traum, er sagt zu. Starner nimmt sich ein Sabbatical und steigt als Entwickler bei Google ein. Heute arbeitet er wieder als Professor in Georgia, aber jeden Freitag fährt er nach Mountain View und berät den Konzern. An die Google-Brille glaubt er nach wie vor. Für ihn sind die Smartwatches, die derzeit auf den Markt kommen, nur ein Zwischenschritt. "Meine Vision ist, dass sich künftige Wearables aus verschiedenen individuellen Komponenten zusammensetzen und via Bluetooth mit dem Zentrum des Körpernetzwerks verbunden sind", erzählt er.

Kurz nach dem zweiten Interview schickt Thad Starner eine Mail, ein stichwortartiges Gesprächsprotokoll. Er kann es nicht lassen, die unerweiterte Journalistin ein wenig zu unterstützen.

Technology Review: Smartwatches und Fitnessarmbänder überschwemmen gerade den Markt. Sind das aus Ihrer Sicht echte Wearables?

Thad Starner: Klar. Sie erfüllen alle Merkmale: Ein kleiner Computer, den die Menschen am Körper tragen und der ihre Aktivitäten automatisch protokolliert und auswertet, während sie etwas anderes machen.

TR: Aber es ist nicht das, was Sie wollten, oder? Sie träumten von einem vollwertigen Computer als einer Art Körperteil.

Starner: Ich bin überzeugt, dass das kommt. Wissen Sie, wann das erste Fitness-Armband auf den Markt kam? Im Jahr 2000, es hieß Fitsense. Das ist 15 Jahre her! Schon damals verkauften sich ein paar Exemplare. Heute sind es Millionen. So ist das mit den frühen Pionieren: Manchmal ist es zu früh für die Community, um zu verstehen, wieso deren Produkte interessant sind. Eine Herausforderung für Wearables war ja immer auch die Infrastruktur: Noch vor einigen Jahren konnte man verschiedene Geräte nicht miteinander verknüpfen, weil jedes seinen eigenen Standard hatte.

Eine Verbindung zum Smartphone war lange undenkbar. Zudem hat die drahtlose Datenübertragung erst seit kurzer Zeit eine Geschwindigkeit, die Sprachverarbeitung in Echtzeit attraktiv macht. Meine Vision ist, dass sich künftige Wearables aus verschiedenen individuellen Komponenten zusammensetzen und via Bluetooth mit dem Zentrum des Körpernetzwerks verbunden sind. Dieses hat Internetzugang und verarbeitet die Daten.