Face++: Mit dem Gesicht durch die Tür

Das Gesichtserkennungssystem eines Start-ups autorisiert Zahlungen, kontrolliert den Zugang zu Gebäuden und spürt Straftäter auf.

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Von
  • Will Knight

Zum vierten Mal kürt Technology Review die 50 innovativsten Unternehmen des Jahres. Das entscheidende Kriterium für die Auswahl: bahnbrechende Ideen und wegweisende Fortschritte. Hier schreiben wir, warum es diese Firma unter die Top-50 geschafft hat.

Als ich das Foyer von Face++ in einem Pekinger Vorort betrete, blitzt mein Konterfei auf einem großen Bildschirm auf, unrasiert und ein bisschen vom Jetlag gezeichnet. Da mein Gesicht zuvor in eine Datenbank aufgenommen wurde, habe ich nun automatisch Zugang zum Gebäude. Beim Rundgang durch die Büros geistert mein Gesicht über weitere Bildschirme, aus unzähligen Winkeln erfasst. Alle meine Bewegungen können so überwacht werden.

TR 9/2017

Automatische Gesichtserkennung existiert seit Jahrzehnten, aber erst jetzt funktioniert sie zuverlässig genug für praktische Anwendungen. Die Software vom Face++ (ausgesprochen: "Face plus plus"), einem chinesischen Start-up mit einer Bewertung von rund einer Milliarde Dollar, läuft bereits auf mehreren populären Apps. Mit Alipay, einem von mehr als 120 Millionen Chinesen genutzten mobilen Bezahlsystem, lässt sich beispielsweise Geld überweisen, indem man sich per Gesicht identifiziert. Bei Didi Chuxing, Chinas Uber, können Fahrgäste mit der Software überprüfen, ob die Person hinter dem Lenkrad wirklich ein legitimer Fahrer ist.

Dazu gilt es, Zehntausende Gesichter in einer Datenbank nach Übereinstimmungen abzuscannen. Die neue Generation der Gesichtserkenner nutzt dazu Deep Learning. Ein Video zeigt, wie die Software 83 verschiedene Punkte meines Gesichts gleichzeitig verfolgt. Damit man das System nicht per Foto überlistet, verlangt ein "Lebendigkeitstest", während des Scans zu sprechen oder den Kopf zu bewegen. Etwas gruselig, aber beeindruckend.

In China revolutioniert Gesichtserkennung alles von der Polizeiarbeit bis zum alltäglichen Umgang mit Banken, Bussen, Bahnen und Geschäften. Vor allem die Bequemlichkeit spreche die Menschen in China an, sagt Professor Jie Tang von der Tsinghua-Universität, bei dem die Gründer von Face++ studiert haben. Einige Apartmentkomplexe nutzen Gesichtserkennung bereits zur Zugangskontrolle.

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Geschäfte und Restaurants möchten damit ein angenehmeres Kundenerlebnis vermitteln. Das beschränkt sich nicht auf die Bezahlung: In einigen Cafés werde das Personal vom Gesichtserkennungssystem benachrichtigt, wenn er hereinkomme. Er werde dann mit "Hallo, Herr Tang" begrüßt, erzählt der Professor.

Wo der Markt groß ist, bleibt Konkurrenz nicht aus. Auch Chinas größte Suchmaschine Baidu treibt die Gesichtserkennung voran. Baidu-Forscher nahmen im Januar an einer Fernsehshow teil, bei der es darum ging, Erwachsene anhand ihrer Babyfotos zu identifizieren. Die Software schlug sämtliche menschlichen Teilnehmer. Nun entwickelt Baidu ein System, mit Gesichtserkennung Bahnfahrkarten zu verkaufen. Das Unternehmen arbeitet bereits mit dem Touristenort Wuzhen zusammen, um dort ticketlosen Zugang zu vielen Attraktionen zu bieten. Baidu verspricht eine Genauigkeit von 99 Prozent.

Eine große Rolle spielt auch die Überwachung: Es gibt in China eine zentrale Datenbank mit Ausweisfotos. Lokale Behörden können gesuchte Verbrecher damit über die allgegenwärtigen Überwachungskameras identifizieren – obwohl deren Bildqualität oft schlecht und die Vergleichsfotos mehrere Jahre alt sind. Auch der Deutsche Bundestag hat Ermittlungsbehörden im Mai durch eine Gesetzesänderung großzügigen Zugriff auf die Passbilder der Meldebehörden verschafft. Mit freiwilligen Versuchspersonen wird die Gesichtserkennung derzeit am Berliner Bahnhof Südkreuz ausprobiert.

(bsc)