Warnsystem Cell Broadcast: "Das muss klappen, auf allen Kanälen"

Seite 2: "Die Gleichwertigkeitsprüfung ist noch nicht abgeschlossen"

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Bundesinnenminister Horst Seehofer drückt bei Cell Broadcast jetzt auf's Tempo.

(Bild: dpa, Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa)

Diese Leitlinien liegen seit Juni 2020 vor. Mehr als ein Jahr später teilt das zuständige Bundesinnenministerium (BMI) auf Nachfrage mit: "Die Gleichwertigkeitsprüfung gemäß den genannten Leitlinien ist noch nicht abgeschlossen." Während das BMI noch prüft, hat die Hochwasserkatastrophe dieses Sommers die Schwächen des Systems offengelegt. Ausgerechnet im schwer betroffenen Landkreis Ahrweiler blieb NINA stumm.

"Vorschläge zur besseren Redundanz der Systeme, wie wir sie als Freie Demokraten seit dem Frühjahr 2020 regelmäßig unterbreiten, wurden allesamt von der Bundesregierung fahrlässig unter den Tisch gekehrt", kritisiert Höferlin gegenüber heise online. "Leider fügt sich das in das Bild, das diese Bundesregierung seit geraumer Zeit abgibt. Es muss erst etwas schlimmes passieren, bevor sie ihre Trägheit überwindet und tätig wird."

Seehofer gibt jetzt den Macher. Er deutet Widerstände innerhalb der Bundesregierung an. Von der Idee seien "nicht immer alle begeistert gewesen in den letzten Monaten", sagte der Bundesinnenminister am vergangenen Montag im Bundestag. "Aber ich habe entschieden, dass wir es tun und machen, da gibt es überhaupt kein vernünftiges Argument dagegen." Wer da im Kabinett gebremst hat, sagt Seehofer nicht.

Doch kam der Widerstand offenbar aus dem Wirtschaftsministerium (BMWI). BBK-Chef Armin Schuster hatte im Frühjahr eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben – beschäftigt hat sich die Behörde auch schon vorher damit. Dabei ging es laut Regierungskreisen auch darum, das BMI und andere Ressorts – unter anderem das Haus von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) – zu überzeugen. Über den Berliner Flurfunk ist zu hören, das BMWI habe gezögert, weil es die Netzbetreiber nicht mit weiteren Auflagen belasten wolle. Bestätigen will das BMWI das nicht.

Die Netzbetreiber signalisieren die Bereitschaft, Cell Broadcast einzuführen, wenn der Bund das will. "Aktuell stehen wir mit den Behörden im Dialog hinsichtlich einer potenziellen Implementierung und Ausgestaltung der Cell-Broadcasting-Technologie für Warnnachrichten", erklärte ein Sprecher von Telefónica Deutschland. Auch bei Telekom und Vodafone heißt es: Können wir machen.

(Bild: Gerek)

So richtig aus der Deckung wagt sich aber niemand, weil zu viele Fragen noch offen sind. "Neben zahlreichen technologischen Faktoren sind hier vor allem auch regulatorische Fragen zu klären", sagt der Telefónica-Sprecher. Es wird auch um die Kosten gehen, die bisher niemand beziffern will. In Berlin kursieren zwei Zahlen: 20 Millionen Euro für den Aufbau und 10 Millionen jährliche Betriebskosten. Selbst wenn das – wie einige Insider vermuten – hoch geschätzt ist, dürfte es den Etat des BMI nicht sprengen.

Eine Hausnummer wollen die Netzbetreiber erst nennen, wenn klar ist, was der Bund für ein System plant. "Kosten und Dauer der Implementierung hängen von den konkreten Anforderungen ab", sagte ein Vodafone-Sprecher. Die muss der Bund jetzt definieren. Dann müssen die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden, da kommen das BMWI und das Telekommunikationsgesetz (TKG) ins Spiel. "Auch die Bundesnetzagentur ist in den aktuell laufenden Prozess bereits eingebunden", erklärte eine Sprecherin des BMWI.

Der technische Aufwand für die Netzbetreiber ist vergleichsweise überschaubar, aber auch nicht ohne. Im Einzelnen hängt das auch von dem jeweiligen Netz ab. Doch in aller Regel muss an den Antennenstandorten nicht groß aufgerüstet werden. Cell Broadcast ist in den Funkzellen bereits implementiert und muss gegebenenfalls nur aktiviert werden. Allerdings sind im Kernnetz einige Arbeiten nötig, so muss etwa ein System eingerichtet werden, das die regionale Zuordnung der Antennenstandorte übernimmt. Schließlich braucht man ein Cell Broadcast Center (CBC), über das die Verteilung der Warnmeldungen oder Entwarnungen an die richtigen Antennen läuft. Und das alles wird mehrfach redundant angebunden und abgesichert.

Die Netzbetreiber betonen, dass sie nur die Infrastruktur stellen. Nur die zuständigen Behörden dürfen Warnmeldungen aussenden. Da sind zunächst das BBK und die Katastrophenschutzbehörden der Bundesländer, aber auch andere Stellen. Für deren Systeme müssen Schnittstellen eingerichtet werden, alleine das ist angesichts der heterogenen Systemlandschaft bei den Behörden schon eine nicht triviale Aufgabe. Für die Einführung von Cell Broadcast werde die Bundesnetzagentur "zeitnah die notwendigen technischen Spezifikationen erarbeiten", heißt es dazu aus dem BMWI.

Die offenen Fragen sollen "innerhalb der nächsten vier bis sechs Wochen" geklärt werden, sagt eine BMI-Sprecherin. In der vergangenen Woche haben sich die Beteiligten beim BBK an einen Tisch gesetzt und das weitere Vorgehen abgestimmt. Brancheninsider halten es für realistisch, dass das System innerhalb eines Jahres steht. Voraussetzung ist, dass die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode den rechtlichen Rahmen schafft.

(vbr)