Edit Policy: Vom Urheberrecht, Upload-Filtern und Lobby-Arbeit

Seite 2: Uploadfilter schaden Kreativen

Inhaltsverzeichnis

Die mögliche Instrumentalisierung von Werken durch Rechte wird also als Argument vorgeschoben, um zu verlangen, dass über jede Nutzung im Vorfeld verhandelt werden muss, jede ungefragte Nutzung soll automatisch durch Uploadfilter geblockt werden. Das heißt: Keine gesetzlichen Ausnahmen vom Urheberrecht wie Zitat, Parodie, Pastiche oder Bagatellnutzung – selbst dann nicht, wenn die Kreativen von den Plattformen dafür bezahlt werden. Und konsequenterweise auch keine pauschal ausgehandelten Lizenzen von Verwertungsgesellschaften, denn auch da werden die Mitglieder nicht vor jeder Lizenzvergabe einzeln gefragt.

Eine solche Umsetzung von Artikel 17 wäre nicht nur europarechtswidrig, sie würde vielen Kreativen auch erheblich schaden. Das zeigt eine Stellungnahme von 48 Influencer:innen, die sich für Bagatellschranke und Pre-Flagging einsetzen. Sie schaffen selbst kreative Werke, erreichen damit ein Millionenpublikum und gründen Medienunternehmen, trotzdem nehme die Politik sie nicht als Kreative wahr – weil sie gleichzeitig Urheber:innen und Nutzer:innen der Plattformen sind. Schon heute haben sie mit falschen Sperrungen und Claims durch Uploadfilter zu kämpfen. Ihre Botschaft ist so simpel wie einleuchtend: Es darf in Deutschland kein Gesetz geben, das Plattformen zur Sperrung legaler Inhalte verpflichtet.

Schützenhilfe bekommt der VUT vom Zeitungsverleger-Lobbyisten und Axel Springer-Funktionär Matthias Döpfner. Die FAZ gönnt ihm ein ganzseitiges Interview, in dem Interviewer Michael Hanfeld, der es seinerseits beim Thema Urheberrecht mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, aufs Fragenstellen praktisch ganz verzichtet und Döpfners Thesen lieber einfach beipflichtet. Die zentrale These des Interviews ist dieselbe wie im VUT-Brief: Deutschlands Umsetzungsvorschlag weiche unzulässig von den europäischen Vorgaben ab und spiegle nicht wider, was der europäische Gesetzgeber eigentlich mit Artikel 17 hätte erreichen wollen.

Wie zum Beweis dieser These taucht prompt der ehemalige Digitalkommissar Günther Oettinger als Kronzeuge für den angeblichen Willen des europäischen Gesetzgebers aus der Versenkung auf, obwohl er zum Zeitpunkt der Verabschiedung von Artikel 17 gar nicht mehr für das Thema zuständig war und inzwischen als Berater wirtschaftliche Interessen vertritt. Der Wille des Gesetzgebers kann freilich nicht an den Ansichten des EU-Kommissars festgemacht werden, der ursprünglich einmal den Gesetzesentwurf vorgelegt hat, sondern an den Positionen von Europaparlament und Rat, die die endgültige, deutlich veränderte Fassung lange nach Oettingers Ressortwechsel verabschiedet haben. Beide Institutionen argumentieren, dass konkrete Schutzvorkehrungen gegen die Sperrung legaler Inhalte, so wie Deutschland sie vorschlägt, nicht nur zulässig, sondern für eine europarechtskonforme Umsetzung zwingend notwendig sind. Diese Position vertritt auch die EU-Kommission, der Oettinger nicht mehr angehört, in dem aktuellen Gerichtsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, der Artikel 17 wegen Grundrechtsverstößen auch noch ganz einkassieren könnte.

Der Schutz der Alltagskultur im Netz in Form von Memes, Remixes oder Satire war zentrales Anliegen der Proteste gegen Artikel 17 im vergangenen Jahr, an denen sich in Deutschland knapp 200.000 Menschen beteiligt haben. So ungern die Musik- und Verlegerverbände das zugeben mögen, die Proteste sind nicht folgenlos geblieben. In den Verhandlungen um Artikel 17 wurden zentrale Schutzvorkehrungen für die Meinungs- und Kunstfreiheit eingefügt, nur so konnte die Reform im Europaparlament überhaupt eine knappe Mehrheit erringen. Artikel 17 verpflichtet nun die Mitgliedstaaten, die Sperrung legaler Inhalte zu verhindern.

Es ist durchaus ein Versäumnis des europäischen Gesetzgebers, dass er nicht klargestellt hat, wie das passieren soll, sondern diese schwierige Aufgabe an die Mitgliedstaaten delegiert hat. Klar ist aber, dass diese Regelung verbindlich ist und Deutschland seiner Verpflichtung zum Schutz legaler Inhalte nicht einfach dadurch nachkommen kann, wie von Matthias Döpfner vorschlagen, Artikel 17 einfach "wortgetreu" ins deutsche Urheberrecht zu übertragen. Man kann nicht ins deutsche Urheberrechtsgesetz schreiben, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass keine legalen Inhalte gesperrt werden. Es braucht eine gesetzliche Regelung, die dieses Ziel erreicht. Man kann Bagatellschranke und Pre-Flagging durchaus dafür kritisieren, dass es auch mit diesen Maßnahmen zur Sperrung legaler Inhalte kommen kann. Wer aber einfach ihre ersatzlose Streichung fordert, propagiert eine offensichtlich europa- und grundrechtswidrige Umsetzung.

Auch die Ausnahme für Karikaturen, Parodien und Pastiche wurde durch Artikel 17 europaweit verpflichtend gemacht, um einen Ausgleich mit den Grundrechten der Nutzer:innen zu schaffen. Die Behauptung des VUT-Briefs, dies sei ein "deutscher Sonderweg", "deutscher Selbstbedienungsladen" oder eine "User Generated Content-Schranke durch die Hintertür" ist also schlicht gelogen. Der Vorwurf eines "Selbstbedienungsladens" ist besonders absurd, weil der Referentenentwurf der Bundesregierung sogar vorsieht, dass Plattformen für die Pastiche eine Vergütung zahlen müssen, während diese Ausnahme in allen anderen Mitgliedstaaten der EU kostenfrei ist.

Wenn Deutschland die Pastiche-Schranke nicht oder nicht vollständig umsetzt, mit der explizit die Legalisierung von Memes, Remix und Sampling beabsichtigt war, verstößt auch das gegen Europarecht. Es bleibt also zu hoffen, dass die Bundesregierung sich von dieser radikalen, vollständig kompromissunfähigen Kampagne nicht beirren lässt. Sonst könnte die bisher verhaltene Reaktion der Netzcommunity auf den Umsetzungsentwurf auch schnell wieder in Protest umschlagen.

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Die Texte der Kolumne "Edit Policy" stehen unter der Lizenz CC BY 4.0.

(bme)