Missing Link: Den Kapitalismus reparieren – die große Illusion der Maker

Seite 2: "Die größten Werkzeuge aller Zeiten" (Kevin Kelly, Maker-Visionär)

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Im Sommer 1998 konnten sich Studierende am Massachussets Institute of Technology (MIT) erstmals für ein Seminar anmelden, das den Titel trug: "How to make (almost) everyting" (Wie man (fast) alles selber machen kann). Ziel war es mit einfachen Mitteln, zu denen auch 3D-Drucker zählten, in kollaborativer Atmosphäre Geräte zu verstehen, zu bauen und zu reparieren. Der von Neil Gershenfeld ausgerichtete Kurs gilt als Geburtsstunde der Fab-Labs und der Maker-Bewegung. Es ging ihm dabei einerseits darum, dem Ausgeliefertsein an undurchdringliche black boxes zu entgehen, andererseits das Wissen um das Funktionieren von Geräten zu erlangen, zu teilen und auch zu verbreiten.

Eine implizite und explizite Kritik der Konsumgesellschaft und der Ohnmacht der Konsumenten ging damit einher, und eine gehörige Portion Utopie war auch dabei: "2020 wird es noch große Industriemaschinen geben, aber wir haben dann den Übergang zu digitalen Materialien schon hinter uns. Damit haben wir kein Müllproblem mehr: Technische Produkte lassen sich bis in die grundlegenden Bestandteile zerlegen und auf diese Weise recyclen." So äußerte sich Gershenfeld im Jahr 2010 auf die Frage, wie die Produktion in einigen Jahren aussehen werde. Gershenfelds zum Ausdruck kommender grenzenloser Optimismus (gepaart mit unerschütterlichem Selbstmarketing) erinnert doch stark ans Silicon Valley – und das ist auch kein Zufall: neben Stanford ist das MIT ja die Kaderschmiede des Silicon Valley.

Gershenfelds Ideen haben eine lange Tradition im gegenkulturell computerbegeisterten Kalifornien. Die Makerbewegung insgesamt kann als Renaissance der Vorstellungen aus der kalifornischen Gegenkultur der 60er-Jahren gesehen werden. Auch diese war ja durch eine Huldigung von DIY, der tiefen Skepsis gegenüber der Obrigkeit, dem Staat und den Konzernen geprägt, Konsumkritik und Nachhaltigkeits-Ideen finden sich bereits hier: In den 1970er rund um Steward Brands Whole Earth Catalog wurde das Selbermachen, einfacher, robuste Produkte und die Macht des aufgeklärten Konsumenten propagiert als politische Haltung: "Der Verbraucher hat mehr Macht zum Guten oder Schlechten als der Wähler", so Steward Brand. Den Titel des 1968 erschienenen Whole Earth Catalogs zierte die erste jemals entstandene Aufnahme unseres Planeten aus dem All – die Perspektive zeigte erstmalig unsere Erde als begrenzte und schützenswerte endliche Welt. Der Untertitel des Whole Earth Catalogues, der viele im Silicon Valley nachhaltig beeindruckte, so zum Beispiel Steve Jobs, lautete: Access to tools.

Steward Brands Assistent bei der Erstellung der letzten Ausgaben des (analogen) Katalogs, der vielfach schon als Vorwegnahme des World Wide Web auf Papier bezeichnet worden ist, war Kevin Kelly, der später Herausgeber und Chefredakteur des WIRED-Magazins wurde. Eben dieser Kelly war auch einer der ersten prominenten Unterstützer der Maker-Bewegung, in seinem 2013 erschienenen Buch "Cool Tools: A Catalog of Possibilities", das er als "Kompendium der größten Werkzeuge aller Zeiten, ein Katalog mit unendlichen Möglichkeiten" bewarb, schreibt er: "Eine dritte industrielle Revolution bewegt die Maker-Ära." Die Parallelen zu frühen kalifornischen Erfindern und Unternehmern rund um Steward Brand, Steve Jobs und anderen sind also nicht zufällig

Eine solche dezentrale Produktionsrevolution hat es tatsächlich schon einmal gegeben, und zwar auf der gegenüberliegenden Seite des Pazifiks. Vor über 70 Jahren rief in China der "weise Führer Chinas", Mao Zedong, das erste Maker-Movement der Weltgeschichte ins Leben.

China war 1949 unabhängig geworden und versuchte fieberhaft, Anschluss zu finden an die modernen Industrienationen. Revolutions- und Staatsführer Mao Zedong war jedoch überzeugt, dass das sowjetische Modell eines zentral geplanten Aufbaus einer Groß- und Schwerindustrie für China nicht anwendbar sei. Zudem war er enttäuscht über die gebildeten Schichten, die ihr Versprechen, ihr Wissen in den Dienst der Revolution zu stellen, seiner Ansicht nach nur unzureichend nachgekommen waren. Mao war stattdessen überzeugt, sich nur auf eine Sache verlassen zu können: Chinas Ressource Nummer eins, sein schier unerschöpfliches Reservoir an Arbeitskräften.

Die Folge war der "Große Sprung nach vorn" der Jahre 1958 bis 1960. Mao rief zur Errichtung vieler kleiner Hinterhof-Stahlöfen in jeder Gemeinde und in jedem Stadtviertel auf. Töpfe, Pfannen, alles, was nicht niet- und nagelfest war wurde eingeschmolzen. Die Zahlen schienen Mao zunächst recht zu geben: Gleich im ersten Jahr wurde die chinesische Stahlproduktion nahezu verdoppelt, an die 600.000 Hinterhof-Hochöfen waren entstanden, die zum Symbol der Bewegung wurden. Allerdings war der Stahl größtenteils von so schlechter Qualität, dass er unbrauchbar war. Gleichzeitig wurden ganze Wälder abgeholzt, um die Öfen, die oft von Muskelkraft belüftet wurden, zu heizen. Immense ökologische Schäden durch das Experiment waren die Folge. Millionen Bauern und Städter bedienten die Graswurzel-Stahlindustrie und fehlten überall. Nach zahlreichen Versorgungsengpässen und Hungersnöten wurde das Experiment schließlich abgebrochen.