Ohne Büroraum, mit Struktur: Homeoffice beginnt im Kopf

Seite 3: Mitbewohner und Kontext

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Kommen wir zu den anderen Menschen in Ihrem Haushalt. Die vorher besprochenen Mechanismen sind nichts weiter als Verhaltensstrukturen. Genauso behilft sich der Heimarbeiter auch im sozialen Umfeld. Die Zusatzaufgabe lautet hierbei: Kommuniziere die verlangten Strukturen verständlich, setze die entsprechenden Kontexte. Was meine ich mit Kontexten? Ein Beispiel: Es gibt ein kleines Spiel auf Steam, das "Kind Words" heißt. Darin schreiben sich die User gegenseitig die namensgebenden netten Worte. Das Einzige, was dieses Spiel zusammenhält, ist der Kontext: "Seid nett zueinander!", denn die kleine Crew könnte niemals händeln, wenn alle User plötzlich komplett durch 4chan-Freaks auf Kamikaze-Kaffeefahrt ersetzt würden.

Ein anderes mögliches Wort wäre "Werte". Welches Wort auch immer. Wichtig ist, dass der Wert beschrieben, der Kontext gesetzt wird: Wir lassen einander in Ruhe arbeiten – egal, ob das Hausaufgaben erledigen, Hobby oder Homeoffice ist.

Doch nun zurück zu meinem Flugzeugbeispiel: Diese Flugreisen finden üblicherweise in Gruppen statt. Jederzeit kann mich ein Kollege von der Seite anlabern, und weil Schreiber durch ihr überhöhtes Mitteilungsbedürfnis Schreiber wurden, passiert das ständig. Aber sobald jemand ein Notebook offen hat oder auch nur egal was liest, erhält er sofort per Konsens Ruhe, bis er die Phase selber beendet oder etwas sehr Dringendes ansteht (Ich erinnere mich an einen Triebwerksausfall über dem Indischen Ozean, zu dem wir uns dann doch absprechen mussten.).

Wenn dieser Kontext in allen beteiligten Konnektomen existiert, muss bei Bedarf der Zustand "Ich brauche jetzt konzentrierte Ruhe" den anderen kommuniziert und bei Unterbrechungen eingefordert werden. Ich mache das sehr altmodisch mit "Ich arbeite jetzt, bitte Rücksicht" oder ähnlich.

Bei unnötigen Unterbrechungen vertröste ich Unterbrecher auf den nächsten sozialen Block, etwa "Zeig mir das gleich beim Mittagessen!". Nir Eyal stellt in seinem Buch "Indistractable" die Idee seiner Frau vor: Eine LED-verzierte "Konzentrationskrone", die allen zeigt, dass man sie nur für Wichtiges unterbrechen darf. Die Methode ist sekundär. Wichtig ist nur, dass die Signale eindeutig bekannt sind und alle sie akzeptieren. In meiner Erfahrung passiert das nicht ohne ein langes Gespräch vorher, in dem die Gruppe das gemeinsam vereinbart.

Wie gut Kinder dem dann folgen, hängt von ihrem Entwicklungsstand ab, den das Erziehungsumfeld meistens richtig einschätzen kann. Im Zweifel mit kurzen Blöckchen von 15 bis 30 Minuten behutsam ausprobieren, um zu sehen, wie gut die Kinder das annehmen. Auch kleine Erfolge helfen. 15 Minuten Stille in gegenseitigem Einverständnis sind besser als keine Ruhephasen. Denn auf so einen Erfolg können Sie mit Geduld aufbauen.

Nichtmenschliche Organismen stören auch gerne, sprechen jedoch (wenn überhaupt) nur sehr eingeschränkt menschliche Sprachen. Davon lassen sich Neulinge gern entmutigen, das Problem ist aber kleiner, als die Popkultur uns glauben macht. Katzen und Hunde können wider alle Facebook-Meme gut lernen, dass sie sich nicht einfach vors Gesicht auf die Tastatur setzen sollen. Wer das alleine nicht schafft: Es gibt derzeit mehr freie Zoom-Termine als sonst mit Tiertrainern, die Heimtierhaltern gerne helfen.