Pro & Contra: Schluss mit Twitter! Auf zu Mastodon! Oder doch nicht?

Es gibt gerade viel Bewegung in der Landschaft der sozialen Netzwerke. Sollte man den Absprung von Twitter zu Mastodon wagen?

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(Bild: Sergei Elagin/Shutterstock)

Lesezeit: 6 Min.

Elon Musk sorgt sei dem Kauf von Twitter für viel Wirbel auf der Plattform: Er schraubt an dem Geschäftsmodell, will den blauen Haken als Teil des Abo-Dienstes Twitter Blue vermarkten. Er hat eine große Kündigungswelle in Gang gebracht, wovon einige der Gekündigten doch nicht gehen sollen. Er will die Video-App Vine zurückbringen. So viel los war bei Twitter lange nicht mehr. Das geht an den Nutzerinnen und Nutzern des Dienstes nicht spurlos vorbei. Die Plattform-Alternative Mastodon erfreut sich gerade großer Beliebtheit. Sollte man also nun schnell wechseln und das vermeintlich sinkende Schiff Twitter verlassen? Der Chefredakteur von MIT Technology Review, Luca Caracciolo, und Gregor Honsel, ebenfalls Redakteur bei MIT Technology Review, haben da unterschiedliche Ansichten.

Klar, Netzwerke leben vom Netzwerkeffekt. Die Masse macht’s. The winner takes it all. Soll heißen: Wer Kontakte und Inhalte sucht, wird diese auf einer großen Plattform eher finden als auf einer kleinen. Warum also sollte man sich vom trubeligen Twitter freiwilig in die Mastodon- beziehungsweise Fediverse-Diaspora bewegen?

Gregor Honsel

Ganz einfach: Weil, wie die Vergangenheit zeigt, Platzhirsche durchaus angreifbar sind. Nutzt noch jemand StudiVZ oder MySpace? Eben. Und auch WhatsApp ist angezählt. Privat kommuniziere ich fast nur noch über Signal. Es geht also, man muss es nur machen – und etwas dafür trommeln.

Dass eine Open-Source-Lösung besser ist als eine Plattform, in der ein wirrer Egomane das Zepter schwingt, darüber brauchen wir hier ja wohl nicht zu diskutieren. Solche Plattformen sind zu wichtig, um sie Leuten wie Elon Musk oder Mark Zuckerberg zu überlassen. Die Frage ist nur: Ist das für eine ausreichend große Menge an Menschen ausreichend wichtig, dass sie sich zu einem Wechsel bewegen lassen?

Ich denke, ja. Anders als oft kolportiert ist der Umstieg zu Mastodon nicht besonders kompliziert. Man muss sich am Anfang zwar einmal für einen Server ("Instanz") entscheiden, aber diese Entscheidung ist von begrenzter Tragweite – man kann später ja immer noch wechseln. Dass man sich erneut seine Follower und Follows zusammensuchen muss, ist da schon mühsamer. Dafür gibt es zwar Tools wie Fedifinder, aber ganz ohne Geduld und Handarbeit geht es nicht. Doch erstaunlich viele Accounts, auf die ich großen Wert lege, sind schon da.

Es geht also: Man kann sich recht schnell einleben, ohne sich wie in einem leeren Raum mit nackten Wänden zu fühlen. Natürlich ist auf Mastodon noch nicht so viel los wie auf Twitter, aber das kann ja noch kommen. Und manchmal ist es auch ganz angenehm. Sie finden mich also ab sofort auch hier.

Die Zukunft der Plattform Twitter wirkt so ungewiss wie nie. Eine besonders große Unbekannte sind die Kommunikationsrichtlinien auf Twitter selbst. Musk ist bekanntermaßen großer Freund der freien Rede. Er hielt es beispielsweise für einen Fehler, Trumps Twitter-Account nach der verlorenen US-Wahl 2020 zu sperren. Große Werbekunden wie General Motors oder Volkswagen haben vorerst ihre Werbeaktivitäten auf Twitter ausgesetzt, weil sie besorgt sind, dass auf der Plattform in Zukunft Hass und Hetze noch unregulierter stattfindet als bisher.

Luca Caracciolo

Und wie es so oft ist: Wenn es kurzfristig große Veränderungen auf einer prominenten Social-Media-Plattform gibt, dann werden immer auch Rufe nach alternativen Netzwerken lauter. Aktuell ist das Mastodon: Eine Twitter-Alternative, dezentral, Open Source.

Ich finde es ja gut, dass es solche alternativen Plattformen gibt. Aber mal ehrlich: Wieviel vorhergesagte Exodus-Momente gab es in der Social-Media-Welt in der Vergangenheit, die nie eingetreten sind? Ich erinnere an App.net, ein Kurznachrichten-Dienst, der nach den Snowden-Enthüllungen Momentum hatte. Bei t3n hatten wir den Gründer Dalton Caldwell sogar im Interview. Werbefreiheit, faires Abomodell – alles hehre Ziele, genutzt hat es trotzdem nichts. Oder als Facebook 2014 WhatsApp gekauft hat. Was war die Aufregung groß. Und ja, in der Folge sind viele alternative Messenger-Dienste entstanden – dennoch: WhatsApp ist und bleibt vorerst allgegenwärtig.

Auch wenn jetzt wirklich ein Mastodon-Ansturm stattfindet und etwa vor allem Forscherinnen und Forscher wechseln, ist nicht davon auszugehen, dass Twitter mittelfristig seine prominente Stellung verliert. Ich glaube nicht daran, dass kurzfristige Veränderungen auf Plattformen, sei es in Sachen Funktionalität oder was Besitzverhältnisse angeht, nachhaltige Schäden verursachen. Der Netzwerk-Effekt bei Social-Media-Plattformen ist einfach zu gewaltig, die Beharrungskräfte der Nutzerinnen und Nutzer sind entsprechend hoch. Die meisten von ihnen interessieren sich nicht dafür, wer Twitter besitzt oder ob es eine gute Sache ist, wenn eine Plattform Open Source ist.

Wenn große Netzwerke untergehen, dann hat es eher mit langsamen, schleichenden Prozessen zu tun. Das Facebook-Netzwerk zum Beispiel befindet sich in einem solchen schleichenden Verfall. Meta wehrt sich zwar mit Händen und Füßen dagegen, aber der Dienst ist in der westlichen Welt einfach nicht mehr so populär. Das hat viele Gründe – kulturelle, funktionale, generationelle – solche Prozesse aufzuhalten ist aber immer sehr schwierig. Meta hat zwar mit Instagram noch ein Ass im Ärmel, aber auch die einstige Foto-App muss sich gegen TikTok behaupten und verändert die Plattform so stark, dass ihre treuesten Nutzerinnen und Nutzer rebellieren.

Ok, aber gut. Zumindest anschauen will ich mir Mastodon mal genauer. Ich gebe "Mastodon" bei Google ein und lande auf https://mastodon.social. Ich klicke auf "Account" erstellen… und ich kann keinen Account erstellen. Stattdessen werde ich auf eine andere Seite geleitet, auf der ich mir einen Server aussuchen soll. Ich klicke mich ein wenig durch die Seite… und lasse es vorerst bleiben. Wie vielen anderen Nutzerinnen und Nutzern wird es wohl ähnlich gehen wie mir?

(jle)