Fußball-EM: Warnung vor überbordender Überwachung unter Anti-Terror-Deckmantel​

Der Rechtsstaat dürfe zur Fußball-EM nicht unter Verweis auf eine erhöhte Terrorgefahr in einen Überwachungsstaat umgewandelt werden, mahnt der Anwaltverein.​

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(Bild: alphaspirit.it / Shutterstock.com)

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Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt davor, im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft (EM) im Juni und Juli in Deutschland Überwachungsinstrumente wie Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner oder biometrische Gesichtserkennung zu etablieren, "die mit guten Gründen von den Verfassungsgerichten regelmäßig einkassiert werden". Anstatt mit der Angst der Bevölkerung zu spielen, um einschneidende Maßnahmen durchzusetzen, braucht es der Lobbygruppe zufolge "Augenmaß bei der Balance zwischen Sicherheit und Freiheit". Jedes einzelne der immer wieder geforderten Werkzeuge gehe für sich genommen bereits mit einem erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen einher, gibt Nikolaos Gazeas aus dem DAV-Ausschuss Gefahrenabwehrrecht zu bedenken. "Die Anwendung eines ganzen Straußes solcher Maßnahmen kann gefährlich nah an eine Rundumüberwachung heranreichen."

Nach dem jüngsten Terroranschlag in Russland auf eine Veranstaltungshalle machen sich konservative Politiker mit Blick auf die Fußball-EM für ein ganzes Arsenal an alt-neuen Spähbefugnissen stark. So forderte Alexander Throm (CDU), Innenexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gerade in der "Welt" einen weiteren Anlauf für die gerichtlich bereits wiederholt gestoppte Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten, wie IP-Adressen, und heimliche Online-Durchsuchungen. Sonst bestünde laut dem Politiker hierzulande ein "erhebliches Sicherheitsrisiko". Die Drohungen des IS seien "bitterer Ernst", unterstrich er. Deshalb sei in Deutschland eine "maximale Abwehrbereitschaft des Staates gegenüber allen Extremisten und Terroristen" nötig. "Wir dürfen nicht immer nur von ausländischen Nachrichtendiensten abhängig sein." Bereits zuvor riefen Polizeigewerkschaftler nach mehr biometrischer Videoüberwachung.

Wenn massenhaft Gesichter von unbescholtenen Bürgern im öffentlichen Raum gescannt würden, handle es sich um einen "schweren Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung", kontert Gazeas. Der heimliche Zugriff des Staates auf Smartphones und Computer sei zudem bereits heute sehr weitgehend rechtlich möglich – sowohl für Strafverfolger als auch für Geheimdienste. Der Einsatz solcher Spyware dürfe aber "nicht zur Standard-Maßnahme mutieren". Selbstverständlich sei "ein kluges Sicherheitskonzept" erforderlich, "um eine unbeschwerte und sichere Europa-Meisterschaft auszugestalten". Die Lösung könne aber nicht darin liegen, dafür "große Schritte in Richtung Rundumüberwachung zu gehen" und solche Instrumente dauerhaft zu machen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte vorige Woche an, die Sicherheit bei der EM habe höchste Priorität. Dies gelte auch für die etwas später stattfindenden Olympischen Sommerspiele in Paris. Daher habe sie mit dem französischen Innenminister Gérald Darmanin eine enge Zusammenarbeit vereinbart. Frankreich rief nach dem Anschlag bei Moskau die höchste Terrorwarnstufe aus. Das dortige Verfassungsgericht gestattete während der Spiele bereits den Einsatz von Überwachungskameras mit Erkennungssystemen auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI). Faeser zufolge wappnen sich die hiesigen Sicherheitsbehörden aktuell noch stärker für potenzielle Bedrohungslagen: "Das reicht vom Schutz vor Islamisten und anderen potenziellen Gewalttätern bis zur Sicherheit unserer Netze vor Cyberangriffen." Zugleich verteidigte sie die angekündigten Grenzkontrollen während der EM als unumgänglich.

(mki)