Google I/O: Barrierefreie Apps zahlen sich aus

Barrierefreiheit hilft dem Machine Learning, Machine Learning verhilft zu mehr Barrierefreiheit. Entwickler sollen Apps von Beginn an barrierefrei konzipieren.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Googler hält Schild "ADA/Accessibility" hoch

Szene der Google I/O 2017

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 7 Min.
Inhaltsverzeichnis

"Rückmeldungen von Endanwendern mit Behinderungen sind entscheidend. Holen Sie sich Rückmeldungen während der Designphase, während der Programmierarbeit und bei Tests vor der Veröffentlichung ihrer App", empfiehlt Googler Scott Adams allen Android-Entwicklern, "Nicht nach dem Release. Das dauert länger, aber Sie stellen dadurch ein besseres Produkt her." Automatische Tests sind zwar hilfreich, reichen alleine jedoch nicht aus. Gleichzeitig hilft barrierefreie Gestaltung an unerwarteter Stelle.

Eine Milliarde Menschen ist in der einen oder anderen Weise motorisch oder Sinnes-eingeschränkt. Hinzu kommen situationsbedingte Einschränkungen, die jeden treffen. Beispielsweise wenn man in hellem Sonnenlicht eine Bildschirmanzeige nicht deuten kann, aufgrund lauten Lärms Tonausgaben nicht hört, oder einfach eine Taste nicht drücken kann, weil man beide Hände voll hat. Daher investiert Google laufend in Barrierefreiheit und setzt immer stärker auf maschinelles Lernen.

Zusätzlich hat sich der Datenkonzern nun die Unterstützung Samsungs gesichert. Gemeinsam haben sie dem Android-Screenreader Talkback das größte Update seit seiner Einführung vor zwölf Jahren verschafft. Es gibt ein Dutzend neue Fingergesten, von denen die meisten anpassbar sind. Außerdem arbeiten Talkback und die Sprachsteuerung Voice Access nun zusammen, so dass Talkback Sprachbefehle umsetzen kann.

Die Sprach- und Geräuscherkennungs-App Live Transcribe hat ebenfalls ein Update erfahren. Sie unterstützt inzwischen mehr als 80 Sprachen und Dialekte, die noch dieses Jahr offline funktionieren sollen. Es müssen dann keine Tonaufnahmen auf irgendwelche Server übertragen werden. Bereits jetzt können Anwender direkt in der selben App Text eingeben, was Dialoge wesentlich erleichtert, und dem Wörterbuch eigene Worte hinzufügen.

Geräuscherkenung mit Androids Live Transcribe (5 Bilder)

Android-Notifikation über Geräusch laufenden Wassers
(Bild: Google)

Außerdem soll Live Transcribe bald auch bei der Geräuscherkennung individuell angepasst werden können. Hat ein Haushalt beispielsweise eine ungewöhnliche Türklingel, die wie Vogelgezwitscher klingt, kann das Handy darauf trainiert werden, um den gehörlosen Nutzer in der Folge auf das "Klingeln" aufmerksam zu machen. Lebensrettend kann die Verbindung mit Wearables sein, etwa wenn ein Feueralarm erkannt und der Benutzer über den Vibrator seiner Smartwatch geweckt wird.

Zu schwierig ist nach wie vor die getrennte Spracherkennung zweier Personen in einer Unterhaltung oder einem Interview. Häufig überlappen sich die gesprochenen Worte, was die künstliche Intelligenz (KI) verwirrt. In diesem Bereich hat sich offenbar die österreichische Philips Speech einen Vorsprung erarbeitet. Deren SmarktMike Duo erfasst und transkribiert als erstes Gerät menschliche Dialoge in Echtzeit sprechergetrennt.

Für fehlsichtige Android-Nutzer kommt alsbald eine neue Lupe, die nur einen Ausschnitt des Bildschirms vergrößert, während der Rest im Hintergrund in Originalgröße sichtbar bleibt. Die alte Lupe, die den gesamten Bildschirm vergrößert, bleibt parallel erhalten. Bereits auf manche Handys ausgerollt ist ein Update der Bildschirmhelligkeit: Diese lässt sich nun besonders weit herunterregeln. Das erleichtert das Lesen in sehr dunklen Umgebungen und allgemein für lichtempfindliche Menschen – wer unter Migräne leidet, wird es Google danken.

Programmierer erinnert Google daran, auf die Grundbausteine zu achten. Dazu zählen unter anderem gute Kontraste zwischen Vorder- und Hintergrund (in der Regel mindestens 4.5:1), ausreichend große Touchfelder, Alt-Texte für Bilder und ordentliche Label für Icons und andere grafische Elemente. Diese im Sourcecode enthaltenen Beschreibungen sind übrigens nicht nur für Screenreader unabdingbar, sondern auch für die Umsetzung von Sprachbefehlen – und sie unterstützen die maschinelle Analyse der Webseite oder App.

Barrierefreiheit ist also auch Optimierung für Suchmaschinen – die immer öfter innerhalb von Apps crawlen. Im neuen Page Experience Ranking legt Googles Suchmaschine besonderes Augenmerk auf Barrierefreiheit. Entfallen können Label allerdings für Elemente, mit denen der User nicht interagieren kann und die Screenreader sowie Sprachsteuerung ausdrücklich ignorieren sollen.