Karlsruhe soll Machtwort bei Entschädigung für TK-Überwachung sprechen

Eine Mitgliedsfirma der Initiative Europäischer Netzbetreiber hat angesichts der zunehmenden Belastung durch Bespitzelungsdienste das Bundesverfassungsgericht angerufen, um eine Kostenerstattung durchzusetzen.

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Eine Mitgliedsfirma der Initiative Europäischer Netzbetreiber (IEN) hat angesichts der zunehmenden Verpflichtungen Privater zur Mithilfe bei der Telekommunikationsüberwachung das Bundesverfassungsgericht angerufen. Es soll klären, ob die Unternehmen für ihre Zuarbeiten bei der Bespitzelung ihrer Kunden angemessen zu entschädigen sind. "Anscheinend haben erhebliche Teile der Politik aus den Augen verloren, dass die Bekämpfung von Terror und Schwerstkriminalität am effektivsten ist, wenn es eine faire Arbeitsteilung zwischen den Beteiligten gibt und der Staat mit der Auferlegung von immer neuen Pflichten nicht einfach seinen Teil der Verantwortung abgeben kann", begründet IEN-Geschäftsführer Jan Mönikes den Gang nach Karlsruhe. Der IEN gehören Konzerne wie BT, Cable & Wireless, Colt Telecom, Tiscali oder Versatel an.

"Während der Abschlepp-Unternehmer, der im Auftrag der Polizei einen Falschparker abschleppt, ganz selbstverständlich seinen Lohn bekommt, soll dieses Grundprinzip anscheinend für die Telekommunikation nicht gelten", klagt Mönikes. Dabei schütze eine "an den realen Kosten orientierte Erstattung nicht nur die betroffenen Unternehmen, sondern zugleich auch alle Bürger vor übermäßiger Inanspruchnahme der Abhörmöglichkeiten." Wenn der Eingriff in das Fernmeldegeheimnis für den Staat billig bleibe und die Erstattungspflicht keine dämpfende Wirkung auf die Begehrlichkeiten der Sicherheitsbehörden ausübe, drohe der als "letztes Mittel" gedachte "kleine Lauschangriff" endgültig zur polizeilichen Standardmaßnahme zu verkommen.

Konkret setzt die Verfassungsbeschwerde an einer neuen Bestimmung im Rahmen der Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) an. Danach muss auch der Telekommunikationsverkehr überwacht werden, der über die deutschen Grenzen vermittelt wird. Von Januar an sollen die Betreiber von so genannten Auslandsköpfen den bereits abhörbaren Sprachverkehr noch einmal an der "Grenzübertrittsstelle" der Netzknoten ins Ausland an die Sicherheitsbehörden übermitteln. Abgehört werden muss dabei die Kommunikation von Nutzern, von denen lediglich ein bestimmter ausländischer Anschluss bekannt ist. Die betroffenen Firmen werden Mönikes zufolge durch die Auflage zu weiteren Millioneninvestitionen gezwungen. Es sei ein Punkt erreicht, "wo nur noch eine Korrektur durch die Gerichte das Spannungsverhältnis zwischen innerer Sicherheit, bürgerlichen Freiheitsrechten und fairer Lastenverteilung wieder in Balance bringen kann".

Mönikes meint, dass "ohne eine faire Entschädigungsverordnung zudem Investitionen und Arbeitsplätze gefährdet sind". Die kontinuierliche Ausweitung der Überwachungsmaßnahmen über die der inländischen Gespräche, Handy und E-Mail hinaus nun auch auf die internationale Telefonie zwinge die Unternehmen nämlich zu ständigen Neuinvestitionen "in eigentlich unproduktive Technik".

Die Branche ächzt bereits seit langem unter den Belastungen durch die Übernahme von Hilfssheriff-Leistungen für die staatliche Überwachung. Allein die Zahl strafprozessualer Abhörmaßnahmen hat sich im Zeitraum 2000 bis 2005 auf nunmehr rund 40.000 pro Jahr mehr als verdoppelt. Darüber hinaus sollen Telcos und Provider gemäß Plänen des Bundesjustizministeriums zur Umsetzung von EU-Vorgaben verpflichtet werden, die beim Telefonieren und Surfen anfallenden Verbindungs- und Standortdaten sechs Monate lang verdachtsunabhängig auf Vorrat zu speichern. Die Branchenverbände Bitkom, eco und VATM drängen daher immer wieder auf eine Beteiligung des Staates an den millionenschweren Kosten für die Installation von Abhörboxen und personellen Überwachungshilfen.

Der Gesetzgeber selbst hatte vor zwei Jahren eine prinzipielle Entschädigungsklausel ins Telekommunikationsgesetz (TKG) aufgenommen. Doch zum Erlass einer darauf basierenden Verordnung mit konkreten Erstattungssätzen konnte sich die Bundesregierung bislang nicht durchringen. Momentan prüft sie auf Anraten des Bundesrates, ob die Entschädigungsgrundlage wieder aus dem Gesetz gestrichen werden soll.

Rückhalt erhält die Klage von einem Gutachten des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, das der VATM in Auftrag gegeben hatte. Demnach ist die bisherige geringfügige Kostenbeteiligung im Rahmen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) "nicht sachgerecht". Die TK-Überwachung sei nicht mit der Entschädigung für einzelfallbezogene Belastungen bei Zeugenaussagen während der Ausübung normaler staatsbürgerlicher Pflichten vergleichbar. (Stefan Krempl) / (anw)