Offene Standards, .NET/OOXML und das Internet

Warnungen gegenüber der Abhängigkeit von Internetapplikationen von Microsofts .NET sowie die weiter angestrebte Standardisierung von Microsofts Dokumentenformat sind zentrale Themen der Diskussion um Offene Standards auf dem Internet Governance Forum.

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Von
  • Monika Ermert

Eine Warnung gegenüber der zunehmenden Abhängigkeit von Internetapplikationen von Microsofts .NET und eine Aufforderung an Regierungen, eine neue Wettbewerbsbeschwerde gegen Microsoft zu unterstützen, legte Thomas Vinje, Anwalt bei Clifford Chance und Vertreter des European Committee for Interoperable Systems (ECIS) dem Internet Governance Forum (IGF), der UN in Rio de Janeiro vor. "Die brasilianische Regierung könnte verschiedene Dinge tun," regte Vinje an. Sie könne den Brüsseler Wettbewerbshütern gegenüber erklären, dass sie die Klagen unterstützt. Sie könne andererseits, wie Korea, auch ein eigenes Wettbewerbsverfahren gegen den Softwareriesen aus Redmond anstrengen. "Wettbewerbsbehörden lieben Gesellschaft", sagte Vinje bei einer Pressekonferenz auf dem IGF.

Microsofts Weigerung, Wettbewerber in den Stand zu versetzen, ihre Webapplikationen außerhalb von .NET zu schreiben, nannte Vinje in Rio "einen Versuch, das Internet proprietär zu machen", und damit ein Thema von großer Relevanz für das IGF. Die Strategie von Microsofts sei die gleiche wie beim ersten Microsoft-Fall, den das Unternehmen vor Gericht verloren hatte. Im laufenden Verfahren, dem sich die Kommission laut Vinje jetzt intensiv widme, hatte ECIS neben der nicht offengelegten Verknüpfung von .NET und Microsoft-Servern ähnliche Barrieren für Office und E-Mail-Anwendungen beklagt. Einer Anwaltskanzlei wie seiner sei es aktuell so nicht möglich, das Open-Source-Officepaket OpenOffice einzusetzen, da der Austausch der Dokumente mit Partnern nicht völlig zuverlässig sei.

Zwei Aspekte beurteilen die Microsoft-Gegner als ihrem Verfahren zuträglich: Habe die Kommission 1993 bei den ersten Untersuchungen noch über zu wenig Fachleute und Know-how verfügt, sei sie, gestählt aus dem ersten Verfahren, inzwischen eine "mächtige juristische Waffe". Etwa ein halbes Dutzend Experten kümmerten sich jetzt um das neue Verfahren. Den zweiten Vorteil sieht Vinje darin, dass man einen Präzedenzfall habe. Dessen Grundsätze seien übertragbar auf das neue Verfahren. Dennoch warnt er davor, dass Microsoft bei einer langen Verfahrensdauer seine Marktmacht weiter ausbauen werde.

Sollte es Microsoft gelingen, die Standardisierung vom hauseigenen Dokumentenformat OOXML bei der ISO entgegen der ersten Ablehnung doch noch durchzusetzen, mache das zwar keinen grundsätzlichen Unterschied für das Wettbewerbsverfahren, meint Vinje. Ein bisschen schwerer werde die Argumentation allerdings schon. Vor der ISO hatten Microsoft im September sechs Stimmen von Regierungsvertretern gefehlt. Das IGF-Treffen eignet sich prächtig für beide Seiten, mit zahlreichen Regierungsvertretern zu sprechen; Microsoft etwa ist mit einem halben Dutzend Mitarbeiter beim IGF vertreten. "Microsoft versucht, möglichst viele Nein- in Ja-Stimmen zu verwandeln, und wir machen es umgekehrt", sagte Georg Greve, Präsident der Free Software Foundation Europe. Bei der Entscheidung kann es eng werden, meint Vinje. Das Verfahren offenbare auch gewisse Schwächen des ISO-Standardisierungsprozesses, meinen die Experten. "Das ISO-Verfahren ist auf den Konsens zu technischen Standards ausgerichtet, für Konfliktfälle wie diesen gibt es keine Regeln", meint Greve.

Aufklärungsarbeit für Offene Standards und deren Vorzüge, gerade auch für Entwicklungsländer, hat sich die dynamische Koalition "Offene Standards" beim IGF auf die Fahnen geschrieben. In den "Dynamic Coalitions" des IGF sind jeweils, auf freiwilliger Basis, alle drei Gruppen von Betroffenen (neudeutsch Stakeholdergruppen genannt) vertreten – Regierungen, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft. Zu den Mitgliedern der Koalition "Offene Standards" gehören Organisationen wie die FSFE und Knowledge Ecology International (KEI), aber auch Unternehmen wie Sun. "Technische Standards sind unsichtbar, sie sind wie eine unsichtbare Regulierung, ein Schattenregime", sagte Susan Struble, für Sun Microsystems eine der Organisatorinnen der dynamischen Koalition.

Vielen Regierungen sei nicht bewusst, dass es nicht nur zwei oder drei große Standardisierungsorganisationen gebe, sondern hunderte kleiner Industriekonsortien, führte Struble weiter aus. Ein Teilnehmer aus Südafrika hatte so etwa mit Blick auf das Verfahren von Microsoft bei der ISO gesagt, dass der Streit in seinem Land praktisch unbekannt sei. Sowohl im ersten Jahr des Bestehens der Koalition als auch im kommenden Jahr steht nach Strubles Auffassung die Aufklärungsarbeit im Vordergrund. Mit der Aufmerksamkeit in Rio ist man ziemlich zufrieden und verweist auf drei gut besuchte Workshops. In einem stritt man sich ausführlich mit der Microsoft-Mannschaft. Beim Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) hatten es die Vertreter von Open Standards noch schwer, überhaupt auf die Agenda zu kommen.

Auf eine Reihe anderer Fortschritte im vergangenen Jahr verwies KEI-Vertreter Thiru Balasubramaniam. Die Aufnahme einer entwicklungspolitischen Agenda bei der World Intellectual Property Organisation (WIPO) mache auch dort offene Standards zu einem Thema. Andererseits seien Vorschläge zu einer Patentharmonisierung in der WIPO gescheitert und das Patent- und Standardkomitee sei nun gehalten, in einem Bericht die Kosten des Patentsystems, auch unter dem Blick möglicher negativer Effekte für Entwicklungsländer, zu beziffern.

Einen praktischen Schritt nach vorne vermeldete in Rio die FSFE. Sie hat mit Certified Open (certifiedopen.com) ein Angebot geschaffen, online seine Produkte zu zertifizieren. Damit werde etwa für öffentliche Einrichtungen eine Überprüfung möglich, ob ein bestimmtes Produkt Offene Standards einhalte. Für nichtkommerzielle Anbieter ist die Zertifizierung kostenlos, kommerzielle bezahlen 400 Euro. Die Zertifizierung beruht auf einer Selbsteinschätzung, allerdings werden die in einem Fragebogen gemachten Angaben zur Offenheit veröffentlicht und können von Dritten angefochten werden, sollten sie nicht stimmen. Noch sei man im Test, betonte Greve. Bis Ende Januar sind daher alle Zertifizierungen kostenlos.

Zum zweiten Treffen des Internet Governance Forum der UN siehe auch:

(Monika Ermert) / (jk)