Open-Source-Adventskalender: Das PC-Betriebssystem Ubuntu Linux

Von 1. bis zum 24. Dezember 2021 hat heise online jeweils ein "Kalendertürchen" mit dem Porträt eines Open-Source-Projekts geöffnet.

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Von
  • Stefan Mey
Inhaltsverzeichnis

Auf dem kleinen Markt der Linux-Desktop-Betriebssysteme ist Ubuntu der Größte. Im Mittelpunkt des Open-Source-Projekts steht das Unternehmen Canonical, das Ubuntu zusammen mit einer großen Community entwickelt. Oberster Entscheider ist ein "wohlwollender Diktator auf Lebenszeit". Ubuntu ist das am meisten verbreitete Linux-Desktop-Betriebssystem. Auf den Gesamtmarkt bezogen ist die Verbreitung überschaubar. Linux kommt weltweit und deutschlandweit auf einen Marktanteil von gerade einmal zwei Prozent. Innerhalb des Linux-Kosmos ist Ubuntu allerdings führend. Verlässliche Zahlen gibt es nicht. Schaut man sich als Anhaltspunkt für die Popularität die Zugriffszahlen der deutschsprachigen Artikel zu gängigen Linux-Distributionen an, zeigt sich folgende Vorteilung: Ubuntu liegt vorne (mit rund 17.000 monatlichen Artikelaufrufen) vor Debian (12.000) und Mint (11.000). Ubuntu ist ein Desktop-Betriebssystem für End-User, kommt aber auch auf Servern zum Einsatz. Die Software steht unter unterschiedlichen, meist GPL-Open-Source-Lizenzen.

Ubuntu ist seinerseits ein Ökosystem, das eine große Bandbreite an Open-Source-Software eingebaut hat: Stets nutzungsfertig mitgeliefert werden bekannte Programme wie der Browser Firefox oder das Office-Paket LibreOffice. Über ein integriertes Software-Center lassen sich weitere Programme installieren. Standardmäßig verwendet Ubuntu die grafische Oberfläche Gnome. Man kann aber auf Alternativen wie Xfce oder Cinnamon umsteigen Ubuntu ist Teil des großen Linux-Stammbaums und ein Abkömmling des Debian-Zweigs, auf dem die meisten Linux-PC-Betriebssysteme basieren. Ubuntu hat seinerseits eine Familie begründet und mehrere Dutzende Derivate hervorgebracht. Darunter sind vom Ubuntu-Entwickler Canonical angestoßene Versionen wie Ubuntu Studio, das den Fokus auf Audio-, Grafik- und Videobearbeitung setzt. Linux Mint ist ein externer Ubuntu-Fork. Entwickelt hat Ubuntu ein ehemaliger Debian-Entwickler, der südafrikanische IT-Unternehmer und Multimillionär Mark Shuttleworth. Der hatte 1999 mit Mitte 20 sein IT-Sicherheits- und Beratungsunternehmen Thawte für 575 Millionen US-Dollar an das US-Unternehmen VeriSign verkauft. Am 20. Oktober 2004 veröffentlichte er Ubuntu, er wollte damit eine auch für IT-Laien leicht zu nutzende Debian-Distribution bauen. Bereits im Frühjahr des Jahres hatte er dafür die Firma Canonical gegründet, die seitdem im Zentrum des Ubuntu-Kosmos steht.

Der Open-Source-Adventskalender

Es ist schwer, an Zahlen und Hintergrundinformationen zur Firma hinter Ubuntu zu kommen. Anbieter ist laut Datenschutzbestimmungen die Canonical Group Limited mit Sitz in London. Das Unternehmen ist Teil eines kleinen Firmenkosmos. Das Mutterunternehmen ist Canonical Limited mit Sitz auf der Isle of Man. Der halb-autonome Inselstaat in der irischen See gilt als beliebte Steueroase, bei der es schwer ist, Unternehmenszahlen zu recherchieren. Für die Canonical Group Limited in London sind aufgrund der britischen Rechtslage Jahresberichte verfügbar. Laut Bericht für 2020 ("Group of companies' accounts" vom 26.06.2021) hatte das Unternehmen in dem Jahr 441 Angestellte und einen Umsatz von 141 Millionen US-Dollar bei einem Gewinn von fünf Millionen. Auf Nachfrage von Heise online schreibt Canonical, dass für die Firmengruppe insgesamt 750 Leute in mehr als 50 Ländern arbeiten. Wie hoch der Gesamtumsatz ist, verrät das Unternehmen nicht, seit 2019 sei Canonical aber profitabel.

Das Unternehmen hat ein typisches Open-Source-Geschäftsmodell, vergleichbar mit dem Modell von Automattic, dem Unternehmen hinter der Blog- und Websoftware WordPress: Angestellte der Firma entwickeln und vermarkten in Zusammenarbeit mit einer Community die kostenlose Software, Geld verdient Canonical mit verwandten Dienstleistungen und Produkten.

Unter anderem arbeite Canonical mit verschiedenen Partnern zusammen, die etwa Ubuntu-Support anbieten, sowie mit PC-Herstellern wie Dell, HP und Lenovo, erläutert das Unternehmen. Und Canonical lizenziere Ubuntu mit zusätzlichen Sicherheits-Features für die Anwendung in eingebetteten Systemen, etwa im Bereich Software as a Service oder im Cloud-Bereich. Canonical bietet auch direkt Support und Infrastruktur für Firmenkunden an. Von einem Erlösmodell direkt innerhalb von Ubuntu Desktop hatte sich Canonical im letzten Jahr verabschiedet: eine Amazon-Integration, die 2012 nach einem Ubuntu-Update eingeführt wurde. Über die "Shopping-Linse" tauchten bei einer lokalen Desktop-Suche Produktvorschläge von Amazon auf. Dafür wurde Canonical jahrelang heftig kritisiert und sogar als "Spyware" bezeichnet. 2020 verschwand die Integration endgültig wieder.

Die Ubuntu-Entwicklungsarbeit leisten größtenteils Canonical-Angestellte. Auf die Frage von Heise online, welchen Anteil Canonical an der Code-Produktion hat, geht das Unternehmen nicht ein, schreibt aber, dass 50 Angestellte an Ubuntu Desktop arbeiten. Die Größe der weltweiten Community schätzt Canonical auf 50.000 Leute. Die übernehmen unterschiedliche Aufgaben: Sie beteiligen sich an der Code-Entwicklung, beheben Bugs, machen technische Dokumentation, organisieren lokalen Ubuntu-Veranstaltungen oder beantworten Fragen in Ubuntu-Foren wie Discourse.ubuntu.com.

Ursprünglich hatte es für Ubuntu eine Stiftung gegeben. Shuttleworth hatte 2005 die Ubuntu Foundation gegründet und sie mit einem Startkapital von zehn Millionen US-Dollar ausgestattet. Wie Canonical Heise online mitteilt, existiert diese allerdings nicht mehr. Die Stiftung sei ausschließlich eine finanzielle Backup-Lösung gewesen, die Vertrauen schaffen sollte. Sie sollte sicherstellen, dass die Langzeitunterstützung von Ubuntu weitergeht, unabhängig davon, was mit Canonical passiert. Mittlerweile brauche es diese Struktur nicht mehr, da Canonical profitabel sei und einen Langzeit-Support der Software selbst garantieren könne.

Die Macht im Ubuntu-Ökosystem konzentriert sich sehr stark bei Canonical. Vor allem hält Canonical Markenrechte an Ubuntu und an verwandten Begriffen. Das hatte in der Vergangenheit zu Unmut geführt. 2013 hatte ein Aktivist der US-amerikanischen Eletronic Frontier Foundation auf einer Webseite ein Skript namens "Fixubuntu" bereitgestellt, mit dem man die integrierte Amazon-Suche entfernen konnte. Canonical wies ihn darauf hin, dass die Verwendung des Ubuntu-Logos auf der Webseite und die Verwendung des Ubuntu-Begriffs in einem Domainnamen die Markenrechte von Canonical verletze. Nach öffentlicher Kritik hatte sich Shuttleworth allerdings dafür entschuldigt und geschrieben, die "ungewöhnlich permissive" Markenpolitik des Unternehmens lasse so etwas eigentlich zu.

Die Verwaltungsstruktur des Ubuntu-Ökosystems, wie sie auf der Ubuntu-Webseite beschrieben wird, sieht verschiedene Elemente vor. Es gibt thematische Teams und etwa 200 nationale und lokale Communitys. Die deutsche Ubuntu-Community hat sich über den Verein Ubuntu Deutschland organisiert und betreibt unter anderem ein deutschsprachiges Ubuntu-Wiki. Oberstes Aufsichtsgremium ist das

Ubuntu Community Council, das die Einhaltung eines gemeinsamen Verhaltenskodex überwacht, Streit schlichtet und Wahlen zu untergeordneten Gremien organisiert. Der Rat besteht aus acht Personen, darin Shuttleworth und der Vorsitzende des Vereins Ubuntu Deutschland, Torsten Franz. Der Rat wird in einer Onlineabstimmung durch die Community gewählt. Nominieren kann jeder. Wer auf die Shortlist kommt und tatsächlich gewählt werden kann, entscheidet allerdings Mark Shuttleworth.

Daneben gibt es ein technisches Sachverständigengremium mit sechs Mitgliedern, darunter ebenfalls Shuttleworth. Gibt es bei Abstimmungen ein Patt, kann Shuttleworth entscheiden. Vergleichbare Strukturen gibt es in den meisten Open-Source-Projekten. Als drittes Leitungsorgan nach dem Community-Rat und dem technischen Gremium nennt die "Governance"-Erklärseite auf Ubuntu.com außerdem noch: SABDFL, eine Abkürzung für "self-appointed benevolent dictator for life". Dieser "selbsternannte wohlwollende Diktator auf Lebenszeit" ist Mark Shuttleworth, der, wie es heißt, die "glücklicherweise undemokratische Rolle des Sponsors" spielt.

Siehe auch:

  • Ubuntu: Download schnell und sicher von heise.de

Die Arbeit an der Artikelreihe basiert in Teilen auf einem "Neustart Kultur"-Stipendium der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vergeben durch die VG Wort.

(tiw)