Open-Source-Adventskalender: Die Browser-Engine Chromium

Von 1. bis zum 24. Dezember 2021 hat heise online jeweils ein "Kalendertürchen" mit dem Porträt eines Open-Source-Projekts geöffnet.

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(Bild: Semisatch/KOALA STOCK/Shutterstock.com/heise online)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Stefan Mey
Inhaltsverzeichnis

Chromium hat Google den Weg an die Spitze des Browsermarkts geebnet. Dank des Open-Source-Projekts wurde in nur vier Jahren aus einem Branchenneuling und Nachzügler der globale Markt- und Technologieführer.

Der Open-Source-Adventskalender

Chromium ist eine Browser-Engine: der technologische Unterbau, der regelt, wie aus einer Html-Datei mit ihren Multimedia-Elementen eine ansprechende Webseite im Browser wird. Die Engine ist ein Paket aus dem HTML-Visualisierer Blink (ein Fork der Apple-Engine WebKit) und der JavaScript-Implementierung V8. Chromium ist Teil des Google-Mutterkonzerns Alphabet und steht unter einer BSD 3-Clause-Lizenz. Die Engine ist Basis des Google-Browsers Chrome, der zusätzliche proprietäre Bausteine enthält.

Die Chromium-Engine dominiert zu knapp drei Viertel (73 Prozent) den weltweiten Browser-Markt. Laut dem Statistikprojekt Statcounter.com hatte Chrome im November 2021 einen Marktanteil von 64 Prozent. Hinzugezählt werden müssen die Anteile von Browser-Wettbewerbern, die ebenfalls den Chromium-Unterbau verwenden: Die größten sind Microsoft Edge (vier Prozent), Samsung Internet (drei Prozent) sowie Opera (zwei Prozent). Wiederum etwas reduzieren muss man die Zahlen allerdings aufgrund der Firmenpolitik von Apple. Die zwingt Browserhersteller, auf iOS-Geräten die Apple-eigene Engine WebKit zu verwenden. Die iPhone-Versionen von Chrome, Edge und Opera laufen deshalb nicht auf Chromium, sondern auf WebKit.

Am 2. September 2008 hatte Google den Chrome-Browser sowie Chromium als Open-Source-Engine vorgestellt. Der Marktanteil von Chrome und damit Chromium stieg seitdem stetig. Laut Statcounter.com überholte Chrome Ende 2011 Firefox und wurde zur Nummer Zwei auf dem Browsermarkt. Nur ein halbes Jahr später, Mitte 2012, gelang auch der Sturz des langjährigen Marktführers: Chrome überholt den Internet Explorer von Microsoft.

Mit Chromium und Chrome verdient Google nur indirekt Geld. Im Jahresbericht der Dachgesellschaft Alphabet Inc. für 2020 taucht das Wort Chromium kein einziges Mal auf. Und konkrete Hinweise auf Geldflüsse, die mit dem Chrome-Browser zusammenhängen, finden sich in einer Auflistung der verschiedenen Einnahmegruppen nicht. Strategisch eminent wichtig ist Chrome, da der Browser den Datenschatz des Konzerns ergänzt. Den Google-Werbenetzwerken stehen dank Chrome noch mehr Informationen für eine Zielgruppen-genaue Anzeigenschaltung zur Verfügung.

Auch der Suchalgorithmus profitiert. Wird Chrome genutzt, weiß Google nicht nur, auf welche Suchtreffer geklickt wird, sondern kann zusätzlich nachvollziehen, was die User danach machen: Ob sie länger auf der Webseite verweilen oder sie sofort wieder verlassen, da der Treffer inhaltlich nicht gut zum Suchbegriff gepasst hat.

Chrome ist ein weiterer Baustein, der dafür sorgt, dass viele User den Google-Produktekosmos nie verlassen: Sie verwenden ein Smartphone mit Google-Android. Dessen Voreinstellungen regeln, dass alle Daten aus Google-Programmen und -Diensten bei Google landen. Sie surfen mit dem vorinstallierten Chrome-Browser. Ihre Web-Tour beginnen sie auf Google.de. Und die meisten Webseiten, auf denen sie dann landen, setzen Google Analytics ein und haben Google-Werbenetzwerke wie DoubleClick, AdSense oder AdMob eingebaut. Der Google-Browser ist stets dabei.

Außerdem spart ein eigener Browser viel Geld: Google muss anderen Browseranbietern nicht mehr Hunderte Millionen (wie bei Mozilla) oder gar Milliarden US-Dollar (wie bei Apple) dafür zahlen, als Suchmaschine voreingestellt zu sein.

Der Beitrag von Chromium zum Firmenerfolg ist ebenfalls indirekt. Was etwa zur gleichen Zeit mit Android gelang, glückte auch mit Chromium: Google hat ein Open-Source-Projekt aus dem Boden gestampft, an dem die ganz Großen der Technologiebranche mitarbeiten, und daraus eine Säule der eigenen Daten- und Wirtschaftsmacht gemacht.

Firefox beziehungsweise dessen Vorgänger Netscape Navigator war mit der Engine Gecko bereits seit 1994 auf dem Markt, Microsoft mit dem Internet Explorer und der Trident-Engine ab 1995 und Apple mit Safari und WebKit ab 2003. Auf diesem etablierten Markt ist Google in nur vier Jahren mit Chrome zum Browser-Marktführer geworden. Und mit Chromium hat der Nachzügler die Technologieführerschaft übernommen und sichergestellt, dass er die technologischen Standards setzen kann.

Dass Google das Browsergeschäft besser beherrscht als anderen, räumte irgendwann in einem denkwürdigen Schritt auch Microsoft ein. Ein Vierteljahrhundert lang hatte der Konzern eigene Browser-Engines verwendet, 2020 war das Geschichte. Seitdem basiert auch Microsoft Edge auf: Chromium.

Die Arbeit an der Artikelreihe basiert in Teilen auf einem "Neustart Kultur"-Stipendium der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vergeben durch die VG Wort.

Siehe auch:

(mho)