Sonys Need for Speed und Kampf gegen Fakefotos – die Fotonews der Woche 45/2023

Die Einen sehen in Sonys A9 III einen Durchbruch, die Anderen eine Tech-Demo. Und wieder andere fälschen Kriegsbilder, wogegen es Mittel gäbe.

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Links Rolling Shutter, rechts Global Shutter: Alle Pixel werden bei der A9 III gleichzeitig ausgelesen.

(Bild: Sony)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Nico Ernst
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Fotografie ist ein Spiel mit Licht und Schatten. Das gilt auch für die Produkte, mit denen man die Fotos erstellt, wie in dieser Woche besonders gut zu beobachten war. Große Foto-YouTuber wie FStoppers meinen Sonys neue Kamera A9 III würde "die Fotografie für immer verändern". Und in Foren herrscht zumindest etwas Skepsis.

c't Fotografie 3/24

Wozu man eine Verschlusszeit von 12,5 Mikrosekunden oder 120 Fotos pro Sekunde braucht, erschließt sich für den, der nicht jeden Tag mit seiner Kamera Geld verdienen muss, sicher nicht auf den ersten Blick. Und selbst bei vielen Profis ist der Anwendungsfall nicht gerade gängig, denn beispielsweise bei Familienporträts im Studio, wo der Fotograf die volle Kontrolle über Motiv und Licht hat, sind solche Funktionen kaum nützlich.

Wenig hilfreich ist auch, dass es für die in der Foto- und Filmwelt lange diskutierten Begriffe des Rolling-Shutter-Effekts und der Abhilfe dagegen durch einen Global Shutter keine etablierten deutschen Worte gibt. Und, auf die Gefahr hin, dass Sie das ab jetzt immer bemerken: Bei Fernsehproduktionen sehen Rotoren, wie die eines Hubschraubers oder Ventilators, oft gebogen aus, obwohl sie schnurgerade sind. Schnell bewegtes Sportgerät, wie ein Golfschläger, wird einfach krumm. Und selbst, wenn das egal sein sollte: Die sogenannten "Gummifinger" wirken schlicht gruselig.

Beides sind Effekte eines Rolling Shutter. Dabei wird der Sensor der Kamera zeilenweise ausgelesen, meist von oben nach unten, wie das auch das Titelbild dieses Textes zeigt. Die Technik dahinter, Speicherzellen, Busse, Stacked-CMOS, würde den Rahmen dieser Kolumne sprengen, daher nur soviel: Das geht im Preisrahmen einer Fotokamera kaum anders, für ein Vielfaches der Gerätekosten ist das bei Filmkameras durch den Global Shutter längst gelöst. Global bedeutet hier, dass alle Pixel eines Sensors gleichzeitig ausgelesen werden.

Die Verzerrungen des Rolling Shutter können dadurch nicht mehr auftreten, ebenso wie die meisten Flimmereffekte von LED-Beleuchtung oder Flachbildmonitoren. Der Global Shutter löst also eine ganze Menge von Problemen. Dass es ihn bisher in spiegellosen Systemkameras für Fotografen nicht gab, liegt sowohl am Sensor, der das beherrschen muss, als auch an der gesamten Infrastruktur, welche die Datenmengen verarbeitet.

Vielleicht wäre technisch noch mehr möglich gewesen, aber den hohen Preis von 7.000 Euro wollte selbst Sony bei der A9 III wohl nicht noch weiter überziehen. Ein erster Test eines Vorserienmodells von Petapixel zeigt auch, dass an Pufferspeicher und dem Speicherkarteninterface gespart wurde. Dass nur CFExpress-Karten vom bisherigen Typ A, und nicht der aktuelle Typ B, unterstützt werden, wirkt sich nämlich aus.

In der höchsten Qualitätsstufe mit verlustfrei komprimierten Raw-Bildern braucht es mit Sonys schnellsten CFExpress-Karten 11 Sekunden um die rund 120 Bilder des Puffers zu sichern. Und wer eine SD-Karte mit 300 MByte/s für schnell hielt: Da ist es rund eine Minute. Bei den stets betonten Haupteinsatzzwecken von Sport und Action ist das ewig. Dennoch: Im entscheidenden Moment die Möglichkeit für 120 Bilder in einer Sekunde zu haben, wir kommen um den Begriff nicht herum, ist ein Game Changer.

Das kann nicht nur zum Einfrieren des magischen oder spielentscheidenden Moments dienen, sondern auch Gruppenaufnahmen erleichtern, denn: Irgendwer guckt immer blöd. Man denke an eine Band auf der Bühne, die man gemeinsam ablichten will, an ein Ballett, bei dem rein menschlich bedingt, sich nie alle Künstler perfekt synchron bewegen: Die Bildauswahl wird größer. Dass Sony auch daran gedacht hat, wie man dann das beste Bild findet, und was die A9 III sonst noch kann, verrät unsere ausführliche Meldung.

Dazu noch zwei Ergänzungen: Weil die Kamera für Profis vorgesehen ist, gibt es auch einen Ethernet-Port und einen teuren OLED-Sucher mit bis zu 240 Hertz Wiederholfrequenz. Und weil es sich um einen Global Shutter handelt, dürfte die Verzögerung der Darstellung dort gleich null sein. Zudem ist es logisch, dass zuerst Sony mit einer Global-Shutter-Kamera auf den Markt kommt, denn das Unternehmen entwickelt und fertigt die Sensoren selbst. Es wird äußert spannend, wann der Sensor auch anderen Herstellern, insbesondere Nikon, zur Verfügung gestellt wird. Dieses Unternehmen hat bereits rund 30 seiner Kameras mit Sony-Sensoren bestückt.

Auch die extrem kurzen Verschlusszeiten bei voller Blitzsynchronisation wirkt auf den ersten Blick vielleicht als Demonstration dessen, was technisch machbar ist. Aber statt mit einem Blitz die Nacht zum Tag zu machen, ist nun auch der umgekehrte Weg möglich: Im prallen Sonnenschein lässt sich das Licht mit einem, besser mehreren, Blitzen genau führen. Da es inzwischen große Lichtquellen mit 300 Wattsekunden und Akku auch für kleines Geld gibt, eröffnet das ganz neue Möglichkeiten. Sicher ginge das auch mit einem ND-Filter, die Einstellmöglichkeit über die Verschlusszeit ist jedoch weit flexibler.

Bisher beherrscht die Kamera jedoch nur bis zu 1/16.000 Sekunde als kürzeste Verschlusszeit, die sagenhaften 1/80000 sollen per Firmware-Update nachgereicht werden. Im Gegensatz zu bisher üblichen Werten von 1/200 oder 1/250 Sekunden für die Blitzsynchronisation ist jedoch auch das ein Game Changer. Die Blitze müssen sich dabei aber auf lange Leuchtzeiten oder schnelle Strobes einstellen lassen – neues Zubehör dürfte oft nötig sein.

Die Gier nach Geschwindigkeit, der Need for Speed, gilt leider auch für alles andere, das mit der Sony arbeiten soll: Die Objektive müssen passen, also von Sony und mit aktueller Firmware versehen sein, damit Autofokus und Belichtungssteuerung noch mit den 120 fps mithalten kann. Bei Linsen von Drittherstellern ist bisher laut Petapixel bei 15 Bildern pro Sekunde Schluss. Man kann nur hoffen, dass Sony dafür zumindest eine theoretische Möglichkeit schafft, denn Tamron, Sigma und alle anderen würden wohl nur zu gern ihre Firmware auch anpassen. Doch wozu Entwicklungszeit investieren, wenn die Kamera so hart beschränkt bleibt?

Der größte Elefant im Raum ist darüber hinaus die Frage nach der Bildqualität, insbesondere dem Dynamikumfang. Dazu gibt es von Sony keinerlei Angaben, und auch Beispielfotos bei sehr hohen ISO-Werten wurden nicht gezeigt. Und wenn wir den Metaphernsalat komplett machen wollen: Ein One-Trick-Pony ist die A9 III dann, wenn sie wirklich nur in hell erleuchteten Sportstadien gute Bilder machen sollte. Denn unzweifelhaft wurde die Kamera mit Blick auf die Olympischen Spiele von Paris 2024 entwickelt.

Daher auch die frühe Vorstellung, in den Händen von Sportfotografen und Fotojournalisten sollen die Kinderkrankheiten gefunden und von Sony anschließend behoben werden. Üblich ist es nämlich, wenn auch im Falle der A9 III noch nicht belegt, dass ein ausgewählter Kundenkreis quasi als Beta-Tester solche Kameras Monate vor dem allgemeinen Marktstart erhält. Und da wir mit Need for Speed schon bei Spielen und Film sind: Das könnte man auch bei Kameras heute als Early Access bezeichnen.

Dass die Sony nicht nur als Sportbolide gedacht ist, zeigt ein etwas untergegangenes Detail der Vorstellung: Die Kamera soll als erstes Gerät des Herstellers das Echtheitssiegel nach CAI-Standard erhalten, was Sony in seiner Präsentation nur mit der dahinterliegenden Technik C2PA bezeichnet hat. Auch das wird erst per Update nachgeliefert, erst damit ist eine solche Kamera für Pressfotografen zukunftssicher. Die eigentliche Nachricht ist jedoch, dass Sony die CAI-Funktionen auch für die A 1 und die A 7 SIII anbieten wird, zusammen mit einigen weiteren Updates wie Breathing Compensation, also der Korrektur von leichten Abweichungen der Mechanik im Objektiv. Das alles soll ab März 2024 verfügbar gemacht werden.

Es geht also doch, CAI per Software nachzurüsten, und nicht nur in einer neuen Kamera wie es Leica mit der M11-P getan hat. Weil sich die völlig proprietären Prozessoren der Kameras nicht mit synthetischen und plattformunabhängigen Benchmarks messen lassen, ist eine Voraussage über die Eignung für CAI nahezu unmöglich. Als grober Anhaltspunkt kann dienen: Professionell ausgerichtete Modelle ab Jahrgang 2022 dürften mit CAI beziehungsweise C2PA klarkommen.

Auch dann ist man noch auf die Gnade der Hersteller angewiesen, denn Sony schreibt in seinen Folien nur wörtlich, man würde das "C2PA-Format" unterstützen. Nichts von vollem Funktionsumfang, aber das kann auch schlicht etwas Schludrigkeit sein. Denn selbst der Termin für den Marktstart änderte sich in 24 Stunden: Statt "Frühjahr 2024", wie in den Folien von Sony genannt, ist die A9 III jetzt schon bestellbar und soll im Januar 2024 ausgeliefert werden.

Wie wichtig ein in den Dateien selbst eingebautes Echtheitssiegel gerade für Pressfotos ist, zeigte sich in dieser Woche erneut. Adobe verkauft über seinen Dienst Adobe Stock mit KI generierte Bilder, welche den Krieg in Gaza zeigen sollen. Das tun sie aber nicht, denn es handelt sich um KI-Fakes. Nicht böswillig erstellte, aber dennoch: keine echten Aufnahmen aus dem Kriegsgebiet, die nach Meinung einiger Redaktionen wohl besonders eindrucksvoll aussehen. Oder schlicht billiger waren, als das rare Material von unabhängigen Pressefotografen.

Adobe rechtfertigt sich damit, es verletze ja die Nutzungsbedingungen, wenn auf den KI-Ursprung nicht bei Veröffentlichung hingewiesen würde. Als ob bei der Verwendung von Pressartikeln in Social Media, was in den USA auch allein für die Bilder noch durch "Fair Use" gedeckt ist, jemand die Herkunft der Darstellung von Feuerball und zerstörtem Haus angeben würde. Es ist allerhöchste Zeit, dass die ja schon existierenden Mechanismen, nicht nur CAI, auch von mindestens den Leitmedien verwendet werden. Und auch dann muss, insbesondere bei bewaffneten Konflikten, weiterhin der Ursprung jedes Bildes kritisch hinterfragt werden.

Gerade in solchen Zeiten kann ein bisschen Ablenkung gut tun. Natürlich ist damit das gemeint, was die Sony A9 III kann und was man damit macht. Beides hat Petapixel in einem Kurztest eines Vorserienmodells eingefangen, es geht nicht nur um die Technik, sondern die Bilder: Sony hatte nämlich in New York eigens eine Sporthalle mit perfektem Licht und tollen Athleten versehen, das Video der Kollegen zeigt das auch unterhaltsam. Daher ist das statt einem Long Read unsere Empfehlung für einen Long Watch zum Wochenende.

(cbr)