USA: Verbindliche Standards dürfen frei veröffentlicht werden​

Public.Resource.Org veröffentlicht rechtsverbindliche Standards, die sonst nur mühsam oder teuer zu lesen wären. In Deutschland verboten, in den USA erlaubt.​

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Richterhammer, im Hintergrund unscharf eine Statue der Justizia

(Bild: Zolnierek/Shutterstock.com)

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Wie teuer oder mühsam darf es sein, rechtsverbindliche Standardisierungsnormen zu konsultieren? In Deutschland sehr, in den USA nicht mehr: Dort hat die gemeinnützige Stiftung Public.Resource.Org nach einem Jahrzehnt Verfahrensdauer ein wegweisendes Urteil erstritten. Demnach ist es kein Verstoß gegen US-Copyright, wenn rechtsverbindliche Standards ohne Lizenz und gebührenfrei online gestellt werden. Das hat am Dienstag ein US-Bundesberufungsgericht bestätigt.

Ob diese Standards überhaupt Copyright-Schutz genießen, und wenn ja, wer die Rechteinhaber sind, lässt das Berufungsgericht offen. Sofern sie aber unter Copyright fallen sollten, greift das Recht auf Fair Use. Ziel des US-Copyright ist es, "den Fortschritt von Wissenschaft und nützlicher Kunst zu fördern". Wenn es hilft, dieses Ziel zu erreichen, können fremde Werke auch genutzt werden, wenn die Rechteinhaber nicht zustimmen. Diese Doktrin ist als Fair Use bekannt. Wann genau Fair Use vorliegt, ist im Gesetz aber nicht abschließend geregelt. Das wäre auch sehr schwierig.

Im Streitfall müssen mindestens vier Faktoren geprüft werden: Es kommt auf den Zweck der Nutzung an – kommerziell, nicht-kommerziell oder für Bildung – sowie auf die Art des Werks, die genutzten Ausschnitte im Vergleich zum Gesamtwerk und schließlich die Auswirkungen auf den potenziellen Markt oder Wert des Werks. Die vier Prüfungsergebnisse müssen dann gegeneinander abgewogen werden.

Public.Resource.Org veröffentlicht seit vielen Jahren amtliche Dokumente aller Art, darunter Gesetze und auch Standardisierungsnormen, die Gesetzgeber in den USA per Verweis für rechtsverbindlich erklärt haben. Das stört die privaten Standardisierungsgremien, die ihre Standards teuer verkaufen möchten. Sie sehen ihr Copyright verletzt. Mehrere von ihnen haben Public.Resource.Org 2013 und 2014 in zwei Klagen vor das US-Bundesbezirksgericht für den Hauptstadtbezirk District of Columbia zitiert und in erster Instanz gewonnen.

Das Bundesberufungsgericht für den District of Columbia schickte den Fall aber zurück ans Bezirksgericht, mit der Anweisung, mehr Fakten über die Umstände zu sammeln und Fair Use besser zu prüfen. Das Bezirksgericht änderte tatsächlich seine Einschätzung: Es stellte fest, dass ein Fall von Fair Use vorliegt, zumal Public.Resource.Org keine Gewinnabsichten verfolgt, die Bevölkerung bilden möchte, und das Wissen über geltendes Recht im öffentlichen Interesse ist. Das Gewicht des öffentlichen Interesses bei Fair Use entspringt nicht zuletzt dem berühmten Supeme-Court-Erkenntnis im Java-Streit zwischen Google und Oracle. Eine der beiden Klage von Normungsinstituten wurde daraufhin beigelegt (wobei die Stiftung auf ihren Verfahrenskosten sitzen blieb), doch die anderen Kläger gingen in Berufung.

Carl Malamud kämpft seit Jahrzehnten für die freie Zugänglichkeit amtlicher Unterlagen. Er hat die Stiftung Public.Resource.Org gegründet und wurde von der Electronic Frontier Foundation mit dem EFF Pioneer Award geehrt.

(Bild: Joel Hall/Gorinin CC BY 2.0 )

Also war erneut das Berufungsgericht am Zug, und es hat Public.Resource.Org diese Woche einen vollen Erfolg beschert: Drei der vier Faktoren von Fair Use sprächen eindeutig für die gebührenfreie Veröffentlichung durch Public.Resource.Org, der vierte Faktor wiege für beide Seiten des Konflikts gleich schwer.

Dabei verweist das Gericht auf einen anderen großen Erfolg derselben Stiftung: 2020 hat Public.Resource.Org das Recht erstritten, die Gesetze des US-Staates Georgia veröffentlichen zu dürfen. Der Staat hat über viele Jahre versucht, sein Recht hinter einer Paywall des Verlages LexisNexis zu verstecken. Einwohner mussten 412 Dollar zahlen, um das für sie geltende Recht lesen zu dürfen. Besucher des Staates mussten den für sie geltenden, wohl höheren Preis sogar telefonisch erfragen. Zwar unterliegen Gesetze in den USA nicht dem Copyright, doch wandte Georgia einen Trick an: Der Gesetzestext wurde nur in einer Fassung mit unverbindlichen Kommentaren durchsetzt herausgegeben, die Copyright-geschützt sind.

Diesen Trick akzeptierte das angerufene Bundesbezirksgericht sogar, nicht aber die Berufungsinstanz und der US Supreme Court (Georgia v. Public.Resource.Org, Az. 18-1150): "Von jedem Bürger wird angenommen, dass er das Recht kennt, und es braucht keine Diskussion, zu zeigen, dass alle freien Zugang haben sollten", zitiert jetzt das Bundesberufungsgericht in seinem Urteil zu den Standardisierungsnormen aus dem damaligen Erkenntnis des Supreme Court.