Eine Wunschliste für die Internet-Verwaltung: globale Prinzipien fürs Netz

Online-Meinungsfreiheit, Netzneutralität, eine Bürgerrechtscharta für das Internet - nur einige der Themen, aus denen sich auf dem Internet Governance Forum der UN eine Art Wunschliste herauszukristallisieren scheint.

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Von
  • Monika Ermert

Verbindliche Regeln kann das Internet Governance Forum (IGF) nicht machen. Schließlich ist es als eine Art UN-Kompromisseinrichtung mit beratender Funktion von Regierungen aus aller Welt beim Weltgipfel der Informationsgesellschaft nach heftigem Streit über die mögliche Internationalisierung der Internet-Verwaltung und das Bestehen der USA auf der Oberaufsicht über das Netz eingerichtet worden.

Eine Reihe von Vorschlägen zu politischen Prinzipien, derer man sich im Netz jenseits völkerrechtlicher Verträge unterwerfen könnte, wurden aber bereits in den vergangenen beiden Tagen im Rahmen der zweiten Tagung des IGF gemacht. Neben der Meinungsfreiheit in der Online-Welt wurde auch die Idee der Netzneutralität mehrfach angesprochen. Laut einem Beitrag des US-Wissenschaftlers Milton Mueller gibt Netzneutralität – also der unterschiedslose Transport allen Datenverkehrs durch die Netze, unabhängig von Quelle, Ziel, Dienst oder Inhalt – in einer breiten Definition eine gutes politisches Prinzip ab. Die Meinungsfreiheit, vom portugiesischen Ratsvertreter als erklärtes Ziel europäischer Politik in der Eröffnungsdebatte unterstrichen, bedürfe für den Onlinebereich möglicherweise weiterer Konkretisierungen. Dazu diskutierte in Rio die so genannte dynamische Koalition "Freedom Online" auf Initiative der Organisation für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit. Die italienische Regierung sieht die Zeit für eine Bürgerrechtscharta, eine Internet Bill of Rights, für gekommen.

Luigi Vimercati, Staatssekretär des italienischen Kommunikationsministeriums, sagte in Rio: "Wir sehen heute die Geburt einer neuen Generation von Rechten für die Bürger der globalen digitalen Gesellschaft, die eine Erweiterung der grundlegenden Menschenrechte sind, mit all den Besonderheiten (der digitalen Welt)." Eine solche digitale Bürgerrechtscharta sei erforderlich, um sich über die Definition dieser Rechte zu verständigen. Die Rechte sollten Freiheit und Zugang zum Internet für jedermann absichern, dabei gleichzeitig Formen der Selbstregulierung und der Einschränkungen der Rechte im Sinne der Sicherheit und Integrität des Netzes formulieren.

Unter der Charta ließen sich viele der in Rio diskutierten Vorstellungen über Bürgerrechte im Cyberspace zusammenfassen, etwa auch die in mehreren Veranstaltungen auf dem Programm stehenden Ansprüche auf Unbeobachtetheit und Datenschutz der Cybercitizens. Noch arbeiten die verschiedenen dynamischen Koalitionen oder Gruppen allerdings an ihrem speziellen Anliegen. In den "Dynamic Coalitions" sind jeweils, auf freiwillger Basis, alle drei Gruppen von Betroffenen (neudeutsch Stakeholdergruppen genannt) vertreten – Regierungen, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft.

Offenbar halten viele eine Bürgerrechtscharta für Netizens für zu hoch gegriffen und utopisch. "Wir wissen, dass es ein langer und schwieriger Prozess sein wird", sagte Vimercati. Immerhin handele es sich um Ordnungsprinzipien für den größten bekannten Raum. Es müsste auch dafür gesorgt werden, dass die Charta am Ende tatsächlich von der internationalen Gemeinschaft akzeptiert werde.

Netzneutralität wurde in der Eröffnungssitzung des IGF vom japanischen Vizeminister für Policy Coordination, Kiyoshi Mori, als eine der wichtigen Herausforderungen der kommenden Jahre genannt. Mit dem Entstehen verschiedener IP- und Breitbandnetze sowie den verschiedenen Diensten, die darüber angeboten würden, wachse die Bedeutung fairer Nutzungsbedingungen und einer gleichmäßigen Verteilung der Kosten für die Infrastruktur enorm an. Mueller hatte in einem Papier (PDF-Datei) für das Treffen des GigaNet, eines losen Zusammenschlusses der zum Thema Internet-Verwaltung forschenden Wissenschaftler, davor gewarnt, Netzneutralität als Regulierung der Bandbreite beziehungsweise Verbot der Privilegierung bestimmter Datenverkehre zu verkürzen. Der streitbare Wissenschaftler schlägt stattdessen eine Erweiterung des Begriffes auf die Infrastrukturen des Internets vor. Neben dem Anspruch auf Diskriminierungsfreiheit beim Zugang zum Netz für Inhalteanbieter und Nutzer, häufig bedroht durch Filterung oder Blockierung von Inhalten oder Diensten durch Regierungen oder Unternehmen, müsse sich auch die ICANN der Neutralität verpflichten. Damit spielt Mueller auf die mögliche Auswahl von neuen Adresszonen durch die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) an, bei der auch die Prinzipien Moral und öffentliche Ordnung Berücksichtigung finden sollen.

Die Liste möglicher globaler Prinzipien könnte im Lauf der Woche noch länger werden. Sicherheitsaspekte, Spam und die Verfolgung von Cyberkriminellen gehören auch zum Kanon der mehr oder weniger (un-)erfüllbaren Wünsche. Der Europarat wirbt heute in einer eigenen Sitzung für die Cybercrime Convention und in einer anderen für den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung im Netz.

Zum zweiten Treffen des Internet Governance Forum der UN siehe auch:

(Monika Ermert) / (jk)