Britisches Parlament kritisiert geplanten Ausbau der Schengen-Überwachung

Der EU-Ausschuss des Oberhauses wirft in einem Report über das geplante Schengen-Informationssystem II den federführenden Brüsseler Gremien Geheimniskrämerei vor und pocht auf deutlich verbesserten Datenschutz.

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Der EU-Ausschuss des Oberhauses des britischen Parlaments wirft in einem umfangreichen Report (PDF-Datei) über die geplante nächste Generation des Schengen-Informationssystems (SIS II) den federführenden Brüsseler Gremien Geheimniskrämerei vor und pocht auf einen deutlich verbesserten Datenschutz. "Ein Projekt von dieser Bedeutung und Größe muss offen und öffentlich entwickelt werden", hält das House of Lords in dem Ergebnispapier zu einer mehrmonatigen Untersuchung fest. Die gigantische Datenbank könnte sich schließlich nicht nur auf die rund 450 Millionen EU-Bürger, sondern auch auf Hunderttausende Einreisende auswirken. Es sei daher "inakzeptabel", dass die EU-Kommission bisher noch nicht einmal eine Folgenabschätzung für ein Projekt mit derartigen Kosten und Ressourcen durchgeführt habe. Die britische Regierung fordern die Lords auf, mehr Transparenz in die Entwicklung bis hin zur Vorlage vergebener Verträge zu bringen.

Großbritannien zählt nicht zu den eigentlichen Schengen-Staaten, da es seine Grenzkontrollen für Einreisende aus anderen EU-Mitgliedsstaaten aufrecht erhält. An einem Anschluss an das "SIS I+", das zur Aufnahme der neuen EU-Mitgliedsstaaten vorangetriebene Übergangssystem, zeigte sich die britische Regierung nicht interessiert. Sie baut auf die Einbindung in SIS II in 2009. Allerdings wird den Briten auch dann der Zugang zu Immigrationsdaten im System verweigert werden, solange sie ihre Grenzkontrollen nicht abbauen. An den Kosten für SIS II, welche die EU-Kommission bis 2012 bisher mit insgesamt 140 Millionen Euro ausweist, ist London trotzdem voll mit 18 Prozent beteiligt. Die Lords sind daher der Auffassung, dass die Regierung das Schengen-System bisher nicht ernst genug nehme und in Brüssel insgesamt stärker auf eine angemessene Gestaltung der Datenbank pochen müsse.

Besonders besorgt zeigt sich der EU-Ausschuss über die geplante Aufnahme biometrischer Daten in SIS II. Im Rahmen der Analyse befragte Experten hätten darauf hingewiesen, dass damit mit Sicherheit auch Forderungen von Strafverfolgern nach einem zentralen Abgleich etwa von Fingerabdrücken und Gesichtsbildern aus Pässen oder Ausweisdokumenten laut würden. Für einen entsprechenden "1:n"-Vergleich mit ausgefeilten Suchroutinen setzte sich jüngst hierzulande etwa der Bundesrat ein. Damit würde das Informationssystem aber in ein Fahndungswerkzeug umgewandelt und sein Charakter völlig verändert, heißt es in dem Report. Zudem müsse angesichts der plötzlichen Erweiterung der Datenbank um Millionen von Einträgen auf einheitliche Standards schon bei der Erfassung der biometrischen Daten geachtet werden. Die britische Regierung habe dafür zu sorgen, dass der in den SIS-II-Grundlagen geforderte Report der EU-Kommission über "1:n"-Suchmöglichkeiten von unabhängigen Experten betreut und vom EU-Rat einstimmig nach der Konsultation des EU-Parlaments angenommen werde.

Die Lords setzen sich ferner dafür ein, dass in regelmäßigen Abständen vollständige, klare und formal vereinheitlichte Statistiken über die ausgelösten Warnhinweise im System, die Anzahl und Art von Treffern bei Sucheingaben etwa nach illegal Einreisenden, gestohlen gemeldeten Fahrzeugen und Ausweispapieren, Waffen oder gesuchten Straftätern oder Zeugen sowie die daraus resultierenden Handlungen veröffentlichen sollten. Auch die bislang weitgehend im Verborgenen erfolgende Nutzung der nationalen SIS-Zulieferdatenbanken in Form der SIRENE-Systeme (Supplementary Information Request at the National Entry) sei offen zu dokumentieren. Zudem müsse eine Managementbehörde für das zentrale SIS II eingesetzt werden, die Rechenschaft über das Anwachsen und die Implementierung der Datenbank abzulegen habe.

Von der britischen Regierung verlangt das Oberhaus eine Liste mit all den Behörden, die Zugang zum erweiterten Schengen-Informationssystem haben sollen. Darin müsse der Zweck der Datenzugriffe erläutert werden. Aufgezählt werden sollten zudem alle Einrichtungen, die einmal Daten ins SIS II einstellen können, und die Fälle, in denen dies erlaubt werden soll. Die Lords weisen auch auf ein mögliches Loch zum unkontrollierten Datenabfluss in Drittstaaten via Europol auf. Der Zugriff des Europäischen Polizeiamtes auf SIS funktioniere zwar rein technisch bisher nicht, heißt es in dem Report. Sobald er aber erfolge, betrachte Europol Schengen-Daten als eigene Informationen. Diese wiederum könnten gemäß dem Europol-Übereinkommen an Länder wie die USA oder Kanada sowie Einrichtungen wie Interpol weitergegeben werden, obwohl ein solcher Transfer von SIS-Daten nicht erlaubt sei.

Der Bericht hält zudem eine Inbetriebnahme von SIS II für gänzlich unangebracht, bevor nicht auch als Ausgleich der umstrittene Rahmenbeschluss des EU-Rates zum Datenschutz bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Kraft getreten ist. Als Zielvorgabe nennen die Lords hier "Sommer 2007". Das Gesetzeswerk sollte zudem angesichts seiner Bedeutung für die Bürgerrechte "mit einem Höchstmaß an Transparenz und der Einbeziehung von Datenschutzbehörden auf nationaler und europäischer Ebene verhandelt werden." Davon zu erfassen seien auch Europol, die EU-Staatsanwaltschaft Eurojust und andere Sicherheitsbehörden, falls für diese nicht bereits vergleichbare Regeln zuträfen.

Darüber hinaus hält es der Report für unabdingbar, dass die Möglichkeiten der Mitgliedsstaaten etwa zum Schutz der "nationalen Sicherheit" von den Datenschutzauflagen abzuweichen, eingeschränkt werden. Auch die Bestimmungen über den Zugang zu in SIS II gespeicherten Daten sollen klarer gefasst werden. Zuvor drängte bereits das EU-Parlament auf verbesserte Sicherheits- und Datenschutzstandards.

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(Stefan Krempl) / (jk)