Kommentar: Weniger Server-Hersteller, mehr Innovation?
Die Übernahme der x86-Server-Sparte von IBM durch Lenovo verändert den Markt deutlich. Kommen nun spannende neue Maschinen oder bloß stärkerer Preiskampf?
Nach Stückzahlen und Umsatz tritt der Server-Markt seit Jahren auf der Stelle. Das zeichnete sich bereits vor der weltweiten Finanzkrise ab. Große, neue Fleischtöpfe sind nicht in Sicht, stattdessen gibt es Verschiebungen im Markt. Diese konnte die auf Zuverlässigkeit geeichte IBM-Sparte für x86-Server offenbar nicht rasch genug mitmachen, um genug Geld zu verdienen. Man kann nur hoffen, dass Lenovo das nach der Übernahme besser schafft.
IBM behält die Highend-Systeme, die Großbanken, das Militär und andere staatliche Einrichtungen der USA kaum bei einem chinesischen Hersteller kaufen wollen. Solche Kunden dürften bereit sein, für "Made in USA" ordentliche Aufschläge zu zahlen, welche die Fortentwicklung und Pflege der z/OS-Mainframes sowie einiger System-p-Maschinen mit Power-Prozessoren finanzieren. Doch sonst schrumpft der Power-Markt rasch, was auch die Sparc- und Itanium-Konkurrenz schmerzlich spürt, also Oracle (Sun), Fujitsu, HP, Bull und NEC. Hier sind kaum noch neue Kunden zu gewinnen; es bleiben die, für die Business Continuity die oberste Priorität hat, sowohl im Sinne höchster Zuverlässigkeit als auch im Sinne der Möglichkeit, steinalten Code weiter nutzen zu können.
Bei den x86-Servern hat sich der Markt drastisch gewandelt. Nur wenige Firmen – nämlich außer IBM noch Bull, Dell, Fujitsu, HP, NEC, Oracle und Unisys – fertigen noch Maschinen mit mehr als vier Xeons oder Opterons, meistens in sehr kleinen Stückzahlen. [Update:] Die Rechner von Supercomputer-Spezialisten wie Cray oder SGI werden selten wie klassische Server verwendet, sondern – wie bei SGI – eher noch als Datenbank- oder Big-Data-Systeme. [/Update]
Im stagnierenden Volumen-Segment der Dual-Xeon-Rackserver herrscht Preiskampf. Starkes Wachstum gibt es vor allem in zwei Segmenten: Bei den möglichst billigen Cloud-Maschinen sowie bei den möglichst dicht gepackten Mikroservern. Selbst bei den vor wenigen Jahren noch gehypten Blade-Servern schrumpft der Markt.
Außerdem tun sich die etablierten Server-Hersteller in einigen Wachstumsbereichen schwer. So konnte sich beispielsweise der Netzwerk-Ausrüster Cisco mit speziellen Cloud-Maschinen innerhalb weniger Jahre auf den vierten Rang der x86-Server-Verkäufer hocharbeiten. Cloud-Giganten wie Facebook halten sich aber gar nicht mehr mit den klassischen Server-Marken auf, sondern umgehen sie per Open Compute Project – davon profitieren dann die eigentlichen Hardware-Zulieferer wie Quanta, also ODMs. Schließlich haben chinesische Hersteller wie Huawei und Inspur Electronics in ihrem Heimatland großen Erfolg – und kassieren gutes Geld, welches den etablierten Markt-Giganten ebenfalls fehlt.
Als chinesischer Hersteller mit einer erfahrenen PC-Sparte im Rücken scheint Lenovo eigentlich gut gerüstet für die neuen Server-Trends. Doch anders als Cisco, Huawei oder Inspur hat es Lenovo bisher eben nicht aus eigener Kraft geschafft, sich mit dem ThinkServer auf die Spitzenränge des Servermarktes hochzuarbeiten. Das ändert sich nun schlagartig, doch es wird harte Arbeit sein, die Position zu halten: Ehemalige IBM-Kunden, die dort wegen der renommierten US-Marke kauften, könnten sich abwenden – und die chinesische Kundschaft dürfte viel niedrigere Preise bevorzugen, als sie IBM bisher aufrief.
Auch bei der PC-Sparte kämpft Lenovo stärker, als ein erster Blick auf gute Umsätze und großen Marktanteil vermuten lässt: Lenovo ist mit der Business-Notebook-Marke ThinkPad gut aufgestellt und hat es geschafft, auch in den billigeren Segmenten zu punkten – trotz Finanzkrise und rasant schrumpfendem PC-Markt. Doch bei den Desktop-Rechnern sieht es ganz anders aus: Hier sind andere seit Jahren stärker und Lenovo findet den Hebel nicht, um deren Dominanz zu schwächen. Der Medion-Zukauf dürfte beispielsweise gegen HP und Dell in den USA nichts helfen. Außerdem gibt es die ehrgeizigen Taiwaner Acer und Asus, die vor allem mit günstigen Preisen locken.
Deshalb: Auch wenn Lenovo mit dem enorm erfolgreichen (Mobil-)PC-Geschäft glänzen kann, wird der Server-Deal kein Selbstläufer. Der Server funktioniert hier nach ganz anderen Spielregeln, schon alleine von den vergleichsweise winzigen Stückzahlen her. Es wird spannend, wie Lenovo Wachstum und Gewinne der neuen Sparte herbeizaubern will. Lenovo muss sehr schnell System-x-Maschinen vorstellen, die besser zum Markt passen als die bisherigen IBM-Offerten. Das könnte insgesamt die Innovation beflügeln, hoffentlich nicht bloß den Preiskampf. (ciw)