Steinbrück: Deutschland kann die 4. industrielle Revolution anführen
Der SPD-Kanzlerkandidat bezeichnete die Digitalisierung der traditionellen Industrie als große Chance und warb auf der Konferenz "Next" dafür, die Breitband-Autobahnen über eine Universalverpflichtung auszubauen.
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat auf der Konferenz "Next" in Berlin die Digitalisierung der traditionellen Industrie als große Chance bezeichnet. "Deutschland kann die 4. industrielle Revolution anführen", prophezeite er vor der versammelten Gründer- und Startup-Szene am Dienstag. Dabei gehe es darum, die Informationstechnik in die klassischen Produktionsprozesse einzuführen. Mit dieser Industrie 4.0 entstünden ganz neue Produkte, Techniken und Verfahren wie zum Beispiel der 3D-Druck. Künftig brauche ein Kunde in der Autowerkstatt etwa nicht mehr auf Ersatzteile zu warten, da sie direkt vor Ort gefertigt würden.
"Die Wertschöpfung wird sich ändern und dezentraler ausgerichtet", erläuterte Steinbrück. Massenprodukte würden individuell angepasst, die Herstellung wieder stärker aus Billiglohnländern "nach Hause" verlagert: "Die Leute müssen die Waren am gleichen Ort designen und fertigen." Zugleich könnten etwa dank Nanomaterialien ganz neue Produkte erstellt werden. Deutschland komme dabei zugute, dass es sein "industrielles Rückgrat" deutlich stärker bewahrt habe als etwa Großbritannien oder die USA. Auch seien die hierzulande reichlich vertretenen Mittelstandsfirmen gut aufgestellt, um individuelle Kundenwünsche zu befriedigen.
Um dieses Ziel zu verwirklichen, müsse Deutschland die Infrastruktur aber dringend nachrüsten. "Wir liegen beim Breitband weit zurück, sogar hinter Rumänien", meinte Steinbrück. Gerade im ländlichen Bereich gebe es noch viele weiße Flecken in diesem Bereich. So wie große hiesige Autokonzerne von der Autobahn profitiert hätten, seien jetzt Breitband-Autobahnen nötig. Dies werde aber nicht der Markt allein richten, sagte er bezogen auf die Haltung der Bundesregierung. Steinbrück kündigte daher an, im Fall seiner Wahl die Universaldienstverpflichtung aus dem Telefonsektor auf das Hochgeschwindigkeitsnetz auszudehnen. Provider müssten dann auch Haushalte in entfernten Regionen mit Breitband versorgen, obwohl sich das für sie wirtschaftlich nicht rechnet.
Reformen hält Steinbrück auch im Ausbildungssystem für nötig. Die Vermittlung digitaler Kompetenzen gehöre im Lehrplan der Schulen ganz nach oben, jeder Schüler müsse mit einem Laptop beglückt werden. Selbst eine Verfassungsänderung erwog der SPD-Politiker, um mehr direkte Investitionen in den Bildungssektor in den Kommunen zu ermöglichen. Um Gelder dafür zu erhalten, wolle er die Einkommenssteuer für Reiche anheben. Eine Gründersteuer werde es dagegen nicht geben. Vielmehr sollten die Möglichkeiten für Durchstarter, Wagniskapital zu erhalten, verbessert werden.
Das deutsche Problem sei es, dass alles perfekt sein müsse und Risiken möglichst vermieden würden. Gründern müsse es dagegen ermöglicht werden, "frei zu fliegen und sicher zu landen". Als bedrohlich empfand Steinbrück, dass hierzulande angesichts der Alterspyramide die arbeitende Bevölkerung um mehrere Millionen abnehmen werde. Dem müsse entgegengesteuert werden, indem die Arbeitsrate von Frauen erhöht werde.
Steinbrück stieß mit seinen Ausführungen im Publikum auf Sympathien und erhielt viel Applaus, nachdem er lange Zeit als wenig internetaffin galt. Überraschend hatte eine SPD-nahe Medienagentur den langjährigen Twitter-Verweigerer vergangene Woche zum erfolgreichsten Facebook-Politiker gekürt. Mit dem Auftritt wollte er nun offenbar zeigen, dass er seinen digitalen Kompass nach mehreren Gesprächen mit Gründern in der ganzen Republik nachjustiert hat. Fragen aus dem Auditorium waren nicht vorgesehen. (anw)