Qualität beginnt in den Köpfen, Teil 1: die richtige Einstellung

Seite 2: Perspektiven

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Lange Zeit hat die Softwarebranche Produkte entwickelt und Code produziert, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wer sich auf der anderen Seite der Lieferkette befindet. Dann rückte der User als neuer Stakeholder in den Fokus. Seither denken Entwicklerteams und Designer mehr oder weniger intensiv über die User Experience nach. Doch leider betrachten viele Unternehmen und Entwickler diesen Punkt immer noch als lästiges Übel, und es fällt ihnen schwer, sich der wahren Bedeutung bewusst zu werden. So ist es bei einigen weltweit bekannten Buchungsportalen immer wieder eine Herausforderung, möglicherweise hinterlegte Rechnungen zu finden und auszudrucken. Es wird Zeit, einen neuen Begriff für eine Gruppe an Stakeholdern einzuführen: den Kunden.

Je nach Produkt können Kunde und User ein und dieselbe Person sein oder auch nicht. Doch unabhängig davon, wie sich die Konstellation gestaltet: Sind die Anwender unzufrieden, sind es die Kunden auch. Oder positiv ausgedrückt: Sind die Nutzer zufrieden, ist es auch der Kunde; sind die User begeistert, dann sind es auch die Kunden.

Unternehmen brauchen zufriedene Kunden, die bereit sind, Geld für die Produkte und Leistungen zu bezahlen. Zusätzlich brauchen Unternehmen begeisterte Kunden, die bereit sind, unbezahlt und ungefragt, aber authentisch Werbung für das Unternehmen zu betreiben.

Ein Unternehmen braucht Kunden; in der Regel brauchen die Kunden aber nicht ein bestimmtes Unternehmen. Es ist das Geld der Kunden, von dem sowohl Rechnungen des Unternehmens als auch die Gehälter aller Mitarbeiter bezahlt werden. Spätestens hier wird deutlich, dass User und Kunden weder als lästig noch nervig wahrgenommen werden sollten, sondern den Sinn und Zweck der Arbeit darstellen.

Damit wird auch ersichtlich, dass die Zeit, die es bedarf, sich der Bedürfnisse und Anforderungen der Kunden und User bewusst zu werden und damit auch entsprechende Werte liefern zu können, sich als ein sinnvolles Investment entpuppt. Aber es wird auch klar, dass es sinnvoll ist, diese Ziele während des gesamten Prozesses – von der Planung über die Entwicklung bis hin zur Auslieferung – nicht nur im Kopf zu haben, sondern auch nach steter Umsetzung und Beachtung zu streben und zu überprüfen, und zwar von allen am Prozess beteiligten Personen, da der Erfolg oder Nichterfolg ebenfalls jeden betrifft.

Das digitale Zeitalter gibt den Usern und Kunden eine noch viel direktere Macht – zum Beispiel über Online-Foren und Social Media, in denen sie über ihre positiven wie negativen Erfahrungen eine unbekannte Menge an Menschen teilhaben lassen können. Doch wer anfängt, sich mit der Gruppe der Kunden zu beschäftigen, muss erkennen, dass es nicht den einen Kunden schlechthin gibt. Die Ebenen des technischen Verständnisses können dabei stark variieren. So entwickeln einige Unternehmen Systemkomponenten für andere Softwarehersteller, andere Unternehmen wiederum stellen Apps und Programme für Endverbraucher her, wobei die Technikaffinität stark schwanken kann. Mit dem unterschiedlichen Technikverständnis ergeben sich auch unterschiedliche Anforderungen. Je unterschiedlicher sich die Zielgruppe gibt, desto aufwendiger ist eine genaue Abklärung der Anforderungen und der Definition von Qualität.

Selbst bei einem einzelnen Kunden können die Anforderungen und die Definition von Qualität von Produkt zu Produkt schwanken und sind damit abhängig vom Kontext. So stellt sicherlich eine um 0,5 Sekunden schnellere Reaktionszeit auf einer Partnerbörsen-App nicht so einen großen Qualitätsgewinn dar wie eine verbesserte Reaktionszeit bei einer Navigations-App. Und bei der Navigations-App ist es für Kunden wirklich nur dann eine Verbesserung, wenn sie diese App tatsächlich zum Navigieren nutzen und nicht nur für ihre Vorab-Routenplanung. Es ergeben sich also weitere Fragen:

  • Was ist für Kunden wirklich von Nutzen?
  • Kennen Kunden ihre Bedürfnisse oder betrifft es den Basisnutzen?
  • Welchen Wert liefert das Produkt für Kunden?

Baut ein Unternehmen in seine Produkte zu viele Features ein, die keinen Nutzen für die Kunden bringen, kann es sein, dass sie den Preis als zu hoch empfinden, da sie gar nicht alles sinnvoll nutzen können beziehungsweise wollen. Hier steckt ein Menge Psychologie dahinter, die sich wie folgt zusammenfassen lässt: Wer zukünftig erfolgreich sein oder bleiben will, muss sich mit seiner Zielgruppe intensiv auseinandersetzen.

Zielt ein Unternehmen auf die falschen Aspekte der Qualität ab, kann das verheerende Folgen haben. Umgekehrt können Unternehmen, die die Bedürfnisse der angesprochenen Zielgruppe richtig erkannt und umgesetzt haben, erfolgreich sein und sich einen Marktvorsprung verschaffen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der Konzern Sony, der 1955 das batteriebetriebene tragbare Radiogerät auf den Markt brachte. Die Qualität des Sounds war verglichen mit den großen Tischgeräten von RCA mit erstklassigen Transistoren miserabel, aber der Nutzen für die Zielgruppe – Teenager und junge Erwachsene –, Rock'n'Roll überall hören zu können, ohne sich mit den Eltern auseinandersetzen zu müssen, war größer als der Wunsch nach einer besseren Soundqualität [1].

Auch "falsche" Qualitätsversprechen können zu Enttäuschung und Unmut führen. Stellen Hersteller eine hohe Performance in den Mittelpunkt, die aber unter Umständen nur zum Tragen kommt, wenn modernste Endgeräte oder entsprechend gut ausgebaute Netze vorhanden sind, kann das bei Kunden zu Enttäuschungen führen, weil sie vielleicht ältere Modelle nutzen oder das Netz nicht so gut ausgebaut ist. Hier ist das Versprechen sicherlich nicht falsch, aber die Enttäuschung ist für den einzelnen Kunden dennoch gegeben, weil er nicht in den Genuss des Nutzens kommt. Auch in dem Falle wäre das Unternehmen gefragt gewesen, sich mit den Voraussetzungen bei der Zielkundschaft auseinanderzusetzen, um die für die Kunden wichtigen Aspekte zu eruieren.

Eine Hilfe zur Visualisierung bietet das Kano-Modell (Abb. 1)

(Bild: Von Original uploader was Trappatoni at de.wikipedia - Neugezeichnetes Diagramm, selbst erstellt, CC BY-SA 3.0, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=3539699)

Lässt ein Unternehmen sich darauf ein, verschiedene Blickwinkel in Betracht zu ziehen, entscheidet es sich für die zielgruppengerechte Qualität und liefert wertgebende, nutzbringende Produkte, stellt das eine Investition in eine mittel- und langfristige Kundenbeziehung dar. Ein gelebtes CRM und ein agiles Anforderungsmanagement, das gleichzeitig immer die Frage nach dem Kundennutzen und dem Wert für den Kunden stellt, sind hierbei hilfreiche Instrumente. Es sind die Kunden, die darüber entscheiden, was für sie Qualität darstellt. Zukünftig sollte die Frage "Was wollen unsere Kunden?" zur Gewohnheit werden und nicht immer nur ein Zufall sein.

Diese unterschiedliche Interpretation von Qualität findet nicht nur bei Kunden statt. Auch innerhalb des Unternehmens wird Qualität möglicherweise unterschiedlich interpretiert. Daher reicht ein Statement "Wir wollen qualitativ hochwertige Software produzieren" nicht aus, besonders dann nicht, wenn das Unternehmen zukünftig Kundenanforderungen berücksichtigen will. Qualität ist für jedes Projekt neu zu definieren. Alle am Projekt Beteiligten müssen den gleichen Wissensstand über die Qualitätsdefinition haben und sich darauf verständigen. Kommunikation und Visualisierung spielen hierbei eine wichtige Rolle. Impact Maps können helfen, das Ziel im Auge zu behalten und sinnvolle Messungen festzulegen, die das Erreichen der angestrebten Qualität überprüfbar machen. Sie sollten hierbei immer die Antworten auf folgende Fragen liefern: Warum? Wer? Wie? Was?

Für das Erreichen einer definierten Qualität im Team ist es notwendig, das Verständnis bei allen am Prozess beteiligten Personen dafür zu schaffen. Hilfreich sind hierbei Feedback-Loops, die zeigen, ob tatsächlich alle Teammitglieder das Qualitätsziel verstanden haben und es mit dem Team teilen [2].

Gerade coden kann dazu verleiten, "schlampig" zu arbeiten. "Den Code sieht ja eh keiner", ist eine Aussage, die zunächst auch in Ordnung zu gehen scheint, da "das Programm ja läuft". Doch wer um Architekturvorgaben und Absprachen herumarbeitet, schafft unter Umständen Probleme für die Zukunft in puncto Wartbarkeit und Erweiterbarkeit oder Anpassbarkeit an neue Versionen oder Systeme.

Mehr Infos

"Programming is like sex. One mistake and you have to support it for the rest of your life." Michael Sinz

Gerade der Punkt, dass plötzlich andere Entwickler auf den Code schauen können und dazu auch noch Feedback geben, hat so manchen Programmierer bei der Umstellung auf Open Source, Pair Programmierung und Code Reviews schlaflose Nächte bereitet.