Erste Ausfahrt im VW ID.3: Das Elektroauto für die breite Masse

Der ID.3 ist zum Erfolg verdammt. Volkswagen hat viel Geld in diese Plattform gesteckt. Eine erste Ausfahrt sollte zeigen, was der Hoffnungsträger bietet.

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VW ID.3

(Bild: VW)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Stefan Grundhoff
Inhaltsverzeichnis

Es hätte die Premiere des Jahres werden sollen, Volkswagen hatte den ID.3-Start schließlich mit langem Anlauf vorbereitet. Inzwischen liegt die sorgfältige Orchestrierung zumindest teilweise in Scherben. Die Corona-Pandemie hat daran gewiss ihren Anteil, doch die eigentlichen Probleme des ID.3 sind hausgemacht und gipfelten in einer Teilentmachtung von Herbert Diess. Im September soll das erste Auto auf Basis des Modularen Elektrobaukastens (MEB) endlich auf den Markt kommen. Wir konnten bereits eine Probefahrt machen.

Die Software-Probleme, die unter anderem den Verkaufsstart nach hinten verschoben haben, sind offenbar größtenteils gelöst. Der ID.3 kommt und Funktionen wie das Augmented Head-Up-Display oder die Einbindung der Connect-App für das iPhone sollen per Update nachgeliefert werden. Wie im noch recht frischen VW Golf (Test) kann das over-the-air erfolgen. Die Zeiten, in denen der Besitzer dafür eine Werkstatt ansteuern musste, sind noch nicht komplett vorbei, werden es aber in absehbarer Zeit sein. Konservative Menschen dürfen sich angesichts der sich auf diesem Weg anbahnenden, potenziellen Baustellen durchaus gruseln.

Drei Versionen sind geplant. Der ID.3 Pure als Basismodell hat eine Batteriekapazität von 45 kWh, die eine Reichweite bis zu 330 km im WLTP möglich machen soll. Der Kunde kann wählen, was der Elektromotor leisten soll: 93 oder 110 kW. Im ID.3 Pro sind es 58 kWh und bis zu 420 km, die Leistung beträgt hier 107 oder 150 kW. Der ID.3 Pro S bietet 77 kWh, eine mögliche Reichweite bis zu 550 km und 150 kW Leistung.

Welchen Reifegrad der VW ID.3 mittlerweile hat, merkt man schon nach ein paar Kilometern auf Testgelände und öffentlichen Straßen. Für eine erste Ausfahrt stand das Topmodell ID.3 Pro S bereit. Kraftvoll und dynamisch war er dank seiner 150 kW und 310 Nm bereits in der Erprobung; doch im Serienmodell passen nun auch die Abstimmung von Fahrwerk und Lenkung des über 1,7 Tonnen schweren Elektromodells mit Hinterradantrieb. Hier ist die erfahrene Hand der Entwickler zu spüren – das Auto fährt einfach gut. Glänzen kann der ID.3 mit einem sehr niedrigen Geräuschniveau und einem ausgewogenen Fahrverhalten. Dazu sind die nervigen Störgeräusche von den Außenspiegeln und den vorderen Radhäusern der Erprobungsfahrzeuge nahezu verschwunden.

VW ID.3 - erste Ausfahrt (10 Bilder)

Der ID.3 soll ab Oktober ausgeliefert werden.
(Bild: VW)

Wie bei anderen Elektroautos üblich ist auch hier vergleichsweise früh die Höchstgeschwindigkeit erreicht – bei 160 km/h ist Schluss. Selbst ein Basis-Golf fährt fast 30 km/h schneller. Geschenkt, denn im Alltag tritt der ID.3 derart vehement an, dass es eine wahre Freude ist. Wer täglich ein paar Hundert Kilometer schnell abreißen will, wird aktuell vermutlich ohnehin nicht zum E-Auto greifen. Allen anderen sei eine E-Auto-Probefahrt wieder einmal ans Herz gelegt, verbunden mit dem Hinweis, dass der Umstieg in einen Verbrenner sich danach seltsam anfühlen wird.

Der Fahrer hat die Wahl, den ID.3 wie einen Verbrenner im D-Fahrprogramm rollen zu lassen oder im B-Modus mit maximaler Rekuperation und dem sogenannten One-Pedal-Feeling unterwegs zu sein. So oder so gefällt der niedrige Schwerpunkt und die gute Rückmeldung von der sehr leichtgängigen Lenkung. Wer über den Taster unter dem Navigationsdisplay das Fahrprogramm auf sportlich wechselt, bekommt mehr Rückmeldung.

Der ID.3 ist 4,26 Meter lang und damit 2,4 cm kürzer als ein aktueller VW Golf. Der Vorteil, der sich mit einer komplett auf einen E-Antrieb zugeschnittenen Plattform ergibt, zeigt sich in einer neuen Raumaufteilung. Der Radstand ist mit 2,77 Metern 15(!) cm länger als im Golf. Um das einmal ins Verhältnis zu setzen: Auf einen Skoda Superb (Test) fehlen dem ID.3 beim Radstand ganze 7 cm. Dementsprechend gestalten sich die Platzverhältnisse im ID.3: So viel Bewegungsfreiheit vorn wie hinten ist auf dieser Verkehrsfläche ungewöhnlich. Selbst der Kofferraum ist größer als im Golf, wenngleich mit 385 Liter nur minimal.

Stark gewöhnungsbedürftig ist die sehr schlichte Materialauswahl. Im Golf haben wir schon den Rückschritt in dieser Hinsicht gegenüber dem Vorgänger angemerkt, der ID.3 wirkt nochmals erheblich karger. Das wird den ein oder anderen Interessenten irritieren, der von VW einen schönen Oberflächenschein gewöhnt ist. Im ID.3 ist an vielen Stellen zu merken, unter welchem Kostendruck er auf den Markt gebracht wurde. Der Konzern geht hier ein hohes Risiko ein, denn die Anmutung wird manch einen enttäuschen.

Die Autohersteller sind derzeit unter anderem damit beschäftigt, neue Wege zu suchen, Kunden auch nach dem Kauf zu binden. Dazu gehört, bestimmte Funktionalitäten mieten oder kaufen zu können – beispielsweise ein DAB+-Radio. Dieser Markt entsteht gerade erst, und der ID.3 wird - auch innerhalb des Volkswagen-Konzerns – vorn mit dabei sein. In einem Elektroauto bietet sich ein weiterer Bereich an, und Volkswagen ist nicht gewillt, ihn anderen Anbietern kampflos zu überlassen: E-Mobilitäts-Vorstand bei VW, Thomas Ulbrich, stellte am Freitag die Wallbox „ID.Charger“ vor. Die ersten Kunden bekommen die Basisversion für 399 Euro. Mehr Funktionen bieten „ID. Charger Connect“ und „ID. Charger Pro“, die demnächst folgen. VW bietet zudem eine Installation vor Ort mit an.

Schon länger bekannt sind die Eckdaten der Speicher. Es wird drei Kapazitäten (netto 45, 58, 77 kWh) geben. Unterschiede gibt es bei der Aufladung. Das Basismodell bietet serienmäßig ein zweiphasiges Ladegerät an, mit dem in Deutschland 7,4 kW an Wechselstrom möglich sind. An Gleichstrom sind bis zu 50 kW Ladeleistung möglich. Gegen Aufpreis kann der Kunde beim DC-Laden mit den teureren Versionen gleichziehen, dann sind auch im günstigsten Modell 100 kW Ladeleistung möglich. Die Modelle mit 58 und 77 kWh Batteriekapazität können an Wechselstrom dreiphasig mit bis zu 11 kW laden.

VW ID.3 - erste Ausfahrt (0 Bilder)

Im September wird zunächst die „First Edition“ auf den Markt gebracht. Diese erste Serie gibt es nur mit 150 kW und der 58-kWh-Batterie. Der Kunde kann vier Farben und drei Ausstattungspakete wählen. Das ist für den deutschen Markt ungewöhnlich, anderswo auf der Welt aber gang und gäbe. Erst das Plus-Paket für knapp 6000 Euro mehr bietet Rückfahrkamera, schlüsselloses Zugangssystem, LED-Matrix-Scheinwerfer und 19-Zoll-Alus. In der rund 50.000 Euro teuren Topversion sind Ausstattungsdetails wie das Augmented-Reality-Head-up-Display, Panoramadach, elektrisch verstellbare Massagesitze, 20-Zoll-Räder und ein Fahrerassistenzpaket nebst Telefonschnittstelle mit induktivem Laden enthalten.

Man darf wohl davon ausgehen, dass der Konzern seine gesamte Marktmacht einsetzen wird, um den ID.3 zu einem Erfolg zu machen. Es wurde derart viel Geld in diese Plattform investiert, dass ein Misserfolg den Riesen in eine schwere Schieflage bringen könnte. Die erste kurze Ausfahrt zeigt indes, dass damit nicht zu rechnen ist, denn bis auf den frugalen Innenraum ist der ID.3 ein durchweg gelungenes Auto. Zudem rollt Volkswagen die Plattform ja zügig auf weitere Modelle aus, darunter den VW ID.4 – ein Kompakt-SUV, das ungefähr so groß wie ein VW Tiguan ist. Hinzu kommen weitere Ableger von den Konzernmarken Seat und Skoda. Volkswagen geht spannenden Zeiten entgegen und darf hoffen, dass die Kunden mitspielen. Die Zahl der ID.3-Vorbestellungen dürfte die Verantwortlichen optimistisch stimmen.

(mfz)