Piratenpartei weiter auf Kurssuche

Nach langen Debatten über Regularien und einer Befragung der Kandidaten für den schließlich neu gewählten Bundesvorstand war auf dem Bundesparteitag der Piratenpartei am Wochenende für die Programmdebatte kaum noch Zeit.

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Von
  • Jens Albes
  • dpa

Wohin segelt die junge Piratenpartei? Auch auf ihrem Bundesparteitag am Wochenende in Bingen am Rhein bleibt der Kurs noch unklar. Nach langen Debatten über Regularien und einer vielstündigen Befragung der mehr als 20 Kandidaten für den schließlich neu gewählten, ausschließlich von Männern besetzten Bundesvorstand ist für die Programmdebatte kaum noch Zeit. Dabei lagen ursprünglich mehr als 300 Anträge zur Änderung von Programm und Satzung vor. Das soll nun ein Sonderparteitag regeln, beschließen die rund 1000 Piraten in Bingen. Er "soll ermöglichen, in umfassenderem Maße über Änderungen am Parteiprogramm zu diskutieren und abzustimmen", wie die Piraten in ihrer Abschlusserklärung formulieren. Nach Auskunft des wiedergewählten Parteichefs Jens Seipenbusch ist der am gestrigen Sonntag abgeschlossene Parteitag bis dato das größte Treffen der 2006 gegründeten Gruppierung gewesen.

Bislang drehen sich ihre Kernthemen vor allem um Bürgerrechte im digitalen Zeitalter, Informationsfreiheit, Datenschutz, Urheberrechte und Bildung. Nach Ansicht von Politikwissenschaftlern handelt es sich damit nach wie vor um eine 1-Themen-Partei mit Schwierigkeiten, alle Bevölkerungsgruppen anzusprechen. Wirtschafts- und Eurokrise, die sich öffnende soziale Schere, Klimawandel und ökologische Probleme – hierzu bieten die neuen Freibeuter noch keine Positionen.

"Zur politischen Verortung unserer Partei haben wir noch nichts gehört", beklagt denn auch ein Redner am Samstag. "Wir sind nicht gegründet worden, um uns selbst zu verwalten." Das Programm nur leicht oder stark erweitern – an dieser Frage scheiden sich immer noch die Geister. Seipenbusch setzt sich für eine "behutsame" Öffnung ein.

Ungeachtet dessen ist in Bingen der Stolz über die bisherigen Erfolge der strikt basisdemokratisch organisierten Partei deutlich zu spüren. 2 Prozent bei der Bundestagswahl 2009 nähren bei den Piraten die Hoffnung, bald Parlamente auf kommunaler, Landes- und sogar Bundesebene kapern zu können. Die Zuversicht wird auch durch das schwächere Ergebnis bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl vor einer Woche (1,5 Prozent) nicht getrübt.

Stolz ist die Partei auch über ihren Beschluss vom Sonntag, die freie Software LiquidFeedback testweise einzusetzen: Dies soll allen Mitgliedern ermöglichen, stets online Entscheidungsfindungen voranzutreiben ("Liquid Democracy "). Benjamin Stöcker, Beisitzer im Bundesvorstand, sagt zu dieser digitalen Anbindung: "Bei uns ist das Hinterzimmer ein Glashaus. Das wird uns dauerhaft von anderen Parteien unterscheiden."

Das äußerte sich auf dem Parteitag allerdings auch bei den Vorstandswahlen. Rund zehn Stunden hatten die Piraten für die Wahl des Bundesvorstands gebraucht. Dies und die unzähligen Anträge zur Geschäftsordnung machten letztlich den weiteren Parteitag notwendig, der über die Inhalte diskutieren soll. Der mit 52,6 Prozent der Stimmen wiedergewählte Bundesvorsitzende Jens Seipenbusch zeigte
sich denn auch am Sonntag "etwas enttäuscht" davon, dass weniger Zeit für die Debatte über die umstrittene inhaltliche Ausrichtung der jungen Partei geblieben sei.

Die Wahl des siebenköpfigen Bundesvorstands zog sich so lange hin, weil den insgesamt mehr als 20 Kandidaten bei ihrer Vorstellung jeweils eine Flut von Fragen gestellt wurde. Jedes der etwa 1000
anwesenden Parteimitglieder hatte generell Stimm- und Antragsrecht. (anw)