WOS3: Creative Commons als Geheimwaffe der Künstler im Copyright-Krieg

"Niemals in unserer Geschichte befanden sich mehr Kontrollrechte in den Händen so weniger Menschen", klagte Lawrence Lessig, Vordenker eines neuen Umgangs mit geistigen Eigentum, zur Vorstellung der deutsche Version der freien Urheber-Lizenz.

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Dramatische Töne schlug Lawrence Lessig, Rechtsprofessor an der Stanford University, am Freitagabend auf der Wizard of OS 3 (WOS) in Berlin an: "Niemals in unserer Geschichte befanden sich mehr Kontrollrechte in den Händen so weniger Menschen", sagte der prominente Aktivist für eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Werte des Urheberrechts. Im Blick hatte er dabei die Datenherren in der US-dominierten Film- und Musikindustrie, die seiner Meinung nach zuviel Macht über die Kultur der Menschheit erlangt haben und zu einer Art Copyright-Mafia verkommen sind.

Dass sich das System Hollywood nun in einem "terroristischen" und "kriminellen" Kampf gegen "unsere Kinder" befindet, empört Lessig über alle Maßen. Die digitale Generation des 21. Jahrhunderts sieht dem Vordenker zufolge Kultur nicht nur als etwas, das es zu konsumieren gelte, sondern will aus ihren Versatzstücken immer sofort Neues erschaffen. Lessig spricht von einer freien "Remix-Kultur" im Gegensatz zur Kultur der Couch-Potatoes des 20. Jahrhunderts, auf die es die Musik- und Filmindustrie aber immer noch abgesehen hätte. In der Remix-Kultur liege ein "großes demokratisches Potenzial". Längst habe sich im Netz von unten eine "Blog-Demokratie", eine "Peer-2-Peer-Demokratie" herausgebildet, die beispielsweise auch im Gegensatz stehe auch zu der öffentlichen medialen Kontrollfunktion, wie sie ein altehrwürdiges Blatt wie die New York Times vertrete.

Doch die IP-Kultur des Datenuniversums, die auf dem Internet Protokoll aufbaut, befindet sich nicht im Einklang mit dem bestehenden Rechtssystem und der älteren IP-Kultur zur Durchsetzung der Rechte am "geistigen Eigentum" (Intellectual Property). Die "Genehmigungskultur" der analogen Buchwelt, dank der sich aus den Printmedien etwa -- ohne den Autor zu fragen -- zitieren lässt, funktioniert in der Multimedia-Mixwelt nicht. Allein für die Erstellung einer CD-ROM über Clint-Eastwood, auf der kurze Ausschnitte aus dessen 50 Filmen gezeigt werden sollten, mussten zwölf Anwälte der Macher ein Jahr lang Rechte abklären, brachte Lessig ein Beispiel für die Schwierigkeiten. Und den Remix-Künstlern des Videos "Read my Lips", in dem sich US-Präsident George W. Bush und der britische Premier Tony Blair mit einem Song von Lionel Ritchie ihre gegenseitigen Liebe gestehen, erteilte das Label Columbia eine Absage mit der Begründung, dass der Clip "nicht lustig sei".

Der Copyright-Krieg verursache laut Lessig aber noch schwerwiegendere Kollateralschäden: Gefährdet seien der Fortschritt, die Innovation, das Lernen und das wirtschaftliche Wachstum, führte er aus. Die Entwicklung sei besonders bedrohlich, weil sich die Datenherren daran machen, präzise Kontrollrechte mit Hilfe von Systemen zum Digital Rights Management direkt in die neuen Technologien und Netzwerke einzubetten.

Die von den Kreativen selbst gegebene Antwort kann für Lessig nur daran bestehen, dass sie ihre Werke "mit den Freiheiten markieren", die sie den Nutzern bieten sollen. Um dies zu ermöglichen, hat der Jura-Professor die Creative-Common-Lizenz (CC) geschaffen. Auf der WOS gab er nun den Startschuss für die deutsche Adaption. Ziel der auch bereits in vier anderen maßgeschneiderten Länderversionen existierenden Lizenz ist es, einen gigantischen, weltweiten Pool an Werken zu schaffen, die komplett oder für nicht-kommerzielle Zwecke zum freien Download und zum Remixen zur Verfügung stehen. Dahinter steht ein Dreischichten-Modell: Es besteht aus einer allgemeinverständlichen Darstellung der Lizenz, einer für Anwälte gedachten langen Erläuterung sowie einer maschinenlesbaren Version. Über diesen Ansatz sei es möglich, betonte Lessig, den Austausch von Rechten an Inhalten in verschiedenen Projekten ohne Anwälte automatisch abzuwickeln.

Den Sinn spezifischer Varianten für einzelne Länder und Sprachgruppen sieht der Jurist unter anderem darin, vor Ort "Community-Prozesse" in Gang zu bringen und nationale Künstler zur Adaption der Lizenz zu bewegen. Über diese Schaffung eines internationalen "iCommons" erhofft sich Lessig dann wieder eine Signalwirkung für die Reform des über die Stränge schlagenden Copyrights-Systems in den USA. "Machen wir aus den drei Millionen Links, die schon heute zur Creative-Commons-Site zurückführen, 100 Millionen", forderte er unter dem Beifall des Publikums in Berlin.

Dass die Lizenz gerade für viele Kreative handfeste Vorteile hat, führten Künstler wie der DJ Björn Hartmann aus. Dem Gründer des Netlabels Textone hilft das CC-Projekt nach eigenen Angaben, seine Stücke und Remixes zu vermarkten und bekannt zu machen: Er mache sein Geld eh nicht über den Verkauf von Werken, sondern über seine Auftritte in Clubs, erläuterte der Protagonist elektronischer Musik. Mit Tränen der Rührung in den Augen berichtete zudem der Schweizer Michael Grob, welchen Bekanntheitsgrad ihm die Veröffentlichung seines 90-Minüters CH7 unter CC-Lizenz mit bereits über 70.000 Downloads in anderthalb Monaten gebracht habe. Der Heise Zeitschriften Verlag, der auch heise online betreibt, hat sich rechtzeitig zum Start der deutschen Version ebenfalls offen gezeigt für Tests mit den neuen Urheberrechtsklauseln.

Vor einem übereilten Einsatz der CC-Lizenz in allen kreativen Kontexten warnte allerdings Thomas Dreier, Leiter des Instituts für Informationsrecht an der Universität Karlsruhe und Vorstand des deutschen CC-Projekts. Gerade im Nachrichtengeschäft dürften Verlage etwa wohl kaum künftig auf Exklusivität verzichten wollen. Für Journalisten sieht der Experte daher nur begrenzte Einsatzmöglichkeiten von CC-Lizenzen. Dreier betonte zudem, dass Kreative in Deutschland ihr prinzipielles "moralisches" Urheberrecht im Gegensatz zum amerikanischen Copyright-System nicht abtreten können. Es seien daher einige Feinjustierungen für die deutsche Version etwa bei der Einbeziehung weiterer Nutzungs- und Verbreitungsrechte nötig gewesen, erklärte Till Jäger vom Institut für Rechtsfragen der freien und Open Source Software (ifrOSS), der die Anpassungen vorgenommen hat. Eine größere Inkompatibilität mit dem hiesigen Recht bleibe aber vorerst bestehen: Alle Mitglieder der GEMA könnten ihre Werke erst einmal nicht unter eine CC-Lizenz stellen. Die Verwertungsgesellschaft behalte sich in ihren bestehenden Verträgen nämlich Alleinvertretungsrechte ihrer Künstler vor.

Zur Wizards of OS siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)