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Was war. Was wird.

Die Barbaren kommen. Da bleibt nur noch schnell, schnell den Afterlife-Blog zu basteln. Hal Faber aber graut vor den kommenden Tagen, in denen Hurd den Afterlife-Blog von Unix schreibt.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Aaaaaaaa-ah, Aaaaaaaaa-ah! Die Barbaren kommen, die Kultur geht. Die Enteigner werden enteignet, denn "hier sind Leute mit kommunistischer missionarischer Einstellung am Werk, die (wieder einmal) in ideologischer Verblendung offen Enteignung propagieren." Bücher werden verbreitet, nicht verbrannt, auch wenn manche die Entscheidung des Heise-Verlages zur Unterstützung der Creative Commons als billige opportunistische Handlung ansehen. Rip, Mix & Burn ist das Credo der heutigen Jugend, erklärte Lawrence Lessig den verzückten Zuhörern auf der WOS in Berlin. Fast ausnahmslos Menschen, die vom Alter her einer vergehenden Kultur angehören, die den Gesetzen von "write, quote & cite" gehorcht, begeisterten sich für Lessig, weil sie das neue Jahrhundert nicht verstehen wollen: In der nächsten Woche (ich greife vor) steht als wichtigstes Jubiläum der 100. Bloomsday vor der Tür. Da muss er auch bleiben, ohne gefeiert zu werden, wenn schon das öffentliche Lesen aus einem Buch eine Verletzung des Copyrights darstellt.

*** "Schützen wir unsere Kinder vor den Rückschritten des Fortschrittes", donnerte Lessig im realsozialistischen Kuppelbau des Berliner Congress Center. Doch auch andere wollen ihre Kinder schützen. 493 Jahre nachdem der "Guthe Teutschen Manne" Albrecht Dürer, der Erfinder des Copyrights, mit einer Serie von Prozessen gegen die Fälscher vorging, die seine Illustrationen ohne sein Monogramm verbreiteten, und Dürer so den Autor als Eigentümer installierte, gibt es eine deutsche Creative-Commons-Lizenz. Ob sie den Kindern nutzt, ob iCommons gegen iTunes funzt, das werden wir sehen müssen. Denn auf jede Bewegung gibt es eine Gegenbewegung, wie man von Microsoft lernen kann. Dort verkauft man einen kostenlosen Download von Produkten einer aufgekauften Firmen als Öffnung. Wie wäre es denn, wenn Office für alle registrierten Nutzer kostenlos wird? Na klar, es wäre das Ende aller Kultur, wenn die Barbarians led by Bill Gates auf die anderen Barbaren treffen. Aaaaaaa-ah!

*** Für die Chronik der 23. Woche dieses Jahres verdient es festgehalten zu werden, dass Lessig von den zwei Kulturen sprach und so an C.P. Snow erinnerte, der 1956 mit den zwei Kulturen anfing. Damals beschwerte sich Snow über eine Gesellschaft, in der sich Wissenschaftler und gewöhnliche Menschen einander nicht mehr verstehen. Heute haben wir den Zustand, dass technische Lösungen für viele Menschen nicht mehr verständlich sind. Wenn sich die Gesundsheitskarte und die Jobkarte verspäten, ist das vielen egal. Wenn die Karten von den ohnehin wissbegierigen Banken ausgegeben werden und Versicherungen dem keine Policen ausstellen, der seine Datenfächer auf der Karte nicht bereitwillig öffnet, so ist das den Wenigen egal, die immer davon tröten, dass sie nichts zu verbergen haben. Und, wo wir doch dank Lessig so kinderfreundlich gestimmt sind, müssen wir uns mit dem kleinen Kevin fragen, ob zur Gesundheit nicht die dauerhafte Ortung von Kranken, Kindern und Arbeitslosen gehören müsste. Oder muss nicht eher die Frage gestellt werden, wer hier eigentlich krank ist?

*** Von zwei Kulturen erzählt auch eine ganz andere Geschichte. Ray Charles Robinson, im Allgemeinen nur unter seinen beiden Vornamen bekannt, lebt fest im Herzen jedes guten Amerikaners -- auch von Ronald Reagan und Amerikas Republikanischer Partei. Ein Schwarzer also, der die Kluft zwischen den zwei Kulturen der USA locker überbrückt? Das wohl weniger, eher ein Symbol, wie wenig das offizielle Amerika seine eigene Kultur begriffen hat. Möglicherweise illustriert das nichts besser als die Abziehfigur eines schwarzen Musikladenbesitzers, den Ray Charles im ersten Blues-Brother-Film zum Besten gab -- und möglicherweise ist der Tod Reagans, des US-Präsidenten, der der modernen US-Gesellschaft wie kaum ein anderer eine tiefe Kluft zwischen Reich und Arm bescherte, kurz vor dem Tod des Musikers, der für ihn Wahlkampf machte, nicht mehr als ein weiterer ungewollt ironischer Kommentar. Was hab ich gesagt? Erfreuen wir uns also weiter an der Musik von Ray Charles, der am Donnerstag im Alter von 73 Jahren starb, und lassen andere im Nachhinein Reagan als Gutmenschen feiern.

*** Hab ich was gesagt? Nehmen wir den gerade veröffentlichten Bericht der Arbeitsgruppe Patientenautonomie am Lebensende. Ja, jeder von uns muss sich wie Max und Lieselotte Beispiel hinsetzen und die Datei seines Lebens schreiben, den bundesbürgelich verpflichtenden Afterlife-Blog gewissermaßen, für den die Arbeitsgruppe wirklich niedliche Textbausteine zur Verfügung stellt: "Wurde ich enttäuscht vom Leben? Würde ich es anders führen, wenn ich nochmals von vorn anfangen könnte? Bin ich zufrieden, so wie es war?" Geh sterben, aber tue das bitte so, dass wir noch etwas mit deinen Daten anfangen können, so könnte die unfreundliche Version der Patientenautonomie-Durchführungsverordnung lauten. Wohlauf, noch kann ich mich ohne Hilfe von Microsoft erinnern. Ja, ja, natürlich bin ich mit meinem Leben nicht zufrieden. Gerne hätte ich alles wie Bill Gates gemacht, der alls bekommt, nur nicht SAP. Ich wünschte, ich hätte so einen aufrechten Gang wie Angela Merkel gezeigt und ein klares Weltbild wie Ronald Reagan. Doch schon als Kind lief alles schief und vorher noch, da hatte mein Vater Hal 9600 einen Hau in den Schaltkreisen. Ich zieh die Leine, ich geh in die Leine und danke noch für all den Fisch und die Textbausteine sowieso.

*** Anne Frank wäre übrigens am Samstag 75 Jahre alt geworden -- wenn nicht jemand die Leute verpfiffen hätte, die die jüdische Familie in den Niederlanden während der Nazi-Besatzung versteckten. Statt 75 Jahre alt zu werden starb Anne Frank 1945 im KZ Bergen-Belsen. Und statt eines Afterlife-Blog hinterließ sei ein Tagebuch. Trotz der Zensur ihres Vaters, der böse Kommentare über die Mutter aus der veröffentlichten Version strich, ist dies auch heute noch ein beeindruckenderes Dokument eines Lebens, als jeder noch so hippe Blog oder jede noch so krasse Textbausteinmaschine bis dato zu leisten vermöchten.

*** Oje, gleich stöhnen meine Feinde wieder, wie weit der Hal mal wieder von der IT weg ist, eine Nabellebenschau betreibt, über Kommunismus, Kinder, und Karten schwadroniert, als ob er keinen persönlichen Bit4health-Connector hat, der ihn mit der Realität verbindet, die den gemeinen Tickerleser peinigt. Liebe Progger und Proggerinnen, es ist nicht so: Nehmen wir besagte Wizards of OS, auf der die Wizards der Betriebssysteme sich zum Thema Beyond the Unix paradigm berieten. Doch was kam dabei schon heraus als ein begeistertes Plädoyer für Hurd. Ja, wenn der Neuanfang der kommenden Code Society so aussieht, dann bleibt wirklich nur die Frage, warum man nicht wieder zum Umgang mit Assemblern zurück soll. Steckt die Open Source vielleicht ewig wie das Murmeltier im Linux-Kernel fest, weil alles nur geklaut und obendrein leprös verseucht ist?

Was wird.

Wen der Fortschritt Hurd heißt, dürfte "Was Wird" eigentlich nur die Tage zählen, bis Hurd erscheint. Alles andere ist unwichtig. Wenn der Fortschritt Windows heißt, sieht das natürlich ganz anders aus. Jeder Tag ist aufregend, denn jeder Tag kann schöne Patches bringen. Noch schöner ist es freilich, wenn der Fortschritt Nokia heißt. Dann bringt er Telefone, mit denen man Luftnummern abziehen kann oder Strategie-Tage, zu denen die Presse nach Finnland geflogen wird. Interessant ist dabei die Verpflichtung der Reporter, doch bitte über die aufregende Zeit im Lande der Seen und Mücken einen Lifeblog zu produzieren, gewissermaßen in Vorleistung zur ultimativen Patientenautonomie: Mein Hotelzimmer, mein Blick in die Toilette, mein ... Nun ist diese Wochenschau entgegen mancher Ansicht kein Blog, dafür ist sie einfach viel zu alt, da bin ich mit dem Kollegen Cringeley einer Meinung. Was aber ist, wenn wir alle, mit oder ohne Nokias 7610, einen Lifeblog führen müssen?

Richtig, dann ist er da, der ultimative Bloomsday, an dem wir alle Sauflieder singen, Irish Whisky nippen oder Tee trinken. Oder besser Whisky saufen und Tee nipppen. Oder einfach nur Schwanitz lauschen: "Mit seinem neuen Mischungsverhältnis zwischen Groteskem, Heiterkeit und Komik wird 'Ulysses' zu einer Pionierleistung in der Exploration und Wahrnehmung des Körpers -- angesiedelt in einer Zeit, in der Kindern zur Vermeidung der Masturbation des Nachts Handfesseln angelegt wurden und die Erwähnung des Wortes 'Unterrock' auf einer Theaterbühne wochenlang Krawalle auslöste."

Ja, die Exploration des Körpers ist eine feine Sache. Wird sie digital betrieben, dann muss man natürlich eine sichere Gesundheitskarte allererster Güte haben. Das wird auf der MedCast besprochen, wenn der Bloomsday vorbei und der Kater aktenkundig ist. Im Sinne der Patientenautonomie gibt es freilich noch ein anderes Datum zu vermelden, wenn Gregory Blepp von SCO in Jena auftritt. Doch das ist nur für Studenten der Aufmerksamkeitsökonomie wichtig. Wir anderen verbleiben (siehe Anfang) in verblendeter kommunistischer Ideologie. Oder war es die Missionarsstellung? (Hal Faber) / (jk)