Bundeskartellamt durchsucht ProSiebenSat.1 und RTL

Die Privatsender sollen wegen Absprachen, digitale Free-TV-Programme nur noch verschlüsselt und gegen zusätzliches Entgelt zugänglich machen zu wollen, ins Visier der Wettbewerbshüter geraten sein.

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Von
  • Nico Jurran

Das Bundeskartellamt hat am heutigen Mittwoch Büros der Privatsendergruppen ProSiebenSat.1 und RTL in München und Köln durchsuchen lassen. Ein entsprechender Bericht des Nachrichtenmagazin Focus wurde mittlerweile von einem ProSiebenSat.1-Sprecher gegenüber dem Mediendienst Kress bestätigt. Laut Focus sollen die Sendergruppen im Verdacht stehen, Absprachen getroffen zu haben, digitale Free-TV-Programme nur noch verschlüsselt und gegen zusätzliches Entgelt zugänglich zu machen. Weiterhin gehe es um technische Maßnahmen wie Kopierschutzfunktionen und "Werbeblocker".

Aktuell sind die Free-(SD)TV-Programme der beiden Sendergruppen – darunter RTL, Vox, ProSieben, Sat.1 und Kabel Eins – über Satellit frei und ohne Einschränkungen empfangbar. Neu sind die Pläne für eine "Grundverschlüsselung" dieser Programme aber nicht: Bereits 2006 waren die Sender ins Visier der Wettbewerbshüter geraten, als sie mit dem Satellitenbetreiber SES Astra Pläne für eine TV-Plattform schmiedeten, die den Projektnamen "Dolphin" trug und die nach Ansicht von Kritiker über die Grundverschlüsselung lediglich die Einführung des Bezahlfernsehens durch die Hintertür realisieren sollte. Nachdem das Bundeskartellamt Ermittlungen wegen des Verdachts auf Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach Paragraph 19 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) eingeleitet hatte, startet das Projekt unter dem Namen "Entavio" später jedoch nur mit Pay-TV-Angeboten – und floppte.

Einen neuen Anlauf startete Astra Ende vergangenen Jahres mit dem Programmpaket HD+, das fünf Programme von ProSiebenSat.1 und RTL in hochauflösender Fassung in verschlüsselter Form enthält. Zum Empfang ist folglich eine Smartcard erforderlich, die ab dem zweiten Jahr mit einer jährlichen Gebühr von 50 Euro zu Buche schlägt. Laut Astra handelt es sich hierbei um eine Infrastrukturgebühr, nicht um ein programmbezogenes Entgelt – und benutzt daher für die im Paket enthaltenen Sender auch den Begriff "verschlüsseltes Free-TV". Weiterhin benötigt man für den Empfang ein offizielles Empfangsgerät. Zwar werden Recorder für HD+ angeboten, jedoch ist die Aufnahmefunktion je nach Gerätetyp eingeschränkt: Bei HD+-zertifizierten Recordern kann man während der Wiedergabe von HD+-Mitschnitten nicht vorspulen, weshalb sich Werbung nicht überspringen lässt. Bei HDTV-Recordern mit CI-Plus-Slot, in den ein von HD+ angebotene CI-Plus-CAM eingeschoben wird, ist bei HD+-Sendern lediglich Timeshifting bis zu 90 Minuten möglich, aber keine dauerhafte Aufnahme. Bei beiden Varianten ist eine Weitergabe der HD+-Aufnahmen nicht vorgesehen.

Dass das Bundeskartellamt nun gegen die Sender ermittelt und sie durchsuchen lässt, dürfte ein deutlicher Hinweis darauf sein, dass die Privatsender mit HD+ Blut geleckt haben und das Modell auch auf die bislang frei empfangbaren Free-TV-Sender ausweiten wollen. Offenbar dauert es ihnen doch zu lange, bis sich das "Problem" des freien und uneingeschränkten Empfangs durch die in ferner Zukunft zu erwartende komplette Ablösung von SDTV durch HDTV von selbst erledigt. (nij)