ICANN, WSIS und die Selbstständigkeit der Internet-Verwaltung

Die private DNS-Verwaltung soll bald nicht mehr der Oberaufsicht der US-Regierung unterliegen. Die Arbeitsgruppe zur "Internet Governance" zum UN-Weltgipfel der Informationsgesellschaft verfolgt aber eigene, ehrgeizigere Pläne.

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Von
  • Monika Ermert

Die private DNS-Verwaltung soll bald wirklich privat sein. Der Geschäftsführer der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), der Australier Paul Twomey, sagte beim Treffen in Kuala Lumpur, man habe bereits sieben der vom US-Handelsministerium vertraglich geforderten Bedingungen auf dem Weg in die Unabhängigkeit geschafft. Bislang behält sich das Department of Commerce noch die Oberaufsicht über die Internet- und DNS-Verwalter vor. "Das laufende Memorandum of Understanding," sagte Twomey, "wird das letzte sein." Vorläufig müssen Veränderungen in der Rootzone, damit auch die Einführung neuer Top Level Domains, noch der US-Regierung zur Genehmigung vorgelegt werden. ICANNs Führung wird aber nicht müde zu betonen, dass das Handelsministerium nicht interveniert und die Entscheidungen immer durchwinkt.

Als einen von sieben Punkten auf dem Weg zur Unabhängigkeit stellte Twomey die Notfall-Planung, die ICANN bis Ende Juni vorzulegen hatte. Im Falle eines Bankrotts oder eines sonstigen Zusammenbruchs von ICANN soll demnach ein Gremium über das weitere Geschick der Netzverwaltung beraten. Darin sind je ein Regierungsvertreter aus jeder der fünf Regionen (Afrika, Asien-Pazifik, Australien, Europa, Nordamerika) sowie Vertreter der verschiedenen ICANN-Interessengruppen vertreten. "Die USA spielt darin keine Sonderrolle", sagte Twomey.

Weitere Punkte, die ICANN nach eigenen Angaben in dem von Twomey als "Due Diligence" (die Durchleuchtung eines Unternehmens vor dem Kauf) bezeichneten Prozess abgearbeitet hat, sind die ICANN-Struktur und -Personalreform, der kontinuierliche Status-Report, ein strategischer Plan und eine langfristige Finanzierungsstrategie, außerdem eine Überprüfung, inwieweit ICANN der eigenen Satzung folgt. Twomey strich im Übrigen positive Bemerkungen der OECD in ihrem Bericht zum Wettbewerb im Domainmarkt heraus: "Die Domainpreise sind um 90 Prozent zurückgegangen", sagte Twomey, "wir haben mit den Domaintransferregeln eine Art von Nummernportabilität geregelt, aber weltweit."

ICANN rüstet sich mit diesen Erfolgsmeldungen wohl auch für den Auftakt der UN-Arbeitsgruppe Internet Governance, die laut dem Beschluss internationaler Staatschefs beim Weltgipfel für Informationsgesellschaft (WSIS) die Verwaltung des Internet -- auch über Domains und IP-Adressen hinaus -- überprüfen soll. Der Chef des Sekretariats der Arbeitsgruppe, der Schweizer Diplomat Markus Kummer, hat einen deutlich ehrgeizigeren Plan als ICANN. Kummer sagte in Kuala Lumpur, die Arbeitsgruppe werde erst im Oktober voll einsatzfähig sein. Vorab sollen Regierungsvertreter und Öffentlichkeit bei einer Konferenz im September noch einmal zu dem geplanten Verfahren gehört werden, das vier Sitzungen von 15 bis 20 von UN-Generalsekretär Kofi Annan ernannten Experten beinhaltet. Von einzelnen Regierungen wurde bereits bemängelt, dass der geplante Kreis zu klein sein könnte.

Nach der ersten offiziellen Sitzung der Arbeitsgruppe am Rande der zweiten WSIS-Vorbereitungskonferenz im Dezember bleibt Kummer und dem Gremium noch eine halbes Jahr, um den gordischen Knoten um ICANN, Spam und Piraterie zu durchschlagen -- und was die eine oder andere Regierung im Netz sonst noch so wurmt. Bereits im Juli müssen die Empfehlungen für den zweiten Weltgipfel in Tunis im Dezember 2005 abgeliefert werden -- noch bevor ICANNs Vereinbarung mit dem US-Handelsministerium voraussichtlich auslaufen soll, warnte Paul Wilson, Chef von APNIC, der regionalen IP-Registry (RIR) für Asien-Pazifik. Den USA, deren Sonderrolle einigen Regierungen von Entwicklungsländern ein Dorn im Auge ist, bleibt also das letzte Wort.

Wenn dann der politische Wille fehlt, die Netzverwaltung tatsächlich als globales Selbst- beziehungsweise Koregulierungsorgan anzuerkennen, lässt sich auf der Liste der Vorbedingungen sicherlich noch etwas finden, um dies auch tatsächlich zu verhindern. Vorläufig sieht es nicht danach aus, dass alle Länderdomain-Registries Verträge mit ICANN eingehen oder auch nur dem offiziellen ICANN-Länderdomain-Gremium beitreten. Die Beteiligung von Endnutzern ist nach der Abschaffung direkter Beteiligung im Vorstand doch eher ein Trauerspiel weniger Unermüdlicher. Die direkte vertragliche Bindung aller Root-Server-Betreiber an ICANN, die die US-Regierung in den Vertrag geschrieben hat, ist ebenfalls schwer durchzusetzen; die IP-Adress-Registries haben in den vergangenen beiden Jahren alles getan, um jederzeit die Allokation von Nummern in Eigenregie übernehmen zu können. Letztlich hängt ICANNs Zukunft also wohl auch davon ab, ob die internationale Gemeinschaft dem Unabhängigkeits-Zeitplan -- und der US-Politik -- Glauben schenkt. (Monika Ermert) / (jk)