"Mit Kernenergie erreichen wir das Ziel schneller."
François Nguyen, Experte für globale Energiewirtschaft, hält eine weltweite Energiewende nicht für unmöglich. Aber ohne einen Politikwechsel, meint er, werden fossile Energien weiter den Markt dominieren.
François Nguyen, Experte für globale Energiewirtschaft, hält eine weltweite Energiewende nicht für unmöglich. Aber ohne einen Politikwechsel, meint er, werden fossile Energien weiter den Markt dominieren.
Der Kanadier François Nguyen ist seit 25 Jahren im Energiesektor tätig. Bevor er 2006 auf seinen Posten als leitender Politikberater der Internationalen Energieagentur IEA in Paris wechselte, arbeitete er unter anderem für die kanadische Aufsichtsbehörde National Energy Board. In der IEA ist der Ökonom Nguyen vor allem für die Analyse der weltweiten Strommärkte zuständig. TR-Redakteur Wolfgang Stieler sprach mit ihm Anfang März auf der Tagung "Zukunft der Kraftwerke" in Berlin.
Technology Review: Herr Nguyen, speziell in Europa konzentrieren wir uns sehr stark auf erneuerbare Energien. Welchen Stellenwert haben diese Energieträger weltweit?
François Nguyen: Erneuerbare Energien decken zurzeit etwa 13 Prozent des weltweiten Primärenergiebedarfs ab. Und wir erwarten, dass sie in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen.
TR: Worauf stĂĽtzt sich diese Erwartung?
Nguyen: Erstens werden erneuerbare Energien wie Windenergie immer wettbewerbsfähiger. Andere, etwa die Solarenergie, sind zwar noch immer zu teuer, um mit fossilen Energien konkurrieren zu können. Aber wir erwarten, dass die Kosten weiter sinken – das ist ein Effekt der Lernkurve.
TR: Und zweitens?
Nguyen: Zweitens sind diese CO2-freien Energien ein wichtiger Bestandteil im Kampf gegen den Klimawandel. Und nicht zuletzt sind es dezentrale Energieträger – sie verringern also erheblich die Abhängigkeit von Importen.
TR: Hier in Deutschland wollen wir bis 2020 einen Anteil von 20 Prozent an erneuerbaren Energien schaffen. Ist das auch weltweit machbar?
Nguyen: Wie hoch der weltweite Anteil erneuerbarer Energien dann sein wird, hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab: den politischen Vorgaben inklusive politischer Unterstützungsmaßnahmen, der Wettbewerbsfähigkeit unter diesen Bedingungen und nicht zuletzt den lokal verfügbaren Ressourcen. Wir haben in unserem sogenannten Referenz-Szenario errechnet, dass der weltweite Anteil erneuerbarer Energien von 18 Prozent in 2007 auf 22 Prozent im Jahr 2020 ansteigen wird. Ein größerer Anteil wäre möglich, aber das würde andere politische Vorgaben und verstärkte Anreize erfordern.
TR: Bedeutet "andere politische Vorgaben" einen weltweiten Emissionshandel? Halten Sie den bis 2020 wirklich für möglich?
Nguyen: Zurzeit hat nur Europa ein Cap-and-Trade-System, das geeignet ist, den Preis für CO2-Emissionen marktwirtschaftlich festzulegen. Auf lange Sicht ist diese Einpreisung von Kohlendioxid aber ein Schlüsselelement für eine nachhaltige Energieversorgung. Es mag unrealistisch sein, bis 2020 auf ein weltweites CO2-Handelssystem zu hoffen. Aber wenn wir ein solches System bis Ende 2020 für die OECD-Länder plus Russland, China, Brasilien und Indien implementieren könnten, wäre das ein wichtiger Schritt. Und in unserem 450-ppm-Szenario (parts per million CO2 in der Atmosphäre; Anm. d. Red.) gehen wir davon aus, dass dies gelingt.
TR: Was meinen Sie damit? Gibt es fĂĽr Sie mehrere Optionen?
Nguyen: Unsere Analyse konzentriert sich auf die zwei wahrscheinlichsten Entwicklungen. Im Referenz-Szenario, das den weltweiten Energiebedarf fortschreibt und von keinem Politikwechsel ausgeht, setzt die Welt auch 2020 überwiegend auf fossile Energieträger. Im 450-ppm-Szenario wird der Anteil der CO2-Emissionen aus der Energieerzeugung bis 2020 stabilisiert. Danach wird er sinken, sodass der Anteil an CO2 in der Erdatmosphäre nicht über 450 ppm steigt. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent bleiben wir so unterhalb einer globalen Erwärmung von zwei Grad bis 2100. Um das zu erreichen, müssen die Investitionen in kohlenstoffarme Technologien jedoch erheblich beschleunigt werden.
TR: Und wenn nicht, bleibt die Welt also bei Kohle und Öl. Fragt sich nur wie lange. Nicht wenige Experten erwarten, dass sich die Ölfrage von ganz allein klären wird, weil uns der Stoff nämlich schon bald ausgeht. Was halten Sie von dieser These?
Nguyen: Ich bin da optimistischer. Ich denke, dass der Rückgang der Förderung konventionellen Öls mehr als ausgeglichen wird durch die Ausbeutung neuer Energiereserven wie kanadische Ölsande, Kohle- und Gasverflüssigung. Im World Energy Outlook 2009 haben wir prognostiziert, dass der Anteil an unkonventionellen fossilen Quellen von 1,8 Millionen Barrel im Jahr 2008 auf 7,4 Millionen Barrel im Jahr 2030 steigen wird.
TR: Ist das wirklich realistisch?
Nguyen: Es gibt seit einigen Jahren zunehmende Hoffnungen auf das Potenzial unkonventioneller Gasvorkommen, vor allem in den USA. Das hat bereits jetzt zu einem starken Druck auf den Gaspreis geführt – was Gas wiederum als Energieträger einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Gas und erneuerbare Energien sind übrigens nicht die schlechteste Kombination – Gas lässt sich sehr flexibel einsetzen und ist damit beispielsweise eine ideale Backup-Energie für schwankende Leistung aus Windenergie.