4W

Was war. Was wird.

Nach einer Woche der wunderlichsten Konstellationen sieht es aus, als wolle Deutschland unbedingt ein Sommermärchen haben. Hal Faber beschwört derweil die mächtige Bloggerfaust.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 56 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

***"Frauen regier'n die Welt", tralala – aber halt, Angela, das war letztes Mal. Da muss man anders anfangen. Kurzer Blick aus dem Fenster.

*** Die Sonne scheint, die Schwalben torkeln. Deutschland will unbedingt ein Sommermärchen haben: Bald wird der A380 mit "unserer Mannschaft" an Bord abheben trotz Bremsklotz Klose. Im kleinen, feinen Verlag am Rande der norddeutschen Tiefebene ist Ferienstimmung ausgebrochen. Faul fläzen die Redakteure an fernen Gestaden, nur hin und wieder twitternd, denn das geht ja gar nicht, ganz ohne Begierden unterwegs zu sein. Dann könnte ja Langeweile ausbrechen und das ist bekanntlich tödlich wegen dieser doofen Algorithmen, die bestimmen wollen, welche Urlaubslektüre mitkommt, auf der Basis, was jemand anderes bestellt hat: "Wer sich von dieser persönlichen Spielart der Zukunftsalgorithmen seinen Musikkonsum, seine Lektüre oder auch nur den Inhalt der Urlaubskoffer bestimmen lässt, stirbt über kurz oder lang an Langeweile." Tod, wo ist dein Stachel, wenn wir alle Cyborgs werden?

*** Nun hat uns diese Woche eine Reihe der wunderlichsten Konstellationen beschwert, auf die nur Algorithmen kommen, die von einer unendlich großen Zahl von Affen an unendlich vielen iPads angestuppst werden. Alles ausgelöst durch ein böslistiges Sprachspiel des Kommandos Horst Lübke, dem allerhärtestes Bedauern der Bundeskanzlerin folgte. Horst Köhler resignierte auf seinem Handelsweg, von der schwieligen Faust der Blogosphäre gestoppt. Das darauf folgende derbe Volkstheater illustrierte niemand besser als der Osnabrücker Langweiler Heinz Rudolf Kunze, der gegen den Osnabrücker Langweiler Christian Wulff den Reiter Walser vom Bodensee als Bundespräsident vorschlug, mitten in der Geburtstagsfeier des großen Unterhaltungskünstlers Marcel Reich-Ranicki.

*** Im großen deutschen Bauernschwank konnten wir außerdem lernen, wie Angela Merkel per SMS erst mal ein bisschen Schnucki macht und zeigt, was sie von einem Bundespräsidenten hält, der gegen den Winter im Sommer kämpfte. O mächtige Bloggerfaust, balle dich und mache diesen Gauck zu unser allem Präsidenten! Glaubt jemand ernsthaft, ausgerechnet von einem Osnabrücker feurige Reden über das richtige Leben im falschen zu bekommen? Die bislang gesammelten Videos zeugen vom Gegenteil. Immerhin wird es die kaisertreue Jugend und die Hamburg-Mannheimer entzücken, wenn Deutschland seinen Bundeschristian mit "Hallo Herr Kaiser!" begrüßen kann.

*** Versicherungen, da war noch was? Richtig, da war der in Hannover aufgewachsene Philipp "Bambus" Rösler, derzeit amtierender Nichtrücktreter im Gesundheitsministerium. Seine Gesundheitsprämie von rund 30 Ocken wird vom Politpartner CSU blockiert, der lieber eine Praxisgebühr bei jedem Arztbesuch durchsetzen will, weil das die alten Säcke in den Arztpraxen so richtig piesackt. Eigentlich schade, denn wer Röslers seltsame Kettenrechnung abklopft, findet Dinge, bei denen die Datenschützer aufheulen müssten: Krankenkassen, die Zugriff auf die Mieteinnahmen und Zinseinkünfte von Privatiers haben, um deren Anteil an der Prämie berechnen zu können, das hat schon was. Da passt der Rösler bestens zum Wulff, dessen höchste Auszeichnung bislang ein Preis für die Zerschlagung der Datenschutzenaufsicht in Niedersachsen war.

*** Während die Sonne über der norddeutschen Tiefebene scheint, geht sie in Kanada auf, um am Ende mit heißen Tränen zu versinken. Natürlich muss auch hier die Schuld klar bei den Bloggern gesucht werden, doch manchmal sind Abschiede richtige Abschiede, der Tod das Los jedes Matrixdruckers. Zum allerletzten Mal führen die User Emanuel Madan und Thomas McIntosh auf dem Mutek-Festival in Montreal ihre "Symphonie Nr. 2 für Matrixdrucker" auf. Es fehlt an Ersatzteilen, die Symphonie wird unspielbar und nur noch in entlegenen Steampunk-Videos zu hören sein, bis der letzte Datenträger seinen Geist aufgibt. Während Schreibmaschinen wie meine heißgeliebte Valentine noch gewartet werden können, sind Matrixdrucker wie Disketten zum Aussterben verdammt. Die Forderung Luigi Russolos nach Maschinensymphonien enden im Scheppern der iPads, wenn man sie kräftig aneinander haut. Möge der große Musiker und iPad-Vordenker Alan Kay die passenden Noten finden.

*** In dieser Woche hat Steve Jobs mal wieder sein Talent als Abstauber gezeigt und Personal Computer mit Lastwagen verglichen. Brummifahrer Steve Ballmer reagierte prompt mit einer Eloge auf die Blüte des PC-Zeitalters. Bekanntlich war es Ken Olsen, der die schiefe Metapher ins Spiel brachte, als er Unix mit russischen Lastwagen verglich. Dabei zeigt gerade die Entwicklung von Unix und Linux, warum man auch im Zeitalter des Cloud Computings so etwas wie Lastwagen braucht. Mehr noch als die übliche Sichtweise von Steve Jobs auf seine Gängel-Hardware beeindruckt das Unverständnis von Steve Ballmer über die Doppelung bei Google, wo mit Android und Chrome gleich zwei Vehikel darauf warten, benutzt zu werden. Stimmen die Videoaufzeichnungen, so musste Ballmer von Ray Ozzie über die Unterschiede von Android und Chrome aufgeklärt werden. Dabei hätte der ausgewiesen erfolgreiche Geschäftsmann, der seine Entwickler so innig liebt, dass er Tänzchen aufs Parkett legt, mal seine Augen auf diesen Google-Effekt richten können: Mit einem kleinen Pac-Man-Insert zum 30. Geburtstag vernichtete Google auf die schnelle 4,82 Millionen Stunden Arbeitszeit allein in Amerika. Was bleibt von Jobs und Ballmer und dem ganzen Tralala, ist die Geschichte von Ron Wayne, dem einstmals 10 Prozent von Apple gehörten. Diesen Anteil verkaufte er für 800 Dollar.

Was wird.

Rechtzeitig vor November hat die Bundesregierung ein offenbar erfolgreiches Rabattprogramm für den Personalausweis gestartet, der statt 8 bald 28,80 Euro kosten wird – nur junge Erstlinge sollen mit einem kostenlosen Ausweis und einem entsprechenden Lesegerät angefixt werden. Eigens zum Feiern dieses tollen Ausweispapiers macht sich unser Innenminister Thomas de Maizière auf ins wunderschöne Hannover, um auf einem Kongress zu erklären, warum Daten die neue Leitwährung sind, in harten Zeiten, in denen der Euro die 1:1-Kompatibilität mit dem US-Dollar anstrebt. Wenn Daten die neue Währung sind, fragt niemand mehr, ob 28,80 Euro ein phishchen viel sind.

Aber der 10. Juni birgt noch andere Schätzchen. Begeben wir uns in das Jahr 1823, als ein gewisser Johann Peter Eckermann notierte: "Mit Liebe schieden wir auseinander; ich im hohen Grade glücklich, denn aus jedem seiner Worte sprach Wohlwollen und ich fühlte, dass er es überaus gut mit mir im Sinne habe." Genau für uns Zeitgenossen ist es doch eine schöne Lektüre, wenn nach dem Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe nun dieser später als "Sekretär" verschlunzte Eckermann über seine Gespräche mit Goethe zu bloggen anfängt. Ja, so ein Blog lehrt den dynastischen Blick, den Frank Schirrmacher mit seinem Blick auf Ranicki 1.0 propagiert, der wie Eckermann ein Zeitgenosse Goethes gewesen sein könnte. Wozu das Internet doch alles gut ist. (anw)