Elf Dateien müsst Ihr sein

Das digitale Aufzeichnen und akribische Auswerten von Spielerdaten hat sich zum professionellen Standard im Fußball entwickelt. Die Ergebnisse der Hightech-Analyse wollen Vereine und Nationalverbände in spielentscheidende Vorteile ummünzen.

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Von
  • Stefan Brunn
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Das digitale Aufzeichnen und akribische Auswerten von Spielerdaten hat sich zum professionellen Standard im Fußball entwickelt. Die Ergebnisse der Hightech-Analyse wollen Vereine und Nationalverbände in spielentscheidende Vorteile ummünzen.

Über die zweite norwegische Liga ist Christofer Clemens nie hinausgekommen. Fußballerisch wäre der 38-Jährige für Schweini, Poldi & Co. nicht einmal als Wasserträger qualifiziert. Als das Team des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) letztes Wochenende zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Südafrika flog, war Clemens trotzdem als einer der unverzichtbaren Akteure mit an Bord. Er kann nämlich etwas wie kein anderer: ein Spiel lesen. Nicht wie Mesut Özil oder Per Mertesacker auf dem Platz, sondern mit einer Spezial-Software auf seinem Laptop. Eine solche Expertise kann heute den spielentscheidenden Unterschied zwischen annähernd gleich starken Mannschaften ausmachen. Wer weiß, dass der gegnerische Rechtsaußen nie mit links flankt und mit welchem Freistoßtrick seine Mannschaft schon dreimal erfolgreich war, der hat vielleicht den hauchfeinen Vorteil auf seiner Seite, der manchmal WM-Spiele entscheidet. Und niemand kennt solche Details besser als Spielanalysten wie Clemens.

Das Sammeln und akribische Auswerten von Spielerdaten aus Pflichtbegegnungen, Turnieren, dem Training und sogar den Ernährungsgewohnheiten hat sich in den letzten Jahren zu einem professionellen Standard im Fußball entwickelt. Überall werden Daten gesammelt, um den Erkenntnisgewinn aus ihnen in Verbesserungsmaßnahmen umzumünzen: Von den Sprintwerten des Stürmers und seiner Herzfrequenz über das metergenau koordinierte Verschieben der Viererkette bis hin zur kalorienprotokollierten Wahl des Menüs in der Kantine reicht das Feld. Zahlreiche Analyse-Werkzeuge mit teilweise etwas kryptischen Namen wie "Amisco", "IsoLynx", "SportsCode", "SportVAS" "SportsAnalytics" oder "Vis.track" konkurrieren miteinander.

Ihre Methoden unterscheiden sich, aber das Versprechen ist immer gleich: Wir machen die Mannschaftsleistungen noch einen Tick besser. Australien zum Beispiel, erster deutscher Gegner bei der WM am 13. Juni in Durham, schreibt schon seine WM-Teilnahme 2006 auch dem fleißigen Spiel- und Datenlesen seines Analysten Ron Smith zu. Der hatte Uruguay, den Gegner des letzten Qualifikationsspiels des Teams von Down Under, per Computerhilfe unter die Lupe genommen. Umgekehrt war das wohl nicht der Fall, mutmaßt Smith: "Die wussten vorher rein gar nichts von uns, das haben wir in den Medien gemerkt." Ergebnis: 4:2, Australiens Eintrittskarte für das WM-Turnier in Deutschland.

Die deutsche Nationalmannschaft gibt – ebenso wie die österreichische und viele europäische Topvereine – dem Analysesystem "Amisco" den Vorzug. Dieser Dienst, bei dessen Düsseldorfer Vertriebsfirma MasterCoach auch DFB-Scout Clemens hauptberuflich angestellt ist, erfasst sämtliche Bewegungen aller 22 Spieler, des Balls und des Schiedsrichters – und das sind nicht wenige: Bei 25 Messungen pro Sekunde kommen pro Spiel 4,5 Millionen Positionen und rund 3000 erfasste Ballkontakte zusammen. Die sogenannte Tracking-Methode, mit der Amisco Mensch und Spielgerät verfolgt, beruht auf Bewegungssensoren und Bilddaten, die von Kameras unterm Stadiondach aufgenommen werden. Das bedeutet allerdings, dass die Akteure zu Beginn der Auswertung auf dem Videomaterial erst mal von Hand zugeordnet werden müssen. Danach werden sämtliche Positionen der Spieler, des Balls und der Schiedsrichter von einer patentierten Tracking-Software anhand mehrerer Perspektiven der kalibrierten Kameras zusammengerechnet.

Obwohl viele Sportanalytik-Unternehmen "an den Türen der Vereine kratzen", wie Jens Urlbauer von MasterCoach sich ausdrückt, liefere nur seine Firma validierte Tracking-Daten von Bundesliga- und Länderspielen – also Ergebnisse, die nachträglich noch einmal überprüft wurden. Um an genaue Daten zu kommen, bedarf es nämlich einer manuellen Nachkontrolle: Besonders nach Zweikämpfen haben die Software-Systeme noch Mühe, die beteiligten Spieler in den Videoaufnahmen auseinanderzuhalten. Deshalb werden die Daten nach Spielschluss zu Produktionszentren nach Frankreich und Spanien gesendet.