Elf Dateien müsst Ihr sein

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Schon deshalb schließt er gegenüber der Technology Review kategorisch aus, dass die deutschen Betreuer dieses Mal im Elfmeterschießen einen Torwart mit einem iPod präparieren könnten (wie zuletzt in England geschehen): "Durch den Vorfall ist die FIFA aufmerksam geworden und wacht sehr sensibel über die Einhaltung der Regeln". Insofern werde es vermutlich eher beim Spickzettel bleiben. "Die einzige Alternative", so Clemens, "ist ein Laptop in der Kabine, wobei die FIFA bei einer Verlängerung den Gang in die Kabine nur unter besonderen Umständen wie bei Verletzungen oder zum Toilettengang zulässt."

Die technische Professionalisierung des Fußballs wird sich aber auch von der FIFA nicht aufhalten lassen. Nach der WM steht sogar eine neue Entwicklungsstufe der Spielanalyse bevor: Die Daten sollen sich selbst organisieren, eigens dafür geschaffene Werkzeuge die Spiele automatisch in Flanken, Schüsse, Eckbälle, Freistöße und Einwürfe zerlegen. Möglich wird das durch sogenannte "neuronale Netze", die Millionen von Positions-daten aus einem Fußballspiel in eine überschaubare Zahl von Situationen überführen. "Wenn die Tracking-Daten exakt genug sind, können wir das heute schon", sagt Prof. Dr. Daniel Memmert vom Institut für Kognitions- und Sportspielforschung der Deutschen Sporthochschule Köln. "Mit den Netzen machen wir in zwei Minuten das, wofür man heute noch mit manueller Arbeit acht Stunden braucht."

Alle Spielsituationen, die sich definieren lassen, würden von seinen neuronalen Netzen sicher erkannt und kategorisiert. Sie seien sogar in der Lage, Situationen zu simulieren: "Wenn eine Mannschaft zum Beispiel mit einer Raute im 4-4-2-System spielt, dann können wir ausprobieren, wie man gegen andere Systeme am meisten Bälle in den Strafraum bekommt", verspricht der Sportwissenschaftler. Noch allerdings hat die Sporthochschule ihre Methoden nicht in der Bundesliga unterbringen können – es fehlt noch an validen Tracking-Daten.

"Wir stehen aber in Verhandlungen", sagt Memmert, der überzeugt ist, dass neuronale Netze sich durchsetzen werden: "Das ist einfach schneller als Handarbeit." Außerdem ließen sich mit ihnen künftig sogar seltene Spielzüge, die zu Toren geführt haben, selektieren und nachahmen: zum Beispiel ein außergewöhnlicher Angriff oder ein überraschender Freistoß-Trick. Bis es so weit ist, müssen Memmert und Kollegen ihre neuronalen Netze noch gründlich austrainieren.

Dass sie schon bei der Vorbereitung auf die nächste Fußball-WM in Brasilien bei der deutschen Nationalmannschaft zum Einsatz kommen, ist also eher unwahrscheinlich. Aber um in Brasilien dabei zu sein, kommt es trotz aller raffinierten Software auch auf die Hardware der Profi-Kicker an. Und das sind immer noch Füße, Beine und Köpfe. (bsc)