Interview: Auswirkungen von Chinas US-Exportverbot auf die Rohstoffversorgung

Im Interview erklärt Rohstoff-Experte Siyamend Ingo Al Barazi mögliche Folgen von Chinas Rohstoff-Embargo gegen die USA für die deutsche und weltweite Industrie

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Flaggen der USA, China und Deutschland

(Bild: danielo/shutterstock.com / Bearbeitung: heise online)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

In der vergangenen Woche hatte China den Export von vier fĂĽr die Chip- und RĂĽstungsindustrie wichtigen Rohstoffen in die USA verboten, darunter Gallium, Germanium und Antimon. Das Handelsministerium in Peking begrĂĽndete den Schritt als Reaktion auf die jĂĽngsten US-Sanktionen gegen Chinas Halbleiterindustrie.

Brisant an dem chinesischen Exportverbot ist eine Klausel, die sich auch an Unternehmen in anderen Ländern richtet: Wie die New York Times berichtet, dürfen diese Unternehmen aus China bezogene Rohstoffe nicht an US-Firmen weiterleiten. China droht bei Zuwiderhandlung mit rechtlichen Konsequenzen.

Damit zwingt Peking Unternehmen weltweit, sich zwischen dem US-Markt und China als Zulieferer zu entscheiden. Bisher war China bei solchen Verboten für Drittländer zurückhaltend. Die Maßnahme könnte globale Lieferketten jedoch noch stärker spalten.

China dominiert den Abbau und die Verarbeitung der vier Rohstoffe sowie von Graphit, das ebenfalls von schärferen Exportkontrollen betroffen ist, die das Land im vergangenen Jahr eingeführt hatte.

Welche Auswirkungen das von China verhängte Rohstoff-Embargo gegen die USA auf die deutsche Wirtschaft haben könnte und wie es um Deutschlands Abhängigkeit von in China gewonnenen Rohstoffen steht, erläutert im Gespräch Diplom-Geologe Siyamend Ingo Al Barazi. Er leitet den Arbeitsbereich Rohstoffwirtschaft bei der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) innerhalb der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).

Siyamend Ingo Al Barazi leitet den Arbeitsbereich Rohstoffwirtschaft bei der Deutschen Rohstoffagentur (DERA.

(Bild: DERA)

heise online: Als China den Exportstopp für Gallium, Germanium und Antimon gegen die USA verhängt hat, ging ein Raunen durchs Internet, nur aus den USA selbst hörte man auffällig wenig. Ist diese Gelassenheit gespielt oder heißt das, dass die USA andere Quellen für die Rohstoffe haben?

Siyamend Ingo Al Barazi: Die chinesischen Exporte von Gallium und Germanium in die USA sind bei ausgewählten Warengruppen schon in den vergangenen Jahren rückläufig gewesen. Auch Deutschland war zunächst von den Exportkontrollen betroffen, die China im August 2023 auf Gallium und Germanium verhängt hat. In den folgenden Monaten hat das Land insgesamt sehr wenig beziehungsweise kein Material verlassen, was zu einer angespannten Versorgungslage und zu steigenden Preisen geführt hat. Eine Auswertung der Handelsdaten zeigt, dass sich der Handel mit China für Deutschland weitgehend normalisiert hat. China war auch für die USA ein wichtiger Handelspartner bei Gallium, Germanium und Antimon.

Bestimmte kritische Abhängigkeiten haben die USA aber frühzeitig erkannt und Maßnahmen zur Diversifizierung eingeleitet. Ein Beispiel dafür ist der Germanium-Weiterverarbeiter Umicore, der sowohl in den USA als auch in Belgien tätig ist. Umicore unterstützt im Kongo ein Projekt, um sich Material aus einem großen Schlackehaufen zu sichern, der wieder aufbereitet werden soll. Dies zeigt, wie wichtig und erfolgreich Diversifizierungsprozesse sein können. Die USA befinden sich z.B. bei Gallium in einer anderen Lage, da sie die Importe aus China bereits in den vergangenen Jahren reduziert hatten. Bei Germanium kamen im Zeitraum Januar 2023 bis September 2024 noch 61 Prozent der Gesamtimporte aus China. Weiteres wichtiges Lieferland war Belgien. Allerdings wird jetzt kein Material mehr in die USA exportiert, was besonders auch bei Antimon relevant ist, da China ein bedeutender Exporteur für die USA war.

Bedeutet das, dass das gegen die USA verhängte Exportverbot letztlich wirkungslos ist, weil das Land seinen Bedarf bereits durch Diversifizierung aus anderen Quellen decken können?

Nein, nicht ganz. China ist der Abstand wichtigste Produzent für diese drei Rohstoffe. Die Abhängigkeiten sind insgesamt sehr groß. China nutzt Exportkontrollen auch, um nicht nur weitere Rohstoffe wie Seltene Erden und Graphit zu regulieren, sondern auch um wertvolle Informationen über die Abnehmer zu sammeln. Durch diese Kontrollen werden Exporteure verpflichtet, detaillierte Informationen über die Empfänger der Rohstoffe anzugeben. Dies verschafft China Transparenz über die Abnehmerstruktur und würde es theoretisch ermöglichen, gezielt Sanktionen oder Verbote gegen einzelne Unternehmen zu verhängen. Diese Praxis sollte zu denken geben, da die betroffenen Rohstoffe teilweise in kritischen Anwendungen, wie der Verteidigungsindustrie, eingesetzt werden.

Waren die im letzten Jahr eingefĂĽhrten Exportkontrollen fĂĽr Deutschland direkt spĂĽrbar?

Ja, wir waren definitiv betroffen. Dies zeigte sich deutlich in den globalen Handelszahlen, da wir zwei bis drei Monate lang überhaupt kein Material aus China erhalten haben. In China gibt es eine Frist von etwa 45 Tagen für die Bearbeitung eines Antrags auf Exportlizenz. Diese Bearbeitungsdauer kann jedoch variieren – manchmal dauert es länger, manchmal geht es schneller. Nach dieser Phase kamen mit Zeitverzug wieder erste Lieferungen in Deutschland an, aber die Mengen waren zunächst geringer, insbesondere bei Germanium und Gallium. Erst im Laufe des Jahres 2024 begann sich die Situation zu normalisieren, und mittlerweile hat sich der Handel für Deutschland und Europa etwa dem Niveau vor den Exportkontrollen eingependelt.

Können Sie sagen, wie viel Gallium und Germanium Deutschland in etwa importiert? Nur um ein Gefühl für die Mengen zu bekommen?

Wir verfügen über ein Rohstoffinformationssystem (ROSYS), das hauptsächlich Produktionsdaten für verschiedene Rohstoffe sowie Handelsdaten abbildet. Diese basieren auf Informationen des Statistischen Bundesamtes. Zusätzlich nutzen wir kommerzielle Daten vom Global Trade Tracker, die wir jedoch nicht direkt einbinden dürfen, aber auswerten.

Mit dem interaktiven Rohstoffinformationssystem der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) lassen sich Produktionskapazitäten und Marktentwicklungen zu allen relevanten Rohstoffen analysieren.

(Bild: ROSYS/DERA)

Antimon haben wir im ersten Quartal 2024 insgesamt rund 60 Tonnen importiert, davon etwa 50 Tonnen aus China. Der Gallium-Markt ist kleiner, aber Deutschland importiert bedeutende Mengen: Im ersten Quartal 2024 waren es insgesamt 13 Tonnen Gallium, 5 Tonnen kamen aus China. Zum Vergleich, nach AnkĂĽndigung der Exportkontrollen im August 2023 kamen in Q3 und Q4 jeweils nur vier Tonnen nach Deutschland, davon weniger als eine Tonne aus China. In Q3/2024 betrugen die Gesamtimporte von Gallium, sowohl in Rohform als auch als Pulver, ĂĽber 15 Tonnen, wovon etwa 10 Tonnen aus China stammten.

Bei Germanium handelt es sich um einen noch kleineren Markt. Im ersten Quartal 2024 importierte Deutschland etwas ĂĽber eine Tonne, in Q2 knapp zwei Tonnen und in Q3 erneut rund eine Tonne. Etwa 30 bis 50 Prozent dieser Importe kamen aus China.

Können Sie erläutern, wozu beispielsweise Antimon typischerweise eingesetzt wird? Also, wer verarbeitet es in Deutschland und wofür wird es typischerweise eingesetzt?

In Deutschland wird Antimon hauptsächlich in Form von weiterverarbeiteten Zwischenprodukten wie Antimon-Oxid und Antimon-Trioxid verwendet. Diese Produkte finden vor allem als Flammschutzmittel Anwendung. Ebenso spielt Antimonmetall eine wichtige Rolle in der Munitionsherstellung. Ein bedeutendes Unternehmen in Belgien – Campine – verarbeitet ebenfalls Antimonoxid und -trioxid.

Wird Germanium und Gallium auch fĂĽr die RĂĽstungsindustrie gebraucht oder ist es fĂĽr die Halbleiter-Produktion gedacht?

Gallium ist ein klassisches Halbleitermaterial und spielt eine zentrale Rolle in der Chipindustrie sowie beim Aufbau von 5G-Netzen. Es findet auch in der Optoelektronik Verwendung. Germanium hat ebenfalls bedeutende Anwendungen, vorwiegend in Glasfasern, Infrarottechnik und optischen Linsen.

Angenommen, Deutschland würde auch mit so einem Export-Bann für diese Rohstoffe belegt. Wäre das problematisch oder könnte Deutschland ebenso wie die USA schnell andere Lieferanten finden, um sich zu diversifizieren?

Es ist schwierig, aber nicht unmöglich, Alternativen zu Gallium und Germanium außerhalb von China zu finden. Besonders angesichts der geopolitischen Spannungen sollten die Diversifizierungsbemühungen vorangetrieben werden. Gallium und Germanium werden als Beiprodukte gewonnen. Gallium wird etwa bei der Bauxitverarbeitung abgeschieden. Es gibt weltweit Bauxit-Lagerstätten mit höheren Gallium-Gehalten, die genutzt werden könnten, und die Investitionskosten für die Gallium-Gewinnung sind relativ gering. In Deutschland gab es bis 2016 eine Gallium-Produktion bei Aluminium Oxid Stade (AOS), und es bestehen etwa Projekte in Griechenland und Australien, die Potenzial für Gallium-Produktion bieten.

Viele Projekte wurden jedoch stillgelegt, als die Preise zwischen 2014 und 2016 sehr niedrig waren. Jetzt, da die Preise gestiegen sind, könnte sich die Produktion in anderen Ländern wieder lohnen. Das Problem ist jedoch die hohe Produktionskapazität und die vollen Lagerbestände in China.

Sollten sich die geopolitischen Spannungen beruhigen, könnten sich die Marktbedingungen normalisieren. Wenn Europa eine eigene Galliumproduktion aufbaut und der Markt dann wieder geflutet wird, könnten die Preise erneut sinken. Dieses Problem der Überkapazität betrifft nicht nur Gallium, sondern viele Rohstoffe. Strategisch sollte überlegt werden, ob bestimmte kritische Produktionskapazitäten in etwa Europa in Niedrigpreisphasen unterstützt werden könnten, um Abhängigkeiten zu vermeiden, ähnlich wie es die USA in bestimmten Bereichen tun.

Das ist perfide: Zuerst hängt man von einer Technologie ab und investiert viel Zeit und Geld, um etwas aufzubauen. Doch dann könnten die Anbieter plötzlich den Spieß umdrehen und mit Billigprodukten den Markt überschwemmen. Etwas Ähnliches haben wir ja in der Solarbranche erlebt, wenn auch aus anderen Gründen.

Ja, das stimmt. Zunächst wurde hier eine Infrastruktur aufgebaut und die Produkte waren nicht günstig. Doch mit dem Hochlauf im chinesischen Markt und konkurrenzlos günstigen Preisen wurden Wettbewerber verdrängt. Aufgrund von Lieferengpässen, besonders im Umfeld der Corona-Pandemie, wurde deutlich, dass es sinnvoll wäre, wieder eigene Produktionskapazitäten aufzubauen. Dennoch bleibt es ein ständiges Auf und Ab, und es scheint schwierig, sich aus diesen Abhängigkeiten zu lösen, egal welche Maßnahmen ergriffen werden.

China hat ein großes Interesse daran, die Abhängigkeit anderer Länder aufrechtzuerhalten, um den Markt zu kontrollieren. Dies zeigt sich zum Beispiel auch im Bereich der Lithium-Ionenbatterien. Durch ihre strategischen Investitionen und Subventionen hat China in vielen eine marktbeherrschende Stellung aufgebaut, auch bei vielen weiterverarbeiteten Produkten.

China verfolgt einen umfassenderen strategischen Ansatz, der sowohl technologische als auch wirtschaftliche Aspekte einbezieht. Allerdings stellt sich die Frage, wie lange China diese massiven Subventionen angesichts interner Herausforderungen, wie dem derzeitigen Einbruch des Bau- und Immobiliensektors, aufrechterhalten kann.

Wie können Länder und Unternehmen effektiv die Abhängigkeit von bestimmten Regionen in der globalen Chip-Lieferkette verringern, um sich gegen geopolitische Spannungen und mögliche Handelskonflikte abzusichern?

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Es ist wichtig, die gesamte Lieferkette zu betrachten, speziell bei Rohstoffen wie Gallium und Germanium. Auch der Anfang der Wertschöpfungskette muss bei diesen hohen Abhängigkeiten betrachtet und berücksichtigt werden. Eine möglichst diversifizierte Lieferkette sollte hier im Fokus stehen.

Die USA versuchen, ihre Lieferketten zu lokalisieren und strategisch aufzubauen, oft durch Förderprogramme, während Europa und Deutschland hier derzeit noch weniger strategisch vorgehen.

Ein Exportverbot für weitere Länder könnte die globalen Lieferketten erheblich stören, da große Produktionskapazitäten betroffen wären. Unter der Trump-Regierung wurde bereits ein Bewusstsein für mögliche Handelskonflikte geschaffen, sodass Unternehmen in den USA nach Alternativen suchen, um sich weniger von China abhängig zu machen. Es gibt Bestrebungen und Projekte, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren, aber diese befinden sich noch im Entwicklungsstadium.

(vza)