Verletzungen bei Lagerarbeitern: Amazon ignorierte interne Empfehlungen
Interne Untersuchungen haben Amazon nahegelegt, die Produktionsquoten zu lockern, um Verletzungen zu mindern. Doch Führungskräfte des Konzerns lehnten dies ab.
(Bild: Eric Broder Van Dyke/Shutterstock.com)
Der US-Konzern Amazon hat interne Empfehlungen abgelehnt, die Produktivitätsquoten seiner Lagerarbeiter zu senken, um Verletzungen einzudämmen. Das geht aus einem am Sonntag veröffentlichten Bericht eines US-Senatsausschusses hervor. Arbeitnehmervertreter bemängeln seit Längerem, dass Amazons strenge Produktionsquoten zu hohen Verletzungsraten bei den Lagerarbeitern des Online-Händlers führen. Amazon hat die Kritik wiederholt zurückgewiesen.
Aus dem 160-seitigen Bericht des Ausschusses für Gesundheit, Bildung, Arbeit und Renten im US-Senat, der vom demokratischen Senator Bernie Sanders aus Vermont geleitet wird, geht nun hervor, dass Amazon selbst den Zusammenhang zwischen seinen Quoten und erhöhten Verletzungsraten dokumentiert hat. Der Bericht verweist auf zwei von Amazon durchgeführte interne Untersuchungen über die Ursachen von Verletzungen in Lagerhäusern, nachdem diese im Jahr 2019 stark angestiegen waren. Demnach empfahl das Gesundheits- und Sicherheitspersonal von Amazon, die Durchsetzung der Produktionsquoten zu lockern, um die Verletzungsraten zu senken. In einer Amazon-Studie wird empfohlen, das Unternehmen solle eine Software einsetzen, um das Arbeitstempo der Mitarbeiter zu verfolgen und zusätzliche Pausen vorzuschreiben. Dies soll die Anzahl der wiederholten Bewegungen begrenzen und die Mitarbeiter unter einem kritischen Grenzwert halten. Leitende Angestellte von Amazon aber lehnten dies dem Bericht zufolge ab, offenbar aus Sorge über die Auswirkungen auf die Unternehmensergebnisse. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass Amazon "Verletzungen seiner Mitarbeiter als Kosten des Geschäftsbetriebs" akzeptiert hat. Die Verletzungsraten bei Amazon sollen fast doppelt so hoch sein wie im Branchendurchschnitt.
"Die schockierend gefährlichen Arbeitsbedingungen in Amazons Lagerhäusern, die in diesem 160-seitigen Bericht aufgedeckt werden, sind mehr als inakzeptabel", zitiert die New York Times Sanders. "Amazons Führungskräfte haben sich wiederholt dafür entschieden, Gewinne über die Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeiter zu stellen, indem sie Empfehlungen ignorierten, die die Zahl der Verletzungen erheblich reduzieren würden."
Amazon weist Feststellungen des Ausschusses zurĂĽck
In einem am Montag veröffentlichten Blogbeitrag weist Amazon den Inhalt des Berichts zurück und wirft dem Ausschussvorsitzenden Sanders Irreführung der US-amerikanischen Öffentlichkeit vor. "Obwohl wir Senator Sanders und seine Arbeit als Vorsitzender des Senatsausschusses für Gesundheit, Bildung, Arbeit und Renten respektieren, hat der Senator einen weiteren Bericht herausgegeben, der sich auf falsche Fakten stützt und selektive, veraltete Informationen enthält, denen der Kontext fehlt und die nicht auf der Realität beruhen", heißt es in der Stellungnahme.
Amazon hat nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren Hunderte Millionen US-Dollar für die Verbesserung der Sicherheit ausgegeben, was zu einem Rückgang der Verletzungsraten geführt habe, wie das Unternehmen erst im März in einem Blogpost ausführte. Auch hat das Unternehmen nach Angaben der New York Times lange behauptet, keine strengen oder "festen" Quoten zu haben, sondern lediglich Leistungsziele, die über längere Zeiträume hinweg bewertet werden und Faktoren berücksichtigen, die über die reine Produktivität hinausgehen. Laut New York Times beklagen Amazon-Mitarbeiter jedoch seit Jahren, dass sie verwarnt oder disziplinarisch belangt werden, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Aufgaben pro Stunde nicht erledigen. Der Bericht des Senatsausschusses bestätigt dies. Auch stellt der Bericht fest, dass Amazon es seinen Beschäftigten erschwerte, bei Verletzungen eine angemessene medizinische Versorgung zu erhalten. Auch diesen Vorwurf weist Amazon zurück.
Die Untersuchung des Senatsausschusses empfiehlt die Verabschiedung einer Reihe von Gesetzesentwürfen, die Amazon unter anderem dazu zwingen würden, Produktivitätsquoten am Arbeitsplatz offenzulegen und die Sanktionen und Durchsetzungsbefugnisse der Aufsichtsbehörden zu stärken.
Streikdrohung in Amazon-Lager in Staten Island
Derweil haben die Beschäftigten eines Amazon-Lagers in Staten Island im US-Bundesstaat New York am vergangenen Freitag für einen Streik gestimmt, sollte das Unternehmen nicht bereit sein, Termine für Vertragsverhandlungen festzulegen. Das berichtet das US-Tech-Portal The Verge. Die Beschäftigten verlangen von Amazon, ihre Gewerkschaft anzuerkennen und Verhandlungen über bessere Arbeitsbedingungen und Löhne zu führen. Sie hatten Amazon aufgefordert, bis zum gestrigen 15. Dezember einem Verhandlungstermin zuzustimmen, andernfalls riskiere das Unternehmen einen Streik der mehr als 5.500 Beschäftigten in seinem Auslieferungszentrum auf Staten Island inmitten der Weihnachtszeit.
Die für die Überwachung und Durchsetzung der Arbeitsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zuständige unabhängige US-Bundesbehörde, das National Labor Relations Board, behauptete im Jahr 2022, dass Amazon „wiederholt gegen das Gesetz verstoßen hat, indem es Arbeiter in Staten Island, die versuchten, sich gewerkschaftlich zu organisieren, bedrohte, überwachte und verhörte“, so The Verge. Die Beschäftigten des Amazon-Lagers in Staten Island stimmten damals für eine gewerkschaftliche Organisierung und traten Teamsters bei, einer der größten US-Gewerkschaften. Amazon wiederum erkennt die Gewerkschaften nicht an.
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Auch in Deutschland gärt es unter Amazon-Angestellten. Ende November protestierten mehrere Hundert von ihnen aus ganz Deutschland mit einem Warnstreik und einer Kundgebung im hessischen Bad Hersfeld gegen die aus ihrer Sicht unfairen Arbeitsbedingungen und die Tariflosigkeit bei dem Unternehmen. Es gehe um "gute und gesunde Arbeit", Mitbestimmung und einen rechtssicheren Tarifvertrag, erklärte Verdi-Vorstandsmitglied Silke Zimmer auf der Kundgebung. Nach Angaben von Verdi berichten Amazon-Beschäftigte von einem enormen Leistungsdruck, einer erschöpfenden Arbeitsverdichtung sowie Überwachung am Arbeitsplatz. Dies erzeuge ein Klima der Angst, insbesondere in den Logistikzentren.
(akn)