Filmindustrie lässt "Raubkopierer im Knast Probesitzen"

Im Rahmen der Kampagne "Raubkopierer sind Verbrecher" können sich Unerschrockene in vielen Städten eine Gefängniszelle von innen anschauen -- Kritiker empören sich über die "Terrorisierung" der Verbraucher.

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Die Initiative Zukunft Kino Marketing (ZKM) geht mit ihrer heftig umstrittenen Kampagne "Raubkopierer sind Verbrecher" während des Sommers auf große Überlandfahrt. "Knast on Tour" hat die Interessensvertretung der Filmindustrie ihren neuen Marketing-Gag zum "Schutz des Originals" genannt. Im Rahmen der Aktion, die am heutigen Mittwoch am Potsdamer Platz in Berlin startete und über den August hinweg in den Städten Hamburg, Essen, Düsseldorf, Köln, Frankfurt und München Station machen wird, können Unerschrockene Gefängnisluft schnuppern. Dafür hat die Initiative eine Knastzelle nachgebaut, die spartanisch mit einem Feldbett und einer Toilette bestückt ist. Sie wird von mehreren "Sicherheitsleuten" in Cop-Uniformen bewacht. In dem "authentischen" Umfeld sollen Interessierte "fünf Minuten im Leben eines Raubkopierers nachempfinden", melden die Kampagnenmacher.

Johannes Klingsporn, Geschäftsführer des Verbands der Filmverleiher, will Interessierte "fünf Minuten im Leben eines Raubkopierers nachempfinden" lassen [Klicken für vergrößerte Ansicht]

Johannes Klingsporn, Geschäftsführer des Verbands der Filmverleiher, sieht das ungewöhnliche Angebot als "Einladung zum Dialog". "Natürlich reagieren viele Leute erst einmal verstört", erklärte er gegenüber heise online. "Aber das Schöne ist, dass hier Schulklassen und Touristen vorbeikommen und man sofort ins Gespräch kommt. Die Leute wollen Fotos machen und die meisten entwickeln ein Verständnis für unsere Motivation." Neben Wasser und Brot sowie Informationsmaterial würden ihnen teils Kinogutscheine überreicht. Pünktlich zum Tournee-Start tauchten heute Vormittag aber auch etwa 15 Vertreter des Netzwerks Neue Medien (NNM) und der Grünen Jugend am Potsdamer Platz aus, entrollten Transparente mit Aufschriften wie "Rettet die Privatkopie" oder "Legalisiert Filesharing" und skandierten Sprechchöre. Nach Angaben der Veranstalter der unangemeldeten Mini-Demo stieß der Protest auf wenig Entgegenkommen bei den Kampagnenmachern: "Die haben gleich die Polizei gerufen", erklärt Markus Beckedahl vom NNM das abrupte, mit einem Platzverweis endende Aus für die Gegenkundgebung.

Dass die gesamte Kampagne überzeichnet und damit teils aufgebrachte Reaktionen auslöst, sind sich die Macher bewusst. Sie sehen dies als Teil ihrer Strategie. "Die Zuschauer sollen erschrocken sein", erläutert Klingsporn. Nur so würden sie sich mit dem Urheberrecht intensiv auseinandersetzen. "Die Kern-Message, dass wir jeden zur Rechenschaft ziehen, der uns beklaut, kommt absolut an", verteidigt der ZKM-Vertreter den Ton der drei Spots und der fünf Plakate. Den Werbedruck hat die Initiative seit kurzem deutlich verstärkt; so werden neben den Kinogängern inzwischen auch Bahnreisende und das Publikum der Privatsender mit den Botschaften konfrontiert. Kritik an der zumindest missverständlichen Abstempelung von Tauschbörsen-Nutzern als Schwerverbrecher, wie sie unter anderem der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft geübt hat, lässt Klingsporn nicht gelten: "Natürlich sind nicht Verbrecher im strafrechtlichen Sinn gemeint", stellt er klar. Dies werde auf der Homepage) der Initiative "viel differenzierter" dargestellt als in den Spots.

Die Kampagne "Raubkopierer sind Verbrecher" der Initiative Zukunft Kino Marketing stößt nicht auf ungeteilte Zustimmung [Klicken für vergrößerte Ansicht]

"'Raub' ist die Entwendung einer Sache unter Einsatz oder Androhung von körperlicher Gewalt", stößt sich Volker Grassmuck von der Initiative privatkopie.net dagegen an den Aufhängern der Kampagne. Filesharer würden der Filmindustrie keine Gewalt antun. Wer trotzdem Kampfbegriffe wie "Raubkopierer" und "Verbrecher" verwende, wolle terrorisieren, also im Wortsinn "Angst und Schrecken verbreiten". Dabei täte Aufklärung über die Rechte Not, "die natürlich auch die Informationsnutzer haben", betont der Forscher. Umso bedauerlicher sei, dass Justizministerin Brigitte Zypries gerade äußerte, es gebe kein Recht auf die Privatkopie. Dabei habe das neue Urheberrechtsgesetz es in bestimmten Fällen doch sogar gegen den Einsatz von Kopierschutzverfahren einklagbar gemacht.

Auch das Netzwerk Neue Medien wehrt sich "gegen eine Kriminalisierung breiter Bevölkerungsschichten, die Filme oder Musik für den privaten, nicht-kommerziellen Gebrauch kopieren oder aus dem Internet herunterladen". Der mobile "Knast" sei ein "weiterer lächerlicher Versuch, jungen Menschen zu suggerieren, dass für das private Kopieren fünf Jahre Haft droht. "Juristisch gibt es dafür keine Handhabe", stellt Beckedahl klar. Gemeinsam mit anderen Gruppierungen wie attac und zahlreichen Forschern und Verbandsvertretern fordert er die Einführung einer pauschalen "Content-Flatrate", um die Staatsanwaltschaft beim Bereich Filesharing außen vor zu halten und einem flächendeckenden Kontrollsystem mit Digital Rights Management (DRM) entgegenzuwirken.

Derlei Forderungen stoßen bei Film- und Musikindustrie auf taube Ohren. Klingsporn kündigte vielmehr an, dass die ZKM die Kampagne im Herbst mit neuen Spots fortsetzen wolle. An der zentralen Botschaft werde sich nichts ändern, allenfalls würden Themen wie der "Wert der Kreativität" sowie "Jugendschutz" stärker mit in den Vordergrund gerückt, sagte er. Begleitend werde die Filmwirtschaft ihre internen Sicherheitsmaßnahmen wie die Überprüfung von Filmvorführern und Cuttern sowie den Einsatz von Aufpassern in Kinos, die mit Nachtsichtgeräten ausgerüstet sind, weiter verstärken. Angesichts der vereinten Maßnahmen, bei denen auch das harte Vorgehen der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) eine wichtige Rolle spiele, habe die Qualität der Raubkopien "stark abgenommen". Zudem seien die illegalen Filmdateien "deutlich später im Netz".

Zur Auseinandersetzung um das Urheberrecht, Raubkopien und die Privatkopie siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)