Kommentar – Des Karls neue ePA: Märchenstunde im Gesundheitsministerium
Die ePA für alle kommt ohne den versprochenen Mehrwert, noch dazu unsicher. Ehrliche Kommunikation? Fehlanzeige. Schluss mit den Märchen, fordert Marie Koch.
Mit dem Start der elektronischen Patientenakte gehen viele Versprechen einher. Die Daten seien sicher und geschützt, auch vor Wasserschäden. Tatsächlich fühlen sich viele im Regen stehen gelassen.
(Bild: heise online / mack)
Noch kurz vor dem Start der "elektronischen Patientenakte für alle" hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach vor Pressevertretern an einem Patienten versucht, die Vorteile einer elektronischen Patientenakte zu demonstrieren. Ob ihm das wirklich gelungen ist? Unwahrscheinlich. Bei dem Schauspiel ließ sich der Doktor dabei filmen, wie er die mit einer analogen Blutdruckmanschette gemessenen Daten abliest und sie in ein Praxisverwaltungssystem einträgt. Von der neuen elektronischen Patientenakte jedoch keine Spur und auch in den Testregionen wird sie zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu finden sein.
Die neue Patientenakte soll Versicherte mündig machen, sagt Lauterbach. Gleichzeitig entmündigt er die Versicherten, indem er ihnen die ePA automatisch aufdrückt – sofern sie nicht widersprechen. Ein mündiger Patient hätte sich selbst für eine ePA entscheiden können, aber diese Entscheidung wurde ihm abgenommen. Stattdessen betont das Bundesgesundheitsministerium, man könne die ePA auch ohne App nutzen – fragen Sie dafür am besten Ihren Arzt oder Apotheker. Um die ePA tatsächlich selbst "aktiv" nutzen zu können, müssen Versicherte sich registrieren und die App ihrer Krankenkassen herunterladen. Falls die App eines Tages läuft, kann sie höchstwahrscheinlich erstmal nicht mehr als die bisherige.
Warnungen gab es schon lange
Lauterbach will sich für die ePA feiern lassen, mehr noch als für das E-Rezept und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Getreu dem Motto "koste es, was es wolle" oder "nach mir die Sintflut" – aber macht nichts. Die Gesundheitsdigitalisierung hat ja noch keine Milliarden verschlungen und die Versicherten erhalten derzeit auch keine Informationsschreiben von ihren Krankenkassen zu den bislang höchsten Beitragssteigerungen – Ironie off. Früh genug hatte die Industrie darauf aufmerksam gemacht, dass die Umsetzungszeit zu kurz ist und die ePA zum Start kein fertiges Produkt sein wird.
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Wie lange er sich noch feiern lassen kann, bis die Maskerade auffliegt und die Märchen auserzählt sind? Unklar. Wie so vieles. Insbesondere der Nutzen der ePA – zumindest im ersten Jahr – und auch der Nutzen der ePA-Daten für die Forschung. "Die Daten werden nie von Unternehmen, sondern von Wissenschaftlern ausgewertet", verspricht Lauterbach dazu. Wieder eines von vielen Versprechen, die der Minister nicht halten kann. Und es kann ihm als privat Versicherter auch egal sein, denn bislang ist die Weitergabe zu Forschungszwecken nur für gesetzlich Versicherte geplant.
Vertrauen aufs Spiel gesetzt
Immer wieder betont er, wie wichtig Vertrauen für die Vorhaben rund um die ePA ist. Doch an mehreren Ecken lauern Gefahren. Noch rühmen sich die Krankenkassen für die bislang unter den Erwartungen liegende Widerspruchsquote, während sich gleichzeitig viele Versicherte nicht ausreichend aufgeklärt fühlen und es wohl auch nicht mehr werden. Ist das Vertrauen erst einmal weg, ist es schwierig, es zurückzugewinnen. Darüber sind sich alle einig. Dennoch wird das Vertrauen aufs Spiel gesetzt, aller Warnungen von Sicherheitsexperten und Datenschützern zum Trotz. Statt sie mehr einzubeziehen, wurden sie entrechtet. Erst nach Vorführung der Sicherheitslücken wird gehandelt.
Um seine Ziele nicht zu gefährden, beschwichtigt der Minister. Lauterbachs voreiliges Versprechen absoluter Sicherheit war naiv und wurde schnell zurückgenommen. Denn inzwischen ist auch bei Lauterbach angekommen: 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht. Das Bundesgesundheitsministerium sollte alles daransetzen, unsere sensibelsten Daten bestmöglich zu schützen, statt unhaltbare Versprechungen zu machen. Stattdessen darf man gespannt sein, was noch auf uns zukommt.
(mack)