"Hubble-Spannung wird Hubble-Krise": Neue Messung vertieft mysteriöse Diskrepanz
Für die Geschwindigkeit, mit der sich das Universum ausdehnt, werden nicht zu vereinbarende Werte ermittelt. Nun vertieft sich die mysteriöse Diskrepanz noch.
Der Coma-Galaxienhaufen
(Bild: CTIO/NOIRLab/DOE/NSF/AURA Image Processing: D. de Martin & M. Zamani (NSF NOIRLab))
Ein Forschungsteam hat anhand neuer Daten einmal mehr die Ausbreitungsgeschwindigkeit des lokalen Universums gemessen und einen Wert erhalten, der eine mysteriöse Diskrepanz noch weiter vertieft. Die sogenannte "Hubble-Spannung" werde damit jetzt zu einer "Hubble-Krise", meint der Physiker Dan Solnic, der die Analyse geleitet hat. Damit meint er, dass die Werte für die Expansionsgeschwindigkeit des Universums im nahen und fernen Kosmos nun noch weiter auseinanderzudriften scheinen. In gewisser Weise bedeute das, "dass unser kosmologisches Modell kaputt sein könnte", ergänzt Solnic.
Besonders präzise Grundlage
Wie die Duke University aus den USA erläutert, haben Solnic und sein Team die Daten des Dark Energy Spectroscopic Instrument (DESI) genutzt, um die Distanz zu einem der uns nächsten Galaxienhaufen noch präziser zu vermessen, als das bislang möglich war. Das DESI vermisst dutzende Millionen Galaxien für eine riesige 3D-Karte des Universums. Solnic hat demnach erkannt, dass dessen Daten auch dazu genutzt werden könnten, um die Entfernung zum sogenannten Coma-Galaxienhaufen besonders präzise zu ermitteln. Deshalb habe er alles stehen und liegen gelassen, um rund um die Uhr daran zu arbeiten, sagt der Physiker.
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Anhand von 12 Supernovae des Typs Ia konnten er und sein Team dann berechnen, dass der Galaxienhaufen 320 Millionen Lichtjahre entfernt ist – ziemlich genau in der Mitte der bisher zusammengetragenen Werte. Auf Basis dieser präzisen Distanz im vergleichsweise nahen Universum konnte das Team dann die sogenannte kosmische Entfernungsleiter neu kalibrieren und kam für die sogenannte Hubble-Konstante auf einen Wert von 76,5 km/sec/Mpc. Das liegt noch einmal nicht unerheblich über den bisher für das lokale Universum ermittelten Werten und damit noch deutlicher über dem besonders präzisen Wert, den das Weltraumteleskop Planck für das frühe Universum ermittelt hat (etwas über 67 km/sec/Mpc).
Mysteriöse Diskrepanz beschäftigt die Kosmologie
Die Hubble-Konstante (H0) ist eine fundamentale Größe der Kosmologie. Der Wert weist aus, mit welcher Geschwindigkeit sich ein Objekt in einer Entfernung von einem Megaparsec (3,26 Millionen Lichtjahre) allein aufgrund der Expansion des Universums von uns entfernt (die Andromeda-Galaxie ist beispielsweise etwa 0,89 Megaparsec von uns entfernt). Erstmals wurde die Konstante von dem US-Astronomen Edwin Hubble berechnet, dessen Namen sie inzwischen trägt. Obwohl die Messungen in den vergangenen Jahren immer genauer wurden, lieferten sie keinen einheitlichen Wert. Stattdessen hat sich eine mysteriöse Diskrepanz herausgeschält, die zu den derzeit spannendsten Fragen der Kosmologie geworden ist.
Die jetzt in den Astrophysical Journal Letters veröffentlichte Arbeit von Solnics Team unterstreiche nun den sich längst abzeichnenden Eindruck, dass die Ursache der "Hubble-Spannung" in den Modellen selbst liegt, schreibt die Universität. "Wir sind an einen Punkt gekommen, an dem wir die Modelle, die wir seit zweieinhalb Jahrzehnten benutzen, richtig unter Druck setzen und erkennen, dass die Dinge nicht passen", meint Solnic. Was dabei herauskommt, könne unsere Vorstellung vom Universum verändern, "und das ist aufregend". Die Kosmologie berge noch viel Überraschungen, freut sich der Physiker.
(mho)