Reise zu Sony: Wo die scharfen Kameras wohnen

In Yokohama hat Sony sein Imaging-Headquarter. Hier tüftelt man an Foto- und Videoapparaten mit wunderlichen Namen wie Alpha A1 II und lichtstarken Objektiven.

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Sony City Minatomirai

Sony City Minatomirai: Wo die Alpha-Energie entsteht.

(Bild: Ben Schwan)

Lesezeit: 9 Min.
Inhaltsverzeichnis

Sofort nach Betreten des Raumes im Hochhaus in der Sony City in Yokohama, in dem ein Dutzend Mitarbeiter von Sony Imaging sitzen, oute ich mich als freundlicher Dilettant aus Deutschland. Nein, ich habe nicht schon mit zwölf Jahren eine Nikon besessen, es reichte höchstens für eine Kompaktkamera mit diesen sich selbst zerstörenden Blitzzellen, die mir mein Vater überließ. Und auch heute noch verzweifle ich an den komplexen Menüs meiner FX30 oder A7 IV, verwechsele Blende mit Belichtung, zumal ich ja alles auf Englisch eingestellt habe.

Dass ein in Millimetern größeres Objektiv weniger Bild erfasst oder warum eine "offene Blende" bedeutet, dass der Bildhintergrund unschärfer wird, will mir nicht in den Kopf. Und dennoch üben sowohl Kameras als auch Objektive einen enormen Reiz auf mich aus, besonders im Zusammenhang mit Video. Es ist alles so herrlich physisch und bis zu einem gewissen Grad entschleunigt, wenn ich es mit den sterilen Bildsensoren meines iPhones vergleiche, die viele Menschen alle paar Minuten zur Erstellung komplett unnötiger Selfies verwenden, wenn sie in einer neuen Stadt unterwegs sind.

Das Sony-Team, viele davon aus dem Marketing, aber auch zwei Ingenieure, die an berühmten Produkten gearbeitet haben, ist freundlicherweise milde mit mir. Als ich den äußerst aufmerksamen Frauen und Männern kurz meine persönliche Sony-Geschichte erzähle, die nicht mit einem Walkman, sondern mit einem MSX-Rechner von 1984 begann, habe ich sie ohnehin auf meiner Seite. Es geht sogar ein leises, ehrfurchtsvolles Raunen durch den Saal: Ja, das waren noch Zeiten!

Schon die Anreise war spannend. Wer zu Sonys Kamerahauptquartier möchte, muss zunächst wissen, wo das denn sitzt. Es befindet sich nämlich nicht etwa in der Mitte der japanischen Hauptstadt Tokio in Chiyoda, Marunouchi oder Nihonbashi. Stattdessen muss man eine kleine Weltreise in die benachbarte Provinz Kanagawa unternehmen, wo sich der Sitz der Optikabteilung im Stadtteil Minato Mirai ("Hafen der Zukunft") von Yokohama befindet. Es ist quasi der zweite Teil des Sony Hauptquartiers in Minato (auf Deutsch ebenfalls "Hafen", dieses Mal ohne den Zusatz "Zukunft") in Tokio selbst.

45 Minuten war ich von Shinjuku unterwegs, fuhr mit einem einzigen Zug, einem Through-Train, der drei verschiedene Netze durchquert, von U-Bahnhof direkt zu U-Bahnhof. Kommt man aus der Station, befindet man sich in einer beeindruckenden Hochhauskulisse, die aber viel begrünten Platz zwischen den Gebäuden lässt. Hier sitzt nicht nur Sony Imaging mit weiteren Abteilungen, sondern auch Fujifilm (direkt daneben) oder Yamaha zeigen Präsenz, ebenso Nissan, die Bahngesellschaft Keikyu oder der Kosmetikkonzern Shiseido. Man hat hier Landgewinnung betrieben und etwas ganz Neues geschaffen, das frisch und modern wirkt, eine eigene Welt im Vergleich zum oft enger bebauten Tokio. Yokohama, das Japans einst wichtigster Zugang zur Welt war, zeigt sich hier von seiner besten Seite.

Ich bin zusammen mit meiner Redaktionsassistentin Maya hier, um etwas mehr über Sonys Arbeitsweise bei den Kameras zu erfahren. Außerdem darf ich mir zwei Ende letzten Jahres auf den Markt gekommene Produkte näher ansehen: die Alpha A1 Mark II und das Zoomobjektiv FE 28 - 70 mm F2 GM. Sony Deutschland hatte mir den Termin während eines länger geplanten Tokioaufenthalts freundlicherweise kurzfristig ermöglicht.

Besuch bei Sony Imaging in Yokohama (15 Bilder)

Bahnhof unter der Sony City in Yokohama

Hier kommt man auch direkt von Tokio hin. (Bild:

Ben Schwan

)

Beide Geräte sind ganz vorne dabei auf ihrem Gebiet. Würde man sie mir in die Hand drücken, wüsste ich zunächst nicht, was ich mit ihnen anfangen soll. Okay, eine A1 II ist auch nur eine Alpha, sage ich mir, als ich die 7499 Euro teure Kamera in meinen Händen wiege. Und tatsächlich ist die Bedienung so, wie man es von Sony gewohnt ist – nur alles etwas besser und reichhaltiger. Der 50,1-Megapixel-Sensor ist ein Traum. Und in Sachen KI-Objekterkennung hat Sony hier alles hineingepackt, was seine Forschungsabteilung aktuell so in petto hat. Wie üblich dürfte die Technik – darunter eine um 30 Prozent verbesserte Augenerkennung und ein AF, der Geschwindigkeitsänderungen eines Motivs erkennen kann – nach und nach in den billigeren Modellen landen. Die A1 II ist und bleibt der Showcase, die Leica unter den Alphas, auch wenn es meiner Ansicht nach verblendete Kritiker gibt, die meinen, außer dem Vier-Wege-Display habe man das doch alles "in Software" umsetzen können.

Für mich wäre ein Kauf der A1 II jedoch auch bei unendlich Geld nicht sinnvoll. Ich benötige die hohe Auflösung und die Geschwindigkeit nicht, warte lieber darauf, bis es zum Trickle Down der KI-Funktionen (vielleicht) in eine A7 V kommt. Beim FE 28 - 70 mm F2 GM, aktueller Sony-Preis 3599 Euro, könnte ich hingegen schwach werden, sollte es einmal im Angebot sein. Dass es Sony gelungen ist, ein solches Zoom-Objektiv über den gesamten Bereich der Brennweite mit einer Blendenzahl von 2 auszustatten, ist ein kleines Wunder. Und dabei wiegt das Ding nur 918 Gramm. Der große Wettbewerber Canon hat zwar einen Konkurrenten am Start, doch wirkt der mit seinen 1,43 kg Gewicht bei etwas schlechterer Schärfe wie ein Prototyp. Was mich stört am F2 GM ist höchstens, dass es Sony nicht in Japan herstellt, sondern in Thailand, wie fast seine gesamte Kameratechnik, die aus China abgezogen wurde.

Die beiden Ingenieure, die unserer Präsentation lauschen, berichten auf Nachfrage aus ihrem eigenen Leben. Der eine der beiden benötigt primär viel Auflösung, denn er fotografiert fast jeden Tag seine Kinder. Der andere liebt die Tierfotografie, hat sich auf Vögel spezialisiert, will schnellen Autofokus. Da sage noch einer, die Leute in Japan nähmen ihre Arbeit nicht mit nach Hause. Atsushi Ueda, Vize-General-Manager im Sony-Imaging-Marketing und unser Gastgeber heute, betont die Unterschiede zwischen der Nutzung einer Sony und den Schnappschüssen mit einem Smartphone. "Die Leute nutzen ihr Mobiltelefon wie eine Art Aufnahmegerät. Unsere Alpha dient hingegen dazu, den Moment zu erfassen, eine Emotion oder ein einschneidendes Erlebnis." Auch hier trifft das Thema Entschleunigung auf Technik.

Sony Imaging hat massiv davon profitiert, dass das Creator-Segment boomt. Eigentlich könnten die vielen YouTuber, Instragram-Fotografen oder TikTok-Online-Steller ja einfach die Good-enough-Fotosensoren in ihren iPhones oder Android-Smartphones nutzen. Doch man wächst mit den Aufgaben. Und so greifen die Leute dann anfangs zu einer kleinen Sony-Vlog-Kamera, erzählen Ueda und seine Mitarbeiter, und steigen dann langsam über die günstige APS-C-Kamera zur Vollformat Alpha auf. Ging mir ja ganz genauso. Mittlerweile habe ich sogar die neuen 1-Zoll-4K-Camcorder entdeckt.

Was ich bei meinem Sony-Besuch auch lerne, ist der strategische Ansatz, mit den Produkten wirklich in die Breite zu gehen. Natürlich verzettelt sich das Unternehmen dabei auch schon mal. So teile ich dem Marketingteam meine Frustration darüber mit, dass Kameras zu selten Updates bekommen (auch ältere Profimodelle) und die iPhone- und Mac-Apps wie Imaging Edge, die das Set-up, die Bedienung und die Weiterverarbeitung ja erleichtern sollten, zu unübersichtlich und schwer zu bedienen sind. Teilweise haben wir es dabei auch mit japanischem Funktionswahn zu tun, wo immer noch mehr in ein Gerät hineingestopft wird, Featurelisten abgearbeitet werden müssen. Doch immerhin wird das in letzter Zeit besser. Als ich meine A7 IV aus der Verpackung nahm und die iPhone-App heruntergeladen hatte, ging alles ganz schnell, inklusive des ersten Firmware-Updates. Dass ich die Bedienung immer noch nur zu höchstens 33,3 Prozent verstehe, hat eher mit meiner zu geringen Frustrationstoleranz zu tun, räume ich ein.

Sony hat aber auch noch einiges zu tun bei seinen Interfaces. So haben viele Kameras Funktionen für die Barrierefreiheit, die denen von Apples iPhone ähneln. Das Problem: Sie sind so gut versteckt, dass sie zu selten genutzt werden. Sony gibt sich offen, von seinen Kunden zu lernen. Es gibt stetig neue Versionen der App und auch an der Übertragungsgeschwindigkeit wird gefeilt. Allein, schneller als mittels CFexpress wird es ohne flotteres WLAN nicht gehen. Vieles von den Schwierigkeiten vergisst man, wenn man es mal eingeübt hat. Und die restliche japanische Konkurrenz von Canon über Nikon und Fujifilm bis hin zu OM ist ja nun auch nicht für ihre kinderleichte Bedienbarkeit bekannt. Auch das ist dann wohl: Entschleunigung. Nimm' Dir Zeit für das Handbuch und schau' Webinare. Gibt ja genug Material auf YouTube auch für die kleinsten Alpha-Probleme.

Zum Schluss unseres Besuches, der mit einem Kurzaufenthalt in Sonys kleinem Imaging-Showcase-Museum im Gebäude endet, stelle ich noch eine dumme Frage: Warum gibt es nicht mehr gute Objektive mit Power Zoom? Warum nicht etwa beim F2 GM? So ein Motor hätte da doch vielleicht noch Platz gehabt? Die Sony-Leute lächeln verschmitzt. Denn irgendwie wäre das dann nicht traditionell genug und eine Alpha ist eben auch eine Fotokamera. Zwischen diesen Stühlen bleibt man gerne sitzen.

(bsc)